Was die Autobiografie über Papst Franziskus verrät

Vom Argentinier zum Römer

Franziskus macht als Papst einiges anders als seine Vorgänger, veröffentlicht zum Beispiel eine Autobiografie zu Lebzeiten. Dort erzählt er von Fußball, Beichten, Ungeduld, einem Grab außerhalb des Vatikans und der Zukunft der Kirche.

Papst Franziskus winkt lachend aus dem Papamobil / © Pablo Esparza/CNS photo (KNA)
Papst Franziskus winkt lachend aus dem Papamobil / © Pablo Esparza/CNS photo ( KNA )

"Der Vatikan ist mein letzter Arbeitsplatz auf Erden, aber nicht der Wohnort für die Ewigkeit", sagt Papst Franziskus zur Wahl seiner letzten Ruhestätte. Und deshalb will er in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore beerdigt werden, nicht im Petersdom. In seiner am Dienstag weltweit veröffentlichten Autobiografie "Hoffe" spricht der 88-Jährige über diese und andere ungewöhnliche Entscheidungen auf persönlicher Ebene.

Hauptfassade von Santa Maria Maggiore von Ferdinando Fuga / © BGStock72 (shutterstock)
Hauptfassade von Santa Maria Maggiore von Ferdinando Fuga / © BGStock72 ( shutterstock )

Dazu zählt die Wahl seines Wohnorts. Franziskus entschied sich für ein kleines Apartment im vatikanischen Gästehaus Santa Marta und ließ die Gemächer im Apostolischen Palast leer stehen. "Sobald ich an Ort und Stelle war und mit Pater Georg sprach, dem damaligen Präfekten des Päpstlichen Hauses, wusste ich, dass ich dort nicht bleiben würde." 

Er habe ihm für seinen Besuch gedankt und angefangen, nach einer Lösung zu suchen, erzählt Franziskus von seiner Begegnung mit der offiziellen Papstwohnung und dem deutschen Erzbischof Georg Gänswein, den er nur an dieser Stelle im Buch namentlich erwähnt. Es liege einfach an seiner Persönlichkeit, dass er dort nicht leben könne, so Franziskus. "Ich brauche es, mein Leben mit anderen zu teilen."

Orthopädische Schuhe wegen Plattfüßen

Direkt nach seiner Wahl traf Franziskus weitere spontane Entscheidungen, wie er erzählt. Dazu zählt der Entschluss für den Namen Franziskus, der ihm nach der Aufforderung von Kardinal Claudio Hummes (1934-2022) - "Vergiss die Armen nicht" - in den Sinn kam. 

Ebenso aus dem Stegreif fielen die Entscheidungen, seinen Bischofsring und sein Bischofskreuz auch als Papst zu behalten. "Rote Schuhe? Nein, ich muss ohnehin orthopädische Schuhe tragen. Ich habe leider leichte Plattfüße", schreibt Franziskus. Die Mozetta (Schulterkragen) aus Samt, die Stola aus Leinen und die Aufforderung, fortan weiße Hosen zu tragen, lehnte der damalige Neu-Papst ebenfalls ab: "Ich bin doch kein Eisverkäufer."

Die ersten Tage als Papst

Zwar nicht zum ersten Mal, doch sehr detailliert plaudert der 88-Jährige in "Hoffe" über die entscheidenden Tage um seine Papstwahl. Dokumentiert werden die nachträglichen Notizen zu seiner Rede vor den Kardinälen, die zur entscheidenden Einlassung vor seiner Wahl werden sollte. 

Er spricht über seine ersten Telefonate und den ersten Besuch seiner römischen Lieblingsbasilika Santa Maria Maggiore als Papst. Dabei bedauert Franziskus, bis heute nur sehr wenige Kirchen in Rom zu kennen: "Es ist einfach schwierig, als Papst eine Stadt kennenzulernen."

Nach Vergewaltigungsbeichte keine Absolution erteilt

Die Vergewaltigung eines Dienstmädchens war die einzige Sünde, für die der heutige Papst einst als Beichtvater in Argentinien keine Absolution erteilen konnte. In seiner Autobiografie erzählt Franziskus von einem Anwalt, der in Buenos Aires in seinen Beichtstuhl kam: "In hochmütigem Tonfall begann er, mir lauter Bagatellen zu erzählen. Um dann von einem Augenblick auf den anderen und im selben saloppen Tonfall zu gestehen, dass er das Dienstmädchen vergewaltigt hatte."

Papst Franziskus nimmt einer Frau die Beichte ab / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus nimmt einer Frau die Beichte ab / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Laut Franziskus sagte ihm der Mann: "Leute wie die sind ohnehin für alles da. Sie sind nicht wie wir." Auf weitere Nachfragen habe der Beichtende empört reagiert und sei weggegangen. Dies sei das einzige Mal in über 50 Jahren Priesteramt gewesen, dass er die Absolution nicht habe erteilen können, so der Papst.

Vergebt alles, alles, alles!

Die Absolution ist die Vergebung der Sünden, die ein Mensch in der Beichte dem Priester eingesteht. Diese Lossprechung durch den Priester ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Dazu zählen echte Reue, klares Bekenntnis und eine angemessene Buße. 

Regelmäßig fordert Papst Franziskus von katholischen Priestern, bei der Beichte nicht allzu kritisch zu sein und Beichtende von allen Sünden freizusprechen. "Das Sakrament der Buße ist nicht da, um zu quälen, sondern um Frieden zu geben", sagte der Papst 2023 bei einem Treffen mit Priestern in Rom. "Vergebt alles, alles, alles!"

Neurotisch, ungeduldig, emotional

Auch zeigt Papst Franziskus seine verletzliche Seite und räumt Charakterschwächen ein. "Auch ich erfreue mich einiger Neurosen", schreibt er. "Eine davon ist, dass ich ziemlich an meiner Umgebung hänge." 

Damit erklärt er auch seine Eigenheit, den Urlaub als Papst lieber in seiner Wohnung im vatikanischen Gästehaus Santa Marta zu verbringen, anstatt es seinen Vorgängern mit den Sommeraufenthalten in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo oder in den Alpen gleich zu tun. Franziskus rät dazu, die eigenen Neurosen zu pflegen - beispielsweise mit südamerikanischem Tee: "Ihnen jeden Tag ein bisschen Mate einflößen..."

Entschleunigung und Tränen

Eine gewisse Melancholie begleitet den gebürtigen Argentinier bereits seit seiner Kindheit, wie Franziskus schreibt. Sie nütze ihm zur Entschleunigung, zum Klären vieler Dinge. "Es ist ein Signal, das mir sagt, dass ich achtgeben muss, das gerade etwas geschieht und das Leben von mir eine Antwort verlangt. Ich habe auch gelernt, von dort aus vorwärtszugehen."

Immer wieder schildert Franziskus auf den knapp 400 Seiten Momente, die ihn zum Weinen brachten. Keine Angst vor seinen Gefühlen zu haben, sei etwas, was er in seinem ersten Jahr im Internat gelernt habe, berichtet der als Jorge Mario Bergoglio geborene Argentinier. 

Argentinien: Plakat von Papst Franziskus in Buenos Aires / © Tobias Käufer (KNA)
Argentinien: Plakat von Papst Franziskus in Buenos Aires / © Tobias Käufer ( KNA )

Gemeinsam mit seinem Bruder Oscar besuchte er ab der sechsten Klasse das Salesianerkolleg Wilfrid Barón, nachdem seine Mutter aufgrund ihres Gesundheitszustandes Entlastung benötigte.

Therapie während Militärdiktatur

Ebenso offen erzählt er von seinen regelmäßigen Besuchen bei einer Psychiaterin über knapp ein Jahr. In Zeiten der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) - die er in "Hoffe" eindrücklich schildert - habe es emotional aufreibende Momente gegeben, die man auszuhalten hatte, schreibt Franziskus. "Ich ging einmal pro Woche zu ihr, und ihre Ratschläge waren mir immer sehr nützlich. Ich habe sie bis heute im Gedächtnis bewahrt, und sie sind immer noch lehrreich für mich."

Ein ungeduldiger Papst 

Eine Schwäche - auch als Papst - sieht Franziskus in seiner Ungeduld - "ein Problem, das ich immer wieder habe". Er schreibt: "Wenn ich gestolpert bin, dann häufig, weil es mir an Geduld fehlte. Weil ich nicht abwarten konnte, dass manche Prozesse Zeit brauchen, damit sie sich normal entwickeln und die Früchte heranreifen."

Geduld bewies der kleine Jorge jedoch bei seiner eigenen Geburt. Weil er bereits eine Woche überfällig gewesen sei, habe sich der Hausarzt der Familie kurzerhand auf den Bauch seiner Mutter gesetzt, um die Geburt einzuleiten. Am 17. Dezember 1936 sei er so auf die Welt gekommen - mit einem Gewicht von fünf Kilogramm.

Papst rechnet mit Liturgie-Traditionalisten ab

Scharfe Kritik hat Papst Franziskus an erzkonservativen Kirchenvertretern geäußert, die nach wie vor an der Alten Messe festhalten. Papst Franziskus hatte diesen Gottesdienst, den der Priester auf Latein und mit dem Rücken zum Kirchenvolk feiert, stark eingeschränkt. Er begründet diese umstrittene Entscheidung damit, dass es nicht förderlich sei, wenn die Liturgie eine Frage der Ideologie werde.

"Sie ist schon kurios, diese Faszination vom Unverständlichen, vom geheimnisvollen Klang, der oft auch das Interesse der jüngeren Generationen erweckt", so der Papst. "Und diese rigide Einstellung geht meist einher mit kostbaren, kostspieligen Gewändern, mit Stickerei, Spitzen und Stolen." Dies sei keine Freude an der Tradition, sondern blanke Zurschaustellung von Klerikalismus, keine Rückkehr zum Heiligen, sondern sektiererische Modernität, kritisiert Franziskus.

Affektstörungen und Verhaltensprobleme

"Manchmal verbergen sich hinter diesen Kostümierungen ernsthafte Unausgeglichenheit, Affektstörungen, Verhaltensprobleme oder ein persönliches Unwohlsein, das instrumentalisiert werden kann", schreibt der Papst. Laut eigener Aussage musste er sich mit dieser Problematik während seiner bisherigen Amtszeit in vier Fällen auseinandersetzen - drei davon in Italien, einer in Paraguay.

Symbolbild Traditionalist mit einem Gebetbuch / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Symbolbild Traditionalist mit einem Gebetbuch / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

Dabei habe es sich immer um Bistümer gehandelt, die Priesteramtskandidaten aufgenommen hätten, die bereits von anderen Priesterseminaren abgelehnt worden seien. "Mit diesen Kandidaten stimmt meistens etwas nicht, etwas, das sie dazu treibt, ihre Persönlichkeit hinter starren und sektiererischen Konzepten zu verbergen", warnt der Papst.

Beharren auf "Rückständigkeit"

Als "Heuchelei" bezeichnet er die innerkirchlichen Widerstände gegen die Öffnung der Sakramente für wiederverheiratete Geschiedene und die Segnung Homosexueller. "Der Traditionalismus, das in jedem Jahrhundert neu auftretende Beharren auf 'Rückständigkeit', ist eine soziologisch interessante Erscheinung, nimmt er doch stets Bezug auf eine angeblich vollkommene Zeit, die aber jedes Mal eine andere ist", schreibt der 88-Jährige.

Fußballbegeisterter Papst mit zwei linken Füßen 

Papst Franziskus mag Fußball - als Spieler wie als Fan. Für ihn sei es wirklich das schönste Spiel der Welt gewesen. Doch eine Partie seines argentinischen Lieblingsvereins San Lorenzo habe er seit mehr als 30 Jahren nicht mehr gesehen. 

Olaf Scholz überreichte dem Papst den offizielle Ball der UEFA EURO 2024 und eine Bärenfigur aus Porzellan mit dem Wappen der Bundesrepublik Deutschland / © Vatican Media (dpa)
Olaf Scholz überreichte dem Papst den offizielle Ball der UEFA EURO 2024 und eine Bärenfigur aus Porzellan mit dem Wappen der Bundesrepublik Deutschland / © Vatican Media ( dpa )

Der Grund: ein 1990 abgelegtes Fernseh-Verzicht-Gelübde, an das sich der Argentinier bis auf wenige Ausnahmen bis heute gehalten habe. Aber natürlich informiere er sich über seinen Verein: Ein Schweizergardist lasse ihm jede Woche Ergebnisse samt Tabelle zukommen, berichtet Franziskus.

In seiner Kindheit war das anders: Regelmäßig feuerte Jorge Mario Bergoglio, wie der Papst mit bürgerlichem Namen heißt, seinen Club mit Vater und Brüdern im Stadion an. "Es war ein romantischer Fußball, ein Familienfest. Die schlimmsten Schimpfwörter, die man auf den Rängen hörte, waren 'Schuft!' und 'Gekaufter!'" Anschließend habe es in einer Pizzeria Schnecken mit pikanter Soße und Pizza gegeben. "Wie also immer das Spiel ausgegangen sein mochte, der Abend danach war ein Fest."

Zwei linke Füße

Der kleine Jorge stand auch selbst auf den Spielfeldern seines Viertels in Buenos Aires - häufig im Tor. Denn ein großer Ballkünstler sei er nicht gewesen, habe zwei linke Füße, räumt Franziskus ein. Darum habe er auch beim Basketball - sein Vater spielte regelmäßig - sprichwörtlich keinen Fuß auf den Boden bekommen.

Das Leben des Jorge Mario Bergoglio/Franziskus

Franziskus ist der erste Papst der Kirchengeschichte aus Lateinamerika und der erste Jesuit im obersten Kirchenamt. Seine Wahl löste weltweit einen regelrechten Papst-Hype aus. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) zeichnet zentrale Stationen seines Lebens und seiner bisherigen Amtszeit nach:

Papst Franziskus lächelt (Archiv) / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus lächelt (Archiv) / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA