Was Großbritanniens neue Corona-Maßnahmen für die Kirchen bedeuten

"Die Kirchen waren abgeschlossen"

Ein rapider Anstieg der Corona-Infektionen zwingt das Vereinigte Königreich zu neuen Schutzmaßnahmen. Eine Herausforderung, auch für die deutsche katholische Gemeinde in London. Pfarrer Andreas Blum spricht im aktuellen Himmelklar Podcast.

Großbritannien auf dem Rückweg in den Lockdown / © Ivan Marc (shutterstock)
Großbritannien auf dem Rückweg in den Lockdown / © Ivan Marc ( shutterstock )

Himmelklar: Die Infektionszahlen gehen in vielen Ländern wieder nach oben. Wie ist die Situation jetzt, nach einem halben Jahr mit der Pandemie, in Großbritannien?

Pfarrer Andreas Blum (deutschsprachige katholische Gemeinde St. Bonifatius in London): Ähnlich wie in anderen Ländern Europas verschärft sich die Lage gerade wieder. Es gibt einzelne Regionen in Großbritannien, vor allem im Norden, so im Bereich Newcastle und Manchester, wo auch wieder lokale Lockdowns verhängt wurden, wo die Maßnahmen noch stärker greifen und in das soziale und kulturelle Leben der Menschen eingreifen. Aber auch im Rest Englands haben wir jetzt seit letzter Woche die sogenannte "Rule of Six". Man darf sich im Prinzip nur mit sechs anderen Menschen drinnen oder draußen treffen, die aus anderen Haushalten kommen. Und das macht doch für alle wieder deutlich spürbar, dass die Erleichterungen, wie wir im Sommer erlebt haben, im Moment wieder in eine andere Richtung gehen. Das drückt natürlich auch auf die Stimmung.

Himmelklar: Braucht es das gerade in Großbritannien, dass die Menschen daran wieder erinnert werden, wie gefährlich das Coronavirus ist?

Blum: Ja, ich vermute schon. Dadurch, dass die Infektionsraten und vor allem auch die Todesfälle, ja selbst die Einweisungen ins Krankenhaus so massiv zurückgegangen waren, dachte mancher, man habe die Pandemie schon weitgehend hinter sich gelassen, ist in Urlaub gefahren oder hat zumindest versucht – entweder in England selber oder aber in Europa – Urlaub zu machen. Es wurden auch diese Korridore eingerichtet, damit man zumindest in bestimmte Länder reisen konnte. Und das alles zusammengenommen hat vielleicht zu so einer Stimmung geführt, dass man auch wieder ein bisschen leichtfertig wurde.

Himmelklar: Nun ist die Lage wieder sehr bedrohlich. Wie sehen die Maßnahmen konkret bei Ihnen aus? Wie wird Ihr Alltag beschränkt?

Blum: In der Tat, es sind hohe Zahlen. Und insofern sind Vorsichtsmaßnahmen angebracht. Ein konkretes Beispiel: Es gibt Gemeindemitglieder, die im Krankenhaus liegen. Und es gibt ein striktes Besuchsverbot. Also weder ich und zum Teil auch die Familienangehörigen können die Kranken und auch die Sterbenden nicht besuchen und sind wieder auf Telefonate angewiesen. An diesen Dingen zeigt sich natürlich, dass solche Maßnahmen auch bittere Konsequenzen haben.

Himmelklar: Wie wichtig ist da die Seelsorge, die Sie leisten – dann jetzt vielleicht über Telefon?

Blum: Genau, das macht die ganze Sache noch schwieriger. In der Seelsorge, bei der Begleitung von Kranken oder Sterbenden oder von älteren Leuten setzen wir doch sehr auf Nähe, Persönlichkeit und Berührung. Das ist für den Menschen wichtig ist und das ist im Moment alles untersagt. Das wird besonders schmerzlich vermisst. Wenn man nur über Worte oder über Bilder im Internet den Kontakt zum Menschen halten will, kann man das auf einer rein technischen, oberflächlichen Art sicherlich gut tun. Und das ist auch besser als nichts. Insofern sind wir dankbar, dass diese technischen Möglichkeiten überhaupt da sind. Aber mir zeigen sie auch ganz klar die Grenzen auf. Das Dasein, Handhalten oder in den Arm Nehmen schafft doch eine ganz andere Nähe, einen ganz anderen Trost und ganz anderen Zuspruch.

Himmelklar: Welche Auswirkungen hat die Lage auf Gottesdienste oder auf das Glaubensleben Ihrer Gemeinde?

Blum: Wir hatten ja in England sogar den Fall, anders als in Deutschland, dass die Kirchen richtig abgeschlossen waren. Mehrere Monate lang. Weder zum persönlichen Gebet noch für Gottesdienste durften die Kirchen geöffnet werden. Die Anglikanische Kirche ging sogar so weit, dass sie ihren Geistlichen untersagt hat, die Kirchen zu betreten. Das persönliche Gebet und Gottesdienste dürfen seit dem Sommer wieder stattfinden, aber auch unter sehr strikten Regeln. Die Bänke sind gesperrt, die Masken müssen getragen werden, es darf nicht gesungen werden. Die Predigt soll so kurz wie möglich gehalten werden. Das ist für manche jetzt kein großer Verlust. Aber all das schlägt auf den Charakter des Gottesdienstes. Für uns als Auslandsgemeinde ist besonders schmerzlich: Die Leute, die über den ganzen Großraum Londons verteilt sind und zum Teil lange Anfahrtswege in Kauf nehmen, haben anschließend nicht mehr die Gelegenheit, gemeinsam Mittag zu essen oder den Nachmittag zu verbringen, sich auszutauschen. Das ganze soziale Miteinander ist untersagt. Wir dürfen Gottesdienst halten, aber mehr dann erst einmal auch nicht.

Himmelklar: Das Beisammensein gehört ja zum katholischen Glaubensleben dazu.

Blum: Ja, richtig! Dieses anschließende Treffen nach der Eucharistiefeier gehört zum Gottesdienst dazu. Das ist die Verlängerung, die Erweiterung des Gottesdienstes. Das würde ich gar nicht in zwei verschiedene Bereiche unterteilen. Aber das möchte ich jetzt nicht hier kontrollierenden Polizisten erklären, weil sie das im Zweifelsfall dann eben doch nicht versteht.

Himmelklar: Der Premierminister Boris Johnson spricht auch davon, dass das Militär herangezogen werden soll. Halten Sie das für eine richtige Maßnahme oder für übertrieben?

Blum: Das Militär ist in England eindeutig positiv konnotiert. Das Militär ist ein integrativer Bestandteil der Gesellschaft, ist sehr positiv besetzt. Das kann man mit Deutschland nicht vergleichen. Hier wird es eher als Unterstützung verstanden und vermutlich sogar weitgehend begrüßt.

Himmelklar: In dieser Zeit braucht man viel Hoffnung. Woher kommt Ihre?

Blum: Lachen Sie jetzt bitte nicht: Mir helfen zum Beispiel Telefonate mit den Senioren meiner Gemeinde, die ja auf eine lange Lebenserfahrung zurückschauen können. Die rufe ich erst mal an, um mich zu erkundigen, ob es ihnen gut geht und ob sie irgendwelche Hilfe brauchen, ob wir Einkäufe oder Arztbesuche organisieren und irgendwie unterstützen können. Aber wenn die dann ans Erzählen kommen und die momentane Zeit einfach einordnen in das, was Sie bereits erlebt haben, dann hat das für mich eine sehr beruhigende Wirkung.

Ein Gemeindemitglied hat es drastisch auf den Punkt gebracht: 'Solange hier nicht die Brandbomben fallen, geht es uns doch eigentlich gut.' Es gibt diese Gelassenheit. Es hat Krisen immer schon gegeben. Es hat aber auch immer Wege durch die Krisen gegeben. Es gibt eine Solidarität, die vielleicht erwächst, um eine solche Krise zu bewältigen. Das macht schon Hoffnung. Oder wenn ich sehe, wie in der Gemeinde die Vernetzung und der Zusammenhalt, die Hilfsbereitschaft einfach da ist. Ich bin eigentlich noch nie in einem Telefonat oder bei einer Bitte auf eine abschlägige Antwort gestoßen.

Das sind alles so kleine Zeichen, wo ich sagen würde: 'Ja, vielleicht nicht Hoffnung, aber doch zumindest Ermutigung.' Die Generation meiner Senioren, das sind ja noch die Auswanderer nach dem Krieg. Das waren diejenigen, die in Deutschland fast alles verloren hatten, Familie, wirtschaftliche Grundlagen. Die sind nach dem Krieg in das Land gezogen und hier ja auch nicht erst mal mit offenen Armen, sondern mit gewissen Ressentiments begrüßt worden.

Wenn Jüngere gerade ihren Arbeitsplatz verlieren, gibt es diesen Zusammenhalt auch über die Generationen hinweg. Dass jetzt die Jungen von den Alten etwas lernen können, das hat etwas Tröstliches und Ermutigendes, finde ich. Hoffnung ist ja ein sehr großes Wort. Für Paulus gehört Glaube, Liebe, Hoffnung zu den drei großen Kennziffern unseres Glaubens und damit lande ich eigentlich am Ende auch immer bei Gott selbst. In diesen kleinen Zeichen, die ich dann in der Gemeinde oder auch in der Stadt erlebe. Da spüre ich, dass Gott da ist, dass er unser Leben letztlich in der Hand hat. Und natürlich habe ich auch die Hoffnung, dass er es am Ende gut mit uns meint.

Ich kann auf all die Dinge gucken, die im Moment sehr schwierig sind, die mühsam sind, die auch kaputt gehen im sozialen, im kulturellen Leben. Ich kann aber auch versuchen, auf die anderen Zeichen am Wegesrand zu gucken und mich dann eben, wie Ignatius von Loyola sagt, wirklich zur Hoffnung entscheiden. Und das muss auch ich eigentlich jeden Morgen immer wieder neu.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch und Katharina Geiger.


Pfarrer Andreas Blum (privat)
Pfarrer Andreas Blum / ( privat )

Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht (MDG)
Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht / ( MDG )
Quelle:
DR