Wachsende Spannung vor US-Grundsatzurteil zu Abtreibungen

"Wir haben eine einzigartige Möglichkeit"

Die US-Bundesstaaten bereiten sich auf die Konsequenzen eines erwarteten Grundsatzurteils zu Abtreibung vor. Das könnte den legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen deutlich einschränken.

Autor/in:
Von Bernd Tenhage
Abtreibungsgegner schwenken eine amerikanische Fahne beim "Marsch für das Leben"  / © Jose Luis Magana (dpa)
Abtreibungsgegner schwenken eine amerikanische Fahne beim "Marsch für das Leben" / © Jose Luis Magana ( dpa )

In letzter Minute haben es sich die Gesetzgeber in Florida noch einmal anders überlegt. Statt die Blaupause aus Texas zu nutzen, beschreitet die republikanische Mehrheit im Parlament des Sonnenstaates andere Wege. Zu groß ist die Sorge, dass ein solches Gesetz keinen Bestand haben könnte.

Strenge Regeln in Texas

In Texas gelten die landesweit strengsten Regeln zu Abtreibung. Schwangerschaftsabbruch ist verboten, sobald der Herzschlag des Fötus festgestellt werden kann, in der Regel also nach sechs Wochen. Selbst bei Vergewaltigung oder Inzest sieht das Gesetz keine Ausnahmen vor. Eine Besonderheit: Bürger sollen die Einhaltung des Gesetzes überwachen und können Ärzte und Helfer verklagen, die bei einem Abbruch mitwirken.

Dass die Parlamentarier in Florida einstweilen davon absehen, die Bestimmungen aus Texas zu übernehmen, heißt umgekehrt nicht, dass sie die bestehende Regelung erhalten wollen. Bislang haben Frauen bis zum Zeitpunkt der Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs straffreien Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch. Eine Wartezeit ist nicht vorgesehen.

Grundsatzurteil von 1973

US-Grundsatzurteil zu Abtreibung "Roe gegen Wade"

Im Grundsatzurteil "Roe gegen Wade" (Roe versus Wade) entschied der Oberste Gerichtshof der USA am 22. Januar 1973, dass staatliche Gesetze, die Abtreibungen verbieten, gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstoßen. Seither sind in den meisten US-Bundesstaaten Abtreibungen nahezu uneingeschränkt möglich.

Oberstes US-Gericht kippt liberales Abtreibungsrecht / © Steve Helber/AP (dpa)
Oberstes US-Gericht kippt liberales Abtreibungsrecht / © Steve Helber/AP ( dpa )

Das entspricht dem bisherigen nationalen Standard nach dem Grundsatzurteil "Roe v. Wade" von 1973. Demnach darf eine Frau die Schwangerschaft bis zum Zeitpunkt der Lebensfähigkeit des Fötus abbrechen - die damals mit der 28., heute etwa mit der 24. Woche angesetzt wird. Nach dem dritten Schwangerschaftsmonat darf der Staat das Abtreibungsverfahren regulieren, allerdings nur soweit zum Schutz der Gesundheit der Frau nötig.

Die Gesetzgeber in Florida orientieren sich nun an dem Gesetz in Mississippi von 2018, das Abtreibungen nach der 15. Woche verbieten will. Das oberste Gericht führte bereits Anhörungen im Fall "Dobbs v. Jackson Women's Health Organization" durch, deren Verlauf bei Experten den Eindruck hinterließ, der Supreme Court werde das Gesetz in Mississippi bestätigen - und fünf Jahrzehnte Rechtsprechung über den Haufen werfen.

Erin Grall sieht in dem bis zur Jahresmitte erwarteten Urteil eine Steilvorlage für die Abgeordneten in Florida. "Wir haben eine einzigartige Möglichkeit", meint die Republikanerin, die ihre Kollegen überzeugte, nicht dem Weg von Texas zu folgen. "Wir wollen so viele Babys retten wie möglich, sobald die Entscheidung gefallen ist."

Abtreibungsverbot nach der 15. Wochen

Gouverneur Ron DeSantis, der mit dem Gedanken spielt, für das Weiße Haus anzutreten, hat bereits Bereitschaft signalisiert, ein Abtreibungsverbot nach der 15. Woche zu unterschreiben. Dieses Gesetz sei "sehr vernünftig", so der Republikaner.

Die Befürworter der bisherigen Regelung sind entsetzt. "Das ist verheerend für Patienten aus den Nachbarstaaten", meint Olivia Cappello von Planned Parenthood. Gemeint ist der Fortfall eines regionalen Auffangbeckens für Frauen aus Georgia, Louisiana und Alabama: Bundesstaaten, in denen Abtreibungsverbote bei einem entsprechenden Urteil des Obersten Gerichts automatisch in Kraft träten. Die Betroffenen müssten dann bis nach North Carolina reisen, um noch zu einem späteren Zeitpunkt legal die Schwangerschaft beenden zu können.

Quelle:
KNA