Was das Wahlergebnis in Frankreich bedeutet

Ist die christliche Prägung verschwunden?

Am Palmsonntag wurde in Frankreich gewählt. Für den amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron und Herausforderin Marine Le Pen geht es am 24. April in die Stichwahl. Ein Sieg Le Pens wäre ein harter Schlag für die EU.

Präsidentschaftswahl in Frankreich / © Michel Euler (dpa)
Präsidentschaftswahl in Frankreich / © Michel Euler ( dpa )

DOMRADIO.DE: Man fragt sich, was ist los in Frankreich, dass sich die Franzosen von Marine Le Pen so überzeugen lassen. Was ist Ihre Erklärung?

Stefan Lunte (Sekretariat der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union / COMECE): Das liegt an einer Verschiebung im gesamten politischen Spektrum Frankreichs. Bei der vergangenen Wahl 2017 konnte man vorher zumindest noch sagen, dass eine gute Hälfte der Menschen in Frankreich für die Linke und die Rechte stimmen und immerhin eine knappe Hälfte für Gruppierung der politischen Mitte Frankreich stimmen werden. Konkret waren das damals Emmanuel Macron und François Fillon.

Das Verhältnis hat sich dieses Mal stark verschoben. Wir haben es nun mit drei Dritteln im politischen Frankreich zu tun. Das erste Drittel ist die extreme Linke, deren Kandidaten zusammen rund 31 Prozent geholt haben. Das zweite Drittel ist die extreme Rechte mit insgesamt 33,6 Prozent. Übrig ist die sehr dünn gewordene Mitte mit nur noch 32 Prozent. Also Frankreich ist dreigeteilt und das verheißt für die Zukunft nichts Gutes. Selbst wenn bei der kommenden Stichwahl aller Wahrscheinlichkeit nach wiederum Emmanuel Macron die Nase vorn haben wird.

DOMRADIO.DE: Woran liegt es, dass die Franzosen diese Extreme wählen?

Lunte: Eine gute Frage, die Antwort ist vielschichtig. Eine mögliche Antwort ist sicher das starke Stadt-Land-Gefälle. Das ist in Frankreich viel ausgeprägter als in Deutschland, wo sich urbane Zentren übers ganze Bundesgebiet verteilen. In Frankreich konzentriert sich vieles auf und um Paris. So fühlen sich entferntere Regionen und Departements schnell im Stich gelassen, abgehängt und sogar deklassiert.

Auch Frankreichs Rechtskatholiken votieren radikaler

Die Mehrheit von Frankreichs Katholiken hat - wie die Gesamtbevölkerung - für extreme Parteien gestimmt. Rechtsextreme Kandidaten erreichten unter den Katholiken im ersten Wahlgang insgesamt 40 Prozent, wie eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Ifop für die Zeitung "La Croix" ergab. Zudem erreichte der linksextreme Kandidat Jean-Luc Melenchon unter den praktizierenden Katholiken 14 Prozent der Stimmen. Die Muslime stimmten demnach sogar mit überwältigender Mehrheit für Melenchon.

Französische Flagge vor dem Eiffelturm / © Peter Kneffel (dpa)
Französische Flagge vor dem Eiffelturm / © Peter Kneffel ( dpa )

Ein weiterer Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland ist das Thema der inneren Sicherheit. Das war auch im Wahlkampf ein wichtiges Thema gewesen.

Dazu kommt von linker Seite das zweite wichtige Thema der Wahl: die soziale Spaltung. In den letzten fünf Jahren unter Macron hat die soziale Ungleichheit stark zugenommen. Diese drei Punkte sind wichtig, um das Wahlverhalten der Franzosen zu erklären.

DOMRADIO.DE: Bleiben wir mal bei Marine Le Pen. Sie vertritt im christlich geprägten Frankreich keine christliche Haltung. Gibt es da keinen Aufschrei?

Lunte: Insgesamt gibt es durchaus einen Aufschrei angesichts der Wahlergebnisse. Allerdings ist es mit der christlichen Prägung Frankreichs nicht mehr so weit her, wie es das früher mal war. Frankreich ist mit Sicherheit ein Land mit einer starken katholischen Tradition, aber im Politischen gibt es auch die Tradition der Laizität, also einer strikten Trennung von Kirche und Staat. Daher würde ich nicht sagen, dass der Aufschrei mit der christlichen Prägung zu tun hat, sondern mit den Wahlergebnissen insgesamt.

Aufseiten der Rechten gibt es nicht nur Marine Le Pen mit 23 Prozent der Stimmen. Daneben gibt es noch Éric Zemmour, der noch weiter rechts steht als Le Pen und 7 Prozent geholt hat, und dann es gibt noch Nicolas Dupont-Aignan, der 2,1 Prozent geholt hat. Es haben sich also deutlich über 33 Prozent der Wählerinnen und Wähler ganz weit rechts positioniert. Das ist, was von diesem Wahlergebnis hängen bleibt.

DOMRADIO.DE: Marine Le Pen sammelt für die Stichwahl am 24. April also die Stimmen verschiedener Seiten. Wie groß ist die Gefahr, dass sie die Stichwahl tatsächlich gewinnt?

Lunte: Für Deutsche hört sich das vielleicht absurd an, aber alles hängt davon ab, ob es Le Pen gelingt, Stimmen aus dem linksextremen Lager von Jean-Luc Mélenchon zu bekommen, der 22 Prozent geholt hat. Mélenchon war mal bei der PS, der sozialistischen Partei, einem Pendant zu den deutschen Sozialdemokraten, hat aber seine eigene Partei gegründet: La France insoumise, unbeugsames Frankreich.

Obwohl Mélenchon selbst dazu aufgerufen hat, Le Pen keine einzige Stimme zu geben, ist nicht klar, wie sich seine Wählerinnen und Wähler verhalten. Man geht davon aus, dass ein gutes Drittel der Mélenchon-Wähler bei der Stichwahl für Le Pen stimmen könnten. Sollte das passieren, wird es eng. Auf jeden Fall wird es in 14 Tagen deutlich enger als noch bei der Stichwahl 2017. Damals hatte Macron deutlich über 60 Prozent geholt. Für die kommende Stichwahl wird eher mit einem Ergebnis von 48 Prozent für Le Pen und 52 für Macron gerechnet. Dieses Ergebnis liegt somit sehr stark im Bereich der statistischen Unschärfe.

Das Interview führte Florian Helbig.

Quelle:
DR