Vor 100 Jahren zogen die Briten in Jerusalem ein

"Schutz für jedes heilige Gebäude"

Wo, wie in Jerusalem, Heilige Stätten dreier Weltreligionen in direkter Nachbarschaft stehen, sind Konflikte vorprogrammiert. Dennoch erlebte die Stadt vor 100 Jahren einen ungewöhnlichen, friedlichen Machtwechsel.

Altstadt in Jerusalem / © Oded Balilty (dpa)
Altstadt in Jerusalem / © Oded Balilty ( dpa )

Es war vermutlich der unblutigste Machtwechsel in der langen Geschichte der Eroberungen einer der religiös wichtigsten Städte der Welt: Am 9. Dezember kapitulierte die osmanische Stadtregierung Jerusalems und übergab die Stadt kampflos den Briten.

Nach 673 Jahren unter muslimischer Herrschaft war der "Nabel der Welt" damit erstmals wieder in christlicher Hand. Mit den neuen Herrschern im Heiligen Land endete die 400-jährige osmanische Vorherrschaft in Nahost - und wurde ein weiterer Grundstein gelegt für den bis heute andauernden israelisch-palästinensischen Konflikt.

"Aus Angst, dass die tödlichen Bomben die Heiligen Stätten treffen könnten, sind wir gezwungen, Ihnen die Stadt durch Hussein Bey al-Husseini, den Bürgermeister von Jerusalem, zu übergeben", heißt es im Kapitulationsdekret der osmanischen Autoritäten an die Briten von Dezember 1917; "in der Hoffnung, dass Sie Jerusalem so beschützen werden, wie wir es für mehr als 500 Jahre getan haben."

Lieber Eier als Stadtschlüssel

Der praktische Vollzug der Kapitulation hingegen ging nicht ohne eine gewisse komische Note vonstatten - glaubt man dem Bericht, den der britische Major Vivian Gilbert wenige Jahre später veröffentlichte. Nicht bewandert in den britischen Armeegraden, soll al-Husseini sich zunächst am nördlichen Stadtrand an einen britischen Koch gewandt haben, um ihm unter weißen Fahnen die Schlüssel der Stadt zu überreichen. "Ich will deine Stadt nicht. Ich will Eier für meine Offiziere", kolportiert Gilbert die wenig freundliche Antwort.

Nicht weniger als drei Mal versuchte der Bürgermeister, Jerusalem an die neuen Herren zu übergeben, bevor die Schlüssel zwei Tage später, am 11. Dezember, in die Hände von General Edmund Allenby kamen. Dieser war im Juni 1917 Oberbefehlshaber der britischen Truppen in Ägypten geworden und hatte sich über Beerscheva und Gaza im Süden und Jaffa im Norden bis Jerusalem durchgekämpft.

Seinen Einzug in die Heilige Stadt inszenierte der General als Pilger, Befreier, Gentleman. Keine Alliertenfahne wird in Jerusalem gehisst. Bewusst demütig zieht Allenby in die Altstadt ein: zu Fuß, ohne britischen "Pomp and Circumstance" - und in szenischer Absetzung vom deutschen Kaiser Wilhelm II., der 1898 in Gala-Uniform auf einem weißen Pferd das Jaffator durchritt.

Breitflächiger Schutz für die Stadt

Allenby stellte die Stadt unter Kriegsrecht und wandte sich unmittelbar mit einem Versprechen an die Bewohner. Die Stadt werde "von den Anhängern von drei großen Religionen der Menschheit mit Zuneigung betrachtet wird und ihre Erde durch die Gebete und Wallfahrten zahlreicher frommer Menschen über viele Jahrhunderte geweiht". Daher solle "jedes heilige Gebäude, Denkmal, jeder heilige Fleck, Schrein, jede traditionelle Stätte, Stiftung, jedes fromme Vermächtnis oder jeder angestammte Gebetsplatz gleich welcher Art der drei Religionen erhalten und geschützt werden"; und zwar gemäß den "Sitten und Anschauungen derer, in dessen Glauben sie heilig sind".

Zur Unterstreichung ließ der General seinen Worten unmittelbar Taten folgen: An den wichtigsten Stätten in Bethlehem, Hebron und Jerusalem stellte er Wächter ab; die muslimischen Stätten gab er in die Hände indischer Soldaten muslimischen Glaubens.

Ende des Osmanischen Reiches

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs brach das Osmanische Reich endgültig zusammen. Großbritannien erhielt nach seiner Militärverwaltung Palästinas 1920 auch das offizielle Mandat des Völkerbundes. Allenbys friedlicher Einzug nach Jerusalem hielt allerdings nicht, was er versprach. Im Dienst eigener Kolonialinteressen verstrickten sich die Briten in widersprüchlichen Versprechen, die das Gesicht der gesamten Region bis heute prägen.

Den Arabern versprachen sie in der Husain-McMahon-Korrespondenz Unterstützung im Streben nach Unabhängigkeit, den Juden mit der Balfour-Erklärung die Schaffung einer "nationalen Heimstätte". Mit den Franzosen, die ebenfalls ein Auge auf Palästina geworfen hatten, vereinbarten sie im Sykes-Picot-Abkommen von 1916 eine internationale Verwaltung Palästinas - nur um den Landstrich wenig später einzunehmen und zu besetzen.

Als die Briten gut 30 Jahre nach der Einnahme Jerusalems wieder abzogen, wurden rund 78 Prozent des Mandatsgebiet zum neuen Staat Israel. Der Streit um das historische Palästina dauert an.

Andrea Krogmann


Quelle:
KNA