Warum wurde noch kein neuer Kardinaldekan gewählt?

Termin überfällig

Papst Franziskus hält viel davon, Amtszeiten zu begrenzen. So auch beim ehrwürdigen Amt des Kardinaldekans. Da stünde seit Mitte Januar des Jahres 2025 eine Neuwahl an, aber anscheinend tut sich nichts. Oder doch?

Autor/in:
Roland Juchem
Absperrungen auf dem Petersplatz vor dem Petersdom (Archiv) / © Julia Steinbrecht (KNA)
Absperrungen auf dem Petersplatz vor dem Petersdom (Archiv) / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Früher hätte Giovanni Battista Re bis zu seinem Tode "Erster" des Kardinalskollegiums sein können. Aber Papst Franziskus hat im Zuge seiner Kurienreformen auch das altehrwürdige Amt des Kardinaldekans - es geht bis in 12. Jahrhundert zurück - auf fünf Jahre begrenzt. 

Und so ist die offizielle Amtszeit von Giovanni Battista Re als Kardinaldekan vor gut drei Wochen abgelaufen - formal zumindest. Angetreten hatte er es am 18. Januar 2020 als Nachfolger des Ende 2019 zurückgetretenen Angelo Sodano.

2014: Kardinaldekan Angelo Sodano und Papst Franziskus / © Paul Haring (KNA)
2014: Kardinaldekan Angelo Sodano und Papst Franziskus / © Paul Haring ( KNA )

Der Dekan des Kardinalskollegiums, auch Kardinalbischof von Ostia, war früher eine einfache Frage des Dienstalters. Paul VI. legte 1965 fest, er solle von den Kardinalbischöfen aus ihrer Reihe gewählt werden. Außerdem nahm er die Kardinalpatriarchen der katholischen Ostkirchen in den Rang der Kardinalbischöfe auf.

Wahlberechtigt sind die zwölf Kardinalbischöfe

Gemäß der von Paul VI. erlassenen und von Franziskus 2019 geänderten Regeln, müsste nun ein neuer Kardinaldekan gewählt werden.

Wahlberechtigt sind die derzeit zwölf Kardinalbischöfe, Mitglieder der ranghöchsten Gruppe von Purpurträgern - was aber ebenfalls mehr Ehrenrang als Macht bedeutet. Diese zwölf Männer können Re für eine weitere fünfjährige Amtszeit wählen. Oder einen anderen. Noch aber wurden weder das Amtsende von Re, sein Rücktritt oder gar eine Neuwahl mitgeteilt. Was spekulationsfreudige Vatikanbeobachter seit einiger Zeit zu Mutmaßungen und Gedankenspielen anregt.

Begräbnismesse für gestorbenen Papst

Solange ein Papst regiert, ist Kardinaldekan ein eher langweiliges Ehrenamt. Der Dekan darf die Begräbnismesse für einen gestorbenen purpurnen Mitbruder halten - sowie bei Zeremonien und Gottesdiensten gelegentlich den Papst vertreten. Was Re in den vergangenen Jahren oft getan hat, wenn Franziskus sich nicht fit oder mobil genug fühlte, etwa um eine Eucharistiefeier auch am Altar des Petersdomes zu leiten. Spannend wird es für einen Kardinaldekan, wenn ein amtierender Papst stirbt oder zurücktritt.

Dann muss er die wahlberechtigten Kardinäle zum Konklave nach Rom einberufen. Er steht der Begräbnisliturgie des Papstes vor, hält dabei die Predigt. Auch moderiert er vor dem eigentlichen Konklave die Generalkongregationen, zu der noch alle Kardinäle auch jenseits der Altersgrenze zugelassen sind. Diese Runden dienen dem besseren Kennenlernen sowie dem Austausch darüber, welchen Typ Papst die Kirche nun braucht.

Kardinal Giovanni Battista Re, Dekan des Kardinalskollegiums, segnet mit Weihwasser den Sarg von Papst Benedikt XVI., am 5. Januar 2023, während der Trauermesse für den emeritierten Papst Benedikt XVI. mit Papst Franziskus auf dem Petersplatz / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Giovanni Battista Re, Dekan des Kardinalskollegiums, segnet mit Weihwasser den Sarg von Papst Benedikt XVI., am 5. Januar 2023, während der Trauermesse für den emeritierten Papst Benedikt XVI. mit Papst Franziskus auf dem Petersplatz / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Wenn der Kardinaldekan das 80. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, leitet er auch die Papstwahl im Konklave selbst. Mit diesen Aufgaben erhält das Ehrenamt des Kardinaldekans erheblichen Einfluss. Der umso mehr genutzt werden kann, je besser derjenige vorher schon als Moderator des Kardinalskollegiums wirken konnte. Wie es etwa Kardinal Joseph Ratzinger im April 2005 machte - bevor er selbst zum Papst gewählt wurde.

Mit der Amtszeitbeschränkung auf fünf Jahre und einer möglichen Wiederwahl führte Franziskus auch für das letzte Kurienamt eine grundsätzliche Befristung ein. Damit erhält er Gelegenheit, den von den Kardinälen gewählten Dekan turnusmäßig auszutauschen. Weswegen angesichts des Schweigens um Res Amtszeit nun manche fragen: Versucht Franziskus bei der Nachfolgeregelung seinen treuen Gewährsmann Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin durchzusetzen? Ernennen kann er ihn nicht, wählen dürfen nur die zwölf Kardinalbischöfe.

Subdekan Sandri als aussichtsreicher Kandidat

Falls der 91-jährige Re wie erwartet nicht mehr antritt, sehen Vatikanbeobachter diverser Medien neben Parolin vor allem den derzeitigen Subdekan des Kardinalskollegiums, den 81-jährigen Argentinier Leonardo Sandri als aussichtsreichen Kandidaten.

Leonardo Kardinal Sandri, ehemaliger Präfekt der Kongregation für die orientalischen Kirchen / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Leonardo Kardinal Sandri, ehemaliger Präfekt der Kongregation für die orientalischen Kirchen / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

Allerdings könnte Sandri, weil über 80 Jahre, kein Konklave mehr leiten. Einige vermuten, Franziskus habe zu seinem Landsmann ein eher kühles Verhältnis und würde Sandri als Kardinaldekan gerne verhindern.

Einige Kommentatoren behaupten, es handle sich um einen persönlichen Groll, der auf die Zeit des Papstes als Erzbischof von Buenos Aires zurückgehe, als Sandri als Stellvertreter Kardinal Sodanos im Staatssekretariat diente und angeblich mehrere von Erzbischof Bergoglio vorgeschlagene Bischofsernennungen blockierte. Andere meinen, Franziskus sei besorgt wegen der Optik einer argentinischen Phalanx an der Kurie: er selbst als Papst, sein Freund Kardinal Victor Fernandez als Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre und eines Kardinaldekans Sandri.

Verzögerung der Wahl wirft Fragen auf

Was auch immer es für Gründe geben mag, dass der anstehende Wechsel noch nicht kommuniziert wurde, so wirft die Verzögerung bei der Wahl eines neuen Dekans einige juristische Detailfragen auf und Licht auf die Dynamik einer sehr kleinen und alternden Gruppe von Kirchenmännern, die nur in der Frage des Interregnums einflussreich bleiben.

So könnte, je mehr Franziskus versucht zu intervenieren, vorhandener Unmut ihm gegenüber wachsen. Keiner der acht Kardinalbischöfe über 80 hat - bis auf den maronitischen Patriarchen Kardinal Rai - irgendwelche kirchlichen Ämter zu verlieren oder zu gewinnen. Die Acht bilden im Gegenteil wahrscheinlich die einzige Gruppe von Klerikern, die von päpstlichem Einfluss, Missfallen oder Gunst relativ isoliert ist. Falls sie beschließen - wie es Männer über 80 manchmal tun, wenn sie das Gefühl haben, nicht respektiert zu werden -, sich durchzusetzen, könnten sie Sandri trotzdem wählen oder jemand ganz anderen.

Kardinal Fernando Filoni / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Fernando Filoni / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Eine der in Vatikanisten-Kreisen durchgespielten Eventualitäten gilt Kardinal Fernando Filoni. Der ist mit 78 Jahren wahrscheinlich zu alt, um als ernsthafter Kandidat für das Papstamt zu gelten. Aber er ist jung genug, das Amt des Dekans zu übernehmen und ein Konklave zu leiten, und er ist lange genug im Amt, um über beträchtliches Fachwissen zu verfügen. So ist Filoni als persönlicher Gesandter von Johannes Paul II. im Irak mit der Politik und Geschichte des Nahen Ostens bestens vertraut.

Dann ist da noch die Geschichte mit seiner Absetzung. Der gebürtige Süditaliener aus Apulien wurde 2019 vorzeitig als Präfekt des Dikasteriums für die Evangelisierung abgesetzt, um Platz für den Jüngsten der Kardinalbischöfe, Kardinal Luis Antonio Tagle, zu machen. Filonis Entlassung und Tagles Beförderung, so heißt es, hätten auch mit Parolin zu tun gehabt. Es sei Filonis lauwarme, sogar privat kritische Aufnahme des Vatikan-China-Abkommens von 2018 - eines typischen Parolin-Projekts - gewesen, die zu seinem Weggang führte.

Ein Dekan Filoni hätte einiges zu sagen

Ein Dekan Filoni, übernähme er die Leitung des nächsten Konklaves, hätte vermutlich einiges zu sagen; umgekehrt wäre von ihm einiges zu hören. Und aufgrund seiner engen Beziehungen zu den Ostkirchen und seiner Erfahrung, wie es ist, eine ehrliche, aber unpopuläre Meinung zu äußern, könnte er möglicherweise von Kardinälen wie Sako, Rai, Stella, Ouellet und Arinze unterstützt werden. Zusammen mit einem verärgerten Re und Sandri wäre das mehr als genug für eine Wahl Filonis.

Zwar ist von den vier Kardinalbischöfen unter 80 Jahren Filoni sowohl der älteste als auch der am längsten im Amt befindliche Kardinal.

Pietro Parolin / © Cristian Gennari (KNA)
Pietro Parolin / © Cristian Gennari ( KNA )

Aufgrund einer Eigenheit der Tradition steht jedoch in der fein ziselierten Rangfolge Parolin vor Filoni, da Parolins Name bei der Bekanntgabe der Ernennung beider Männer zu Kardinalbischöfen im Jahr 2018 an erster Stelle erschien.

Bleibt also die Frage: Erhält der stille, aber sehr einflussreiche Parolin, der mit dem Tod oder Rücktritt von Franziskus seinen Posten als Kardinalstaatssekretär sofort los wäre, ein Ehrenamt, mit dessen Hilfe er im Fall eines Falles weiter erheblichen Einfluss ausüben könnte?

P.S. Auch wenn Res Amtszeit formal abgelaufen ist, wäre es denkbar, dass die Eminenzen ihn kurial-pragmatisch einfach weitermachen lassen. Und Franziskus hat nichts dagegen.

Quelle:
KNA