Vor 50 Jahren starb Kardinaldekan Eugene Tisserant

Hochgebildeter Vorstopper im Vatikan

Mehr als ein Dutzend Sprachen soll er gesprochen haben, von Akkadisch bis Russisch. Noch dazu sprach der Dekan der Kardinäle eine deutliche Sprache: Einen hohen Kurienmann exkommunizierte er nach der Papstwahl kurzerhand.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Kardinal Eugene Gabriel Gervais Laurent Tisserant (m.) im September 1957 / © KNA-Bild (KNA)
Kardinal Eugene Gabriel Gervais Laurent Tisserant (m.) im September 1957 / © KNA-Bild ( KNA )

Er gehörte, schon rein optisch, zu den beeindruckenden Gestalten des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Ebenso imposant wie sein langer Bart und sein Brustkreuz auch sein Name: Eugene Gabriel Gervais Laurent Tisserant, Kardinaldekan der katholischen Kirche. Als Papst Paul VI. verfügte, dass die Leiter von Kurienbehörden ab sofort mit spätestens 80 Jahren zurücktreten müssen (1968) und die Kardinäle mit 80 auch noch ihr Recht zur Papstwahl verloren (Ende 1970), war der hochherrlich auftretende Franzose zu Tode gekränkt - und starb, nur ein gutes Jahr später, am 21. Februar 1972, vor 50 Jahren, in Albano bei Rom.

Über 21 Jahre Kardinaldekan

Zuletzt hat Papst Franziskus auch für das Amt des Kardinaldekans - als letztes Kurienamt - eine grundsätzliche Befristung auf fünf Jahre eingeführt. Damit erhält er die Gelegenheit, auch den von den Kardinälen gewählten Primus inter pares turnusmäßig auszutauschen. Auch wenn dessen Aufgaben vornehmlich protokollarischer Art sind, hat der Kardinaldekan doch eine Schlüsselrolle in der Kurie. Tisserant hatte dieses Amt über 21 Jahre inne.

Geboren im März 1884 in der damaligen Grenzstadt Nancy in Lothringen, studierte er in Paris und Jerusalem; 1907 wurde er zum Priester geweiht. Auch aufgrund seiner phänomenalen Sprachkenntnisse - Berichten zufolge beherrschte er 13 Sprachen fließend: Amharisch, Arabisch, Akkadisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Griechisch, Hebräisch, Italienisch, Latein, Persisch, Russisch und Syrisch - lehrte Tisserant ab 1908 in Rom Assyrisch und erstellte in der Vatikanischen Bibliothek Inventare orientalischer Manuskripte.

Persönlichkeit mit internationaler Strahlkraft

Nach seiner Einberufung und Teilnahme am Ersten Weltkrieg sowie Jahren als französischer Offizier in Syrien und Palästina wurde er Berater der Päpstlichen Bibelkommission und der Ostkirchenkongregation, deren Leitung er 1938 bzw. 1936 übernahm. Auf seinen Reisen im Nahen Osten erwarb Tisserant in den 20er Jahren unter anderem wertvolle syrische Handschriften für den Vatikan. 1936 nahm ihn Papst Pius XI. ins Kardinalskollegium auf, dem er ab 1951 als Dekan vorstand. 1957 bis zur altersbedingten Ablösung 1971 war er Bibliothekar und Archivar des Vatikans.

Tisserant war eine Persönlichkeit mit internationaler Strahlkraft. Er unterhielt breite Kontakte zu den Ostkirchen und zur französischen Politik. Auch in Frankreichs Intelligentsia war er präsent: Seit 1962 war er Mitglied der Academie Francaise.

Exkommunikation eines Kurien-Monsignores

Als Beispiel für sein gestrenges Auftreten mag eine Anekdote dienen, die der Konzils-Maulwurf "Xavier Rynne" erfahren haben will. Nach seiner Wahl 1958 verlängerte der neue Papst Johannes XXIII. das Konklave um eine weitere Nacht, "womit er seine Abneigung gegen das Alleinsein bekundete und sein Verlangen, von denen umgeben zu sein, die mit ihm zusammen an der Führung der Kirche teilhatten". Als also der Kurien-Monsignore Domenico Tardini herbeieilte, um dem neuen Papst zu gratulieren, stellte sich ihm der Kardinaldekan entgegen und erklärte ihn wütend für exkommuniziert - wegen Verletzung des Konklaves.

Schlecht für Tisserant, der im Vatikan "il francese" (der Franzose) genannt wurde: Nicht nur, dass Johannes XXIII. dieses Verdikt umgehend wieder aufhob. Er machte Tardini auch bald zum Kardinal-Staatssekretär, also zu seiner Nummer Zwei, und überhäufte ihn mit weiteren hohen Ämtern. Das Verhältnis der beiden mächtigen Männer mit T blieb nach dem Vorfall unterkühlt.

Laut dem Johannes-Biografen Renzo Allegri bezog sich sogar die allererste Anordnung des neuen Papstes auf Tisserant. Dieser hatte seinen Sekretär Loris Capovilla gebeten, ihm andere Schuhe zu besorgen, da die vom Vatikan zugeteilten viel zu klein gewesen seien und drückten. Doch Tisserant habe den Konklave-Bereich so hermetisch abriegeln lassen, dass selbst Capovilla nicht durchkam. Johannes XXIII. habe also den Kardinaldekan ausdrücklich angewiesen, er möge seinen Sekretär passieren lassen.

Tisserant war Mitglied der zentralen Vorbereitungskommission des Konzils und gehörte - als einziger Vertreter der vatikanischen Kurie - dem Präsidium an. Als Kardinaldekan zelebrierte er die Eröffnungsliturgie "Veni creator spiritus" nach dem Formular des Konzils von Vienne 1312. Kirchenpolitisch wurde Tisserant zum Lager der gemäßigten Reformer gezählt.

Altersteilzeit wider Willen

"Il francese" stand loyal zu "seinen" drei Päpsten. Doch als Paul VI. 1970 keinem über 80 mehr traute und die Kardinäle in Altersteilzeit schickte, trieb das Tisserant den Kardinalspurpur ins Gesicht. Im französischen Fernsehen giftete der damals 86-Jährige, der Papst sei nur auf den Applaus der Welt aus - denn diese wolle, dass die Alten verschwinden.

Öffentlich stellte der Kardinaldekan sogar den Gesundheitszustand Pauls VI. infrage. Bevor Tisserant gemeinsam mit ihm auf eine lange Asien-Reise startete, antwortete er auf die Frage, ob der Papst krank sei: "Das sieht man doch!" Dessen möglicher Amtsverzicht mit 80 werde womöglich gar nicht mehr nötig sein. Der Vatikan und der päpstliche Leibarzt beeilten sich mit einem kräftigen Dementi - und auch Tisserant ruderte schließlich noch während der Reise zurück.

Begraben ist der Franzose in seiner Titelkirche in La Storta nahe Rom. Für die Rettung von Juden während der NS-Zeit ehrte ihn die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem im Oktober 2021 posthum als "Gerechten unter den Völkern".

Quelle:
KNA
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