Vortrag zum Oasentag in der Minoritenkirche

Man muss sein wie ein Baum …

Offizial Günter Assenmacher gab in diesem Jahr den geistlichen Impuls zum Oasentag der Priester und Diakone des Erzbistums Köln. Dabei diente ihm als Ausgangspunkt ein Gedicht von Hilde Domin.

Andacht während des Oasentages im Erzbistum Köln in der Minoritenkirche in Köln / © Beatrice Tomasetti (DR)
Andacht während des Oasentages im Erzbistum Köln in der Minoritenkirche in Köln / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Zunächst ist es Poesie, die Dr. Günter Assenmacher verliest: "Ziehende Landschaft", ein Gedicht der 1909 in Köln geborenen Schriftstellerin Hilde Domin. Geschrieben nach ihrer Rückkehr aus dem Exil in Mittelamerika, 1959 veröffentlicht in ihrem ersten Gedichtband mit dem Titel "Nur eine Rose als Stütze". Darin heißt es: "Man muss weggehen können und doch sein wie ein Baum: als bliebe die Wurzel im Boden, als zöge die Landschaft und wir ständen fest. Man muss den Atem anhalten, bis der Wind nachlässt …"

Dem Leiter des Erzbischöflichen Gerichtes dienen diese Zeilen als Metapher für das, was er an diesem Nachmittag zum Ausdruck bringen will. Und so mögen sie auch von der Verfasserin selbst gemeint gewesen sein. Denn die vor den Nazis geflohene und als Hilde Löwenstein geborene Autorin beschreibt darin, mit welcher inneren Haltung sie die Jahre der Entwurzelung fernab der vertrauten Heimat erlebt und wie sie sich gegen das auflehnt, was ihr scheinbar als Schicksal aufgezwungen wird. Eine Ermutigung soll das Gedicht sein. Aufzeigen will es, dass die Wurzel fest im Boden verankert bleibt, für Stand sorgt – komme, was wolle.

Was gibt Halt in Zeiten des Umbruchs?

"Ob ein Gebäude einstürzt oder nicht, hängt an Stärke und Dauer des Bebens – und nicht zuletzt auch an seinen Fundamenten." Auch diese Feststellung trifft Assenmacher gleich zu Beginn seines Vortrags vor mehreren hundert Priestern und Diakonen des Erzbistums, um sich dann in seinen Ausführungen damit zu beschäftigen, was in Zeiten des Umbruchs wirklich trägt. "Woran halten wir uns, wenn nichts bleibt, wie es war? Wenn die Grundfesten eingerissen werden?"

Diese Fragen stellt er zunächst in den Raum und spricht dabei vor allem schonungslos die 2010 aufgekommene Missbrauchsdebatte mit ihren "zutiefst beschämenden Untaten in unserer Mitte" an, aber auch "unausgetragene Konflikte anderer Art, jahrzehntelang erwachsene Spannungen, enttäuschte Hoffnungen und eine weitgehende Rat- und Hilflosigkeit bei Papst und Bischöfen". Selbst manche Gläubige rückten zunehmend von der Kirche ab, schwiegen enttäuscht oder feindselig und blieben einfach weg, konstatiert Assenmacher. Doch seien "Erschütterungen und Risse" mittlerweile nicht mehr nur bei den anderen, sondern auch bei den Priestern selbst zu spüren, so seine kritische Analyse.

Denkanstöße und Ermutigung

Trotzdem hält Assenmacher mit sehr konkreten Betrachtungen zu dem, was ihm selbst zeitlebens Kraft für seinen priesterlichen Dienst in dieser Kirche gegeben hat, dagegen und benennt die eigenen unverzichtbaren "Fundamente", um damit gleichzeitig auch den Mitbrüdern Denkanstöße zu geben, sie auf ihr priesterliches Selbstverständnis anzusprechen und ihnen auf dem eingeschlagenen Weg Mut zu machen. Zu derart Unerschütterlichem – zu den Fundamenten – gehöre zum Beispiel die frühkindliche Erfahrung eines "Nestes" mit der leibhaften Nähe anderer, mit persönlicher Zuwendung, liebevoller Ansprache, Herzlichkeit, Wärme und Verlässlichkeit, formuliert es Assenmacher.

Denn der Mensch sei von Natur aus nun mal kein "Nestflüchter", sondern ein "Nesthocker". "Eine Kindheit, die Freude an Gott kennengelernt hat, ist eine ziemlich unverwüstliche Glaubensgrundlage", zitiert er den Psychiater Albert Görres. Er selbst schätze sich glücklich, so der 67-Jährige, eine solche Kindheit erlebt zu haben, und es erfülle ihn mit großer Dankbarkeit, in ein solches Elternhaus hineingeboren worden zu sein. Menschen, denen dieses Glück hingegen versagt geblieben sei, steckten im Leben vieles nicht so leicht weg, seien leichter verletzbar, unsicher im Blick auf ihre Mitmenschen und sich selbst, räumt der Referent ein.

Lebensentscheidung als Erfüllung einer Pflicht

Halt finde er auch in seiner priesterlichen Aufgabe, die für ihn – wie für andere – keineswegs maßgeschneidert worden sei, der es sich aber zu stellen gelte. "Eine Aufgabe, die für mich nicht ein Job ist, den ich ohne Weiteres gegen einen anderen tauschen könnte, sondern die zur Lebensaufgabe geworden ist, in die ich mein ganzes Leben einbringe", betont Assenmacher und spricht damit zugleich sehr persönlich über seine Berufung. Ihm sei damals bewusst gewesen, diese Lebensentscheidung nicht beliebig aus einer Palette unbegrenzter Möglichkeiten treffen zu können, sondern als Übernahme und Erfüllung einer Pflicht, die auf ihn gewartet habe.

Auch sei es ein großes Glück, gute Freunde zu haben, die Halt gäben. Bis heute zählten dazu Menschen, die er während seiner Zeit im Bonner Collegium Albertinum kennengelernt habe, erklärt Assenmacher. Jeder Priester brauche wirkliche Freunde, nicht nur unter seinesgleichen, sondern Männer und Frauen, mit denen tragfähige Beziehungen gelebt werden könnten. Und nicht zuletzt mache er sich immer wieder neu fest an der Feier der Eucharistie, die ihm – manchen kritischen Anfragen von außen zum Trotz – niemals nur Routine oder Ritual sei.

"Ich bin Gott dankbar, dass er mir so einen Halt gegeben hat, der mir bislang in den 42 Jahren, die ich Priester bin, nicht ins Wanken geraten ist: nicht in den glücklichen Jahren des Anfangs als Kaplan, nicht in der Situation des Studiums und des Priesterkollegs in Rom, nicht in den unterschiedlichen Aufgaben hier in Köln." Außerdem: Wer die heilige Messe feiere, sei nie allein. "Die Kirche hat mich zum Priester geweiht, ich bin Priester geworden, um die heilige Messe zu feiern – in dieser Kurzformel sind in nuce alle anderen Ausfaltungen meiner Aufgabe enthalten."

Auch die Sünde ermöglicht Gottesbegegnung

Und schließlich, so führt Assenmacher aus, könne auch die Sünde – damit bezieht er sich auf eine Äußerung von Papst Franziskus – ein "privilegierter Ort der Begegnung des Menschen mit Gott" sein. "Das gilt natürlich nicht in dem Sinne, als ob die Sünde, die ja die Trennung und Ferne des Menschen von Gott ist, uns als solche Gott näher brächte. Vielmehr soll es wohl heißen, dass Gott, wie wir es im Evangelium vom barmherzigen Vater hören, uns Sündern immer schon mit besonderer Liebe entgegenkommt." Manchmal müsse vielleicht das, was eine harte Schale sei, zerbrochen werden, ehe man an den Kern komme. "Manchmal muss man vielleicht 'ganz unten' sein." Die Trennung von Gut und Böse sei so einfach nicht, "weil wir alle aus einem Stoff gemacht sind, der 'durchwachsen' ist." Die Trennungslinie gehe mitten durch das Herz eines jeden.

Und am Ende trägt Assenmacher dann noch einmal das Gedicht von Hilde Domin vor: "Man muss weggehen können und doch sein wie ein Baum: als bliebe die Wurzel im Boden, als zöge die Landschaft und wir ständen fest …".


In jedem Jahr lädt Kardinal Woelki die Priester und Diakone des Erzbistums zum Oasentag ein. / © Beatrice Tomasetti (DR)
In jedem Jahr lädt Kardinal Woelki die Priester und Diakone des Erzbistums zum Oasentag ein. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Offizial Dr. Günter Assenmacher beim Oasentag im Erzbistum Köln / © Beatrice Tomasetti (DR)
Offizial Dr. Günter Assenmacher beim Oasentag im Erzbistum Köln / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Im Anschluss an den Oasentag bestand Gelegenheit zur Anbetung vor dem Allerheiligsten. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Im Anschluss an den Oasentag bestand Gelegenheit zur Anbetung vor dem Allerheiligsten. / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR