Was erwartet Franziskus bei seinem Besuch im Kongo?

"Kirche springt ein, wo der Staat versagt"

Diese Woche reist der Papst in die Demokratische Republik Kongo und den Südsudan. Beide Länder sind von Armut und Gewalt geprägt. Gerade in der kongolesischen Gesellschaft spielt die katholische Kirche eine sehr große Rolle.

Kirchen werden im Kongo zum Zufluchtsort / © Moses Sawasawa (dpa)
Kirchen werden im Kongo zum Zufluchtsort / © Moses Sawasawa ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Kongo ist eines der größten und rohstoffreichsten Länder Afrikas. Also müsste es den Menschen dort eigentlich relativ gut gehen. Die Wahrheit sieht aber anders aus. Was ist das für ein Land, das den Papst empfängt?

Jonas Gerding / ©  Justin Makangara (privat)
Jonas Gerding / © Justin Makangara ( privat )

Jonas Gerding (Freier Journalist in Kinshasa): Leider ist das in vielen Ländern so, die Rohstoffe haben, die von Agrargütern leben und nicht von Industrie und Service. Es gibt dort eine kleine Elite, hier vor allen Dingen der Hauptstadt, die die ganzen Margen kassiert. In Kinshasa gibt es viel Reichtum. Hier gibt es Porsche-Cayennes, die durch die Straßen fahren, Appartements, die für tausende Euro weggehen. Aber das Gros der Menschen, 73 Prozent, leben in extremer Armut. Und die müssen schauen, dass sie irgendwie über die Runden kommen, sich irgendwie durchschlagen.

Und obwohl das Land jung ist, ist es ein Land, in dem Krankheit und Tod sehr präsent sind. Es gibt Menschen, die das wirklich einfach deprimiert, die das fertig macht. Es gibt andere, die schaffen das auch noch mit Humor zu sehen, die eine gewisse Widerstandsfähigkeit entwickelt haben. Und sehr aussagekräftig finde ich, wenn man vor allen Dingen ältere Leute fragt: Wie geht's Ihnen? Dann kommt die Antwort oft: Es geht mir gut durch Gottes Gnaden. Das zeigt, dass bei all diesen Problemen, die Menschen haben, es vor allen Dingen der Glaube ist, der ihnen eine gewisse Zuversicht gibt, der ihnen das Gefühl gibt, hier ist jemand, der mich bei all diesen Problemen trotzdem führt.

DOMRADIO.DE: In den Schlagzeilen ist meistens der Osten des Landes, der von Gewalt geprägt ist. Es gibt dort verschiedene Rebellengruppen, die gegeneinander kämpfen. Erst kürzlich gab es dort auch einen tödlichen Anschlag auf eine Pfingstkirche. Dahinter stecken wohl anscheinend Islamisten. Was ist das für ein Konflikt im Osten des Landes? Spielt da gerade die Religion eine große Rolle oder liegen dahinter tiefere Gründe?

Gerding: Die Religion spielt wirklich eine ganz geringe Rolle. Es gibt diese eine konkrete Gruppe, eine islamistische Gruppe, die ADF. Man muss aber sagen, dass es eher weniger religiöser Fanatismus ist, sondern eher die gesamte Problemlage hier eine Rolle spielt.

Leider ist das Ganze hoch komplex. Es hilft manchmal, ein Stück in die Vergangenheit zurückzugehen. In den Neunzigerjahren war der Staat total heruntergewirtschaftet. In Ruanda kam es zum Völkermord und die damaligen Täter haben sich dann in den Kongo zurückgezogen. Es gab eine Rebellion, den Sturz des damaligen Langzeitherrschers Mobutu mithilfe der Nachbarländer, die ihre Militärs entsendet haben. Daraufhin haben sich überall im Ostkongo lokale Milizen gebildet, und das hat sich heute verselbständigt. Es gibt eine militarisierte Ökonomie, in der auch die Regierungsarmee ausbeutet, sich bereichert, mal mit den Milizen, mal gegen die Milizen, mal mit den Nachbarländern, mal gegen die Nachbarländer. Das ist leider die Situation, aus der man gerade total schwer rauskommt.

Jonas Gerding

"Ich glaube nicht, dass er direkt mit seiner Präsenz diese Vielzahl an Konflikten lösen kann. Dafür ist das Ganze viel zu komplex."

DOMRADIO.DE: Franziskus wird in Kinshasa auch auf Gewaltopfer genau aus dieser Region, aus dem Osten des Landes, treffen. Mal ganz realistisch gefragt: Wird er da irgendetwas bewegen können, die Region beruhigen können oder schert sich darum eigentlich keiner, was der Papst sagt?

Gerding: Ich glaube nicht, dass er direkt mit seiner Präsenz diese Vielzahl an Konflikten lösen kann. Dafür ist das Ganze viel zu komplex. Aber das kann schon etwas bringen. Ich habe mit dem Nuntius, also mit dem Vertreter des Vatikans, vor ein paar Tagen gesprochen, und er erzählte mir von der Friedensbotschaft, die der Papst mitbringen möchte, dass er Wunden heilen möchte, dass er Gott um Vergebung bitten möchte für das ganze Blut, das vergossen wurde. Und ich glaube, dass das Dinge sind, die den Gläubigen einmal auf einem ganz persönlichen, individuellen Level helfen können. Er will auch helfen, mit den Kongolesinnen und Kongolesen ein neues Kapitel aufzuschlagen, also selber die Probleme in die Hand zu nehmen.

Und er kann natürlich für internationale Aufmerksamkeit sorgen. Natürlich reicht das nicht, um diese Konflikte aus der Welt zu schaffen. Aber es hilft der Kirche als Vermittler an Legitimität zu gewinnen. In der Vergangenheit hat die Kirche durchaus helfen können, während der großen Kriege um die Jahrtausendwende herum. Bei der Übergangsregierung hat die Kirche zum Beispiel eine große Vermittlerrolle gespielt.

DOMRADIO.DE: Ungefähr die Hälfte des Volkes ist tatsächlich katholisch im Kongo. Es gibt eine gesellschaftliche Vermittlerrolle, die die Kirche einnimmt. Welche Rolle spielt das denn wirklich für die Leute im Alltag? Kirche und Glaube?

Jonas Gerding

"Die Kirche ist eine kritische Stimme, ein Gegengewicht zur Macht."

Gerding: Ich würde mal sagen, dass die Kirche oft dort einspringt, wo der Staat versagt. Der Nuntius sagte zu mir, dass 12.400 Grundschulen beispielsweise alleine von der katholischen Kirche getragen werden. Sieben Millionen Studierende gehen auf katholische Hochschulen, 40% der Gesundheitseinrichtungen. Also da ist wirklich die Präsenz und die Hilfe auch für die Bevölkerung enorm. Das ist das eine. Das andere ist, dass die Kirche eine kritische Stimme ist, also ein Gegengewicht zur Macht. Und das war beim damaligen Langzeitherrscher Mobutu so, das war bei der vorherigen Regierung mit Joseph Kabila so und das war jetzt auch bei der letzten Präsidentschaftswahl so, als der aktuelle Präsident gewählt wurde.

Da hat die Kirche sich offen hingestellt und das Wahlergebnis angezweifelt, weil es nicht mit den Daten ihrer Wahlbeobachtungskommission übereingestimmt hat. Deswegen ist es ein sehr schwieriges Verhältnis zwischen Kirche und Politik. Das macht den Papstbesuch auch gerade so interessant. Der Präsident braucht die Kirche, dieses Jahr wird gewählt. Er braucht sie für die internationale Aufmerksamkeit, was Konflikte im Osten angeht. Und dafür muss er einen Schritt auf die katholische Kirche zugehen. Die wird das natürlich nutzen können, um während dieses sehr wichtigen Jahres sich einzusetzen für Transparenz, für Rechtsstaatlichkeit und für freie und faire Wahlen.

DOMRADIO.DE: Nach der Demokratischen Republik Kongo reist Franziskus noch weiter in den Südsudan, das jüngste Land der Welt, auch aus einem großen Konflikt geboren. Wie unterscheidet sich denn die Lage im Südsudan von der im Kongo?

Gerding: Was erst mal die Gemeinsamkeit letztlich ist, dass es auch relativ komplex ist, es dort eben auch sehr schwierige Konflikte gibt. Ich selber bin mit der Konfliktlage nicht so gut vertraut, habe deswegen den Nuntius gefragt, was der Papst dort erreichen möchte. Und er meinte, dass dort die Mediationsbemühungen durchaus konkreter sind als im Kongo. Also es gibt einen bestehenden Prozess. Da ist der Erzbischof von Canterbury, der Primas der anglikanischen Kirche, involviert. Es gibt ein Moderator der koptischen Kirche und da hat der Papst offenbar schon sehr viel investiert und will durch seine Präsenz vor Ort diesen Bemühungen noch mal Nachdruck verleihen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Programm der Papstreise in die DR Kongo und den Südsudan

 

Papst Franziskus reist vom 31. Januar bis 5. Februar in die Demokratische Republik Kongo sowie in den Südsudan. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert das vom Vatikan am Donnerstag veröffentlichte Reiseprogramm in eigener Übersetzung. Zeitangaben in Ortszeit (Kinshasa = UTC+1 = MEZ; Juba = UTC+2).

Apostolische Reise Seiner Heiligkeit Franziskus in die Demokratische Republik Kongo und den Südsudan (Ökumenische Friedenswallfahrt in den Südsudan), 31. Januar bis 5. Februar 2023)

Dienstag, 31. Januar 2023, Rom - Kinshasa

Hügel mit grüner Wiese und Wäldern im Osten des Kongo, in der Region von Burhale / © Harald Oppitz (KNA)
Hügel mit grüner Wiese und Wäldern im Osten des Kongo, in der Region von Burhale / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR