Warum es sich lohnt, in der katholischen Kirche zu bleiben

"Die frohe Botschaft als Chance nutzen"

Hat die Kirche noch eine Zukunft? Und was muss sich ändern? Für Religionslehrer Marcus Leitschuh lebt die Kirche von handelnden Menschen. Er ist sich sicher, es lohnt sich engagiert weiterzumachen - für eine Kirche im 21. Jahrhundert.

Symbolbild Kirchenaustritt / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Kirchenaustritt / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Können Sie noch mit gutem Gefühl sagen: "Ich bin katholisch"?

Marcus Leitschuh (Buchautor, Rektor und Religionslehrer an einer Gesamtschule in Kassel): Ich bin in diese Kirche hineingeboren und da auch großgeworden. Da ist viel Heimatgefühl und Dankbarkeit vielen positiven Erfahrungen gegenüber.

Ja, ich bin gerne katholisch. Aber nein, ich leide momentan tatsächlich auch wie viele andere unter den Strukturen dieser Kirche, unter der Sprachunfähigkeit und den Vertuschungen.

Marcus Leitschuh / © Arnulf Müller (privat)
Marcus Leitschuh / © Arnulf Müller ( privat )

DOMRADIO.DE: Viele Verantwortliche und Hierarchen in der katholischen Kirche haben sich an anderen Menschen versündigt, indem sie Betroffene von Missbrauch lange nicht ernst genommen haben. Oder Gläubige wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert und herabgewürdigt haben. Wie kann so eine Kirche noch glaubwürdig die Nächstenliebe verkünden?

Leitschuh: Kirche lebt von ihren jeweils handelnden Personen. Das gilt für Priester, aber auch für Laien. Und die positiven Erfahrungen von Kirche sind immer die positiven Erfahrungen von Menschen, die das glaubwürdig leben. Das ist auch das Erfolgsrezept, was man für die Zukunft pflegen und ausbauen muss. Dass diese positiven Erlebnisse durch Menschen möglich werden.

Wir haben eine ganze Reihe von Menschen, die durch Missbrauch andere Erfahrungen gemacht haben. Und das muss man erst mal eingestehen, das muss man auch akzeptieren. Wenn ich einiges von den Beiträgen aus den letzten Tagen lese und höre, dann habe ich nicht das Gefühl, dass das so ganz tief vorgedrungen ist, dass wir uns entschuldigen und Konsequenzen daraus ziehen müssen.

Das fängt bei mir bei einer Sprachfähigkeit an. Wie wir immer noch zum Teil hören und lesen müssen, wie Menschen, wie leitende Funktionäre dieser Kirche bis hin zum emeritierten Papst über dieses Thema sprechen - wie durcheinander, wirr und fernab unserer Realitäten.

Marcus Leithschuh

"Wir haben die Möglichkeit etwas zu verändern."

DOMRADIO.DE: Immer mehr Menschen reagieren mit Kirchenaustritt. Ist das für Sie eine Option?

Leitschuh: Nein, weil ich persönlich dieses Leid nicht erlebt habe. Wenn ich von Missbrauch betroffen wäre, würde ich womöglich anders darüber denken. Oder wenn ich es im Familienkreis erlebt hätte.

Für mich ist es keine Option, weil ich in dieser Kirche großgeworden bin und vieles positiv erlebt habe. Und auch immer noch engagiert bin und denke, wir haben die Möglichkeit, etwas zu verändern. Vieles davon - beim Synodalen Weg, wird das sehr detailliert diskutiert - ist auch zu ändern. Wir reden hier über konkrete Fragen und da wünsche ich mir Mut und Leidenschaft. Aber auch den Punkt etwas zu ändern.

DOMRADIO.DE: Immer öfter höre ich den Satz: "Die Kirche ist mir sehr wichtig, aber sogar ich bin kurz davor auszutreten." Was würden Sie diesen Menschen sagen? Wie können sie als "kleiner Teil" der Kirche etwas dagegen tun?

Leitschuh: Erstmal muss ich das akzeptieren. Das erlebe ich auch in meinem Umfeld. Wir haben momentan eine völlig andere Situation als es vielleicht vor fünf, sechs Jahren war. Ich erlebe zunehmend Menschen, die aus den Kirchengemeinden heraus austreten. Das sind nicht mehr diejenigen, die schon über Jahrzehnte einen Weg der Distanzierung hinter sich haben. Es sind nicht mehr nur die, die sowieso schon vielleicht keinen Kontakt hatten.

Sondern es sind jetzt Pfarrgemeinderatsmitglieder. Es sind jetzt Leute, die sagen, ich weiß nicht mehr, woher ich die Kraft eigentlich noch haben kann, diese Kirche glaubwürdig nach außen zu vertreten. Man wird am Arbeitsplatz angesprochen, man wird im Handballverein oder so gefragt, wie kannst du denn an einem System mitarbeiten, was Menschen ausschließt?

In einem System das, wenn der emeritierte Papst antwortet, ob er etwas gewusst hätte, völlig verquere Antworten gibt, da von irgendwelchen Masturbationsbewegungen gefaselt wird und nicht gesagt wird, nein, das geht nicht, dass ein Priester die Hose runterlässt und vor minderjährigen Mädchen masturbiert. Nein, das geht nicht! Und nicht noch irgendwelche verqueren Worte dafür findet.

DOMRADIO.DE: Was sagen Sie den Menschen, die diese Gedanken haben und sagen, ich kann damit nicht mehr leben, dass ich Teil davon bin?

Leitschuh: Ich bin nicht der Pressesprecher oder Marketing-Verantwortliche der Kirche. Ich kann nur sagen, ich habe andere Erfahrungen gemacht. Und ich erlebe viele Laien, Bischöfe und Priester, die auch anders sind und die sich redlich bemühen, dies natürlich angesichts von Priestermangel und den nicht anderen Möglichkeiten zum Priesteramt auch immer schwerer haben in den immer größer werdenden Gemeinden, diese Seelsorge zu leisten.

Wir haben in der ARD-Dokumentation "Wie Gott uns schuf" ja auch erlebt, dass es durchaus Bistümer, Bischöfe und Generalvikare gibt, die sehr positiv zu bewerten sind und die sich auch redlich mühen.

Marcus Leitschuh

"Und um was es jetzt gehen muss ist, dass die Strukturen von Kirche so sind, dass sie im 21. Jahrhundert angekommen sind."

DOMRADIO.DE: Was lässt Sie trotz allem weitermachen in der katholischen Kirche? Sie haben es eben schon gesagt, Sie verbinden auch sehr viel Positives damit. Welche Gründe gibt es allgemein für Sie, in der katholischen Kirche zu bleiben?

Leitschuh: Ganz persönlich erlebe ich, dass es wichtige und richtige Einrichtungen der Kirche gibt. Ob das Kindergärten, Krankenhäuser, Schulen oder Seelsorgeangebote sind, die den Menschen wirklich helfen. Es wäre verdammt schade, wenn diese Einrichtungen nicht mehr da wären. Ich sehe auch nicht, dass sie einfach so von irgendeiner Firma übernommen werden könnten. Das ist der eine Bereich.

Ich denke auch, dass die frohe Botschaft, das Evangelium, das Vorbild Jesu tatsächlich Optionen sind, die für die Zukunft der Welt, den Klimawandel, die Probleme, die wir auf der Welt haben, wichtige Botschaften sein können. Und um was es jetzt gehen muss ist, dass die Strukturen von Kirche so sind, dass sie im 21. Jahrhundert angekommen sind, dass wir verstanden werden können und dass wir auch den Menschen gerecht werden können. Ich glaube, dann haben wir auch durchaus mit der Botschaft wieder eine Chance.

Das Interview führte Michelle Olion.

Quelle:
DR