Evangel. Landeskirche Sachsen zerlegt Verschwörungsmythen

Von "Schlafschafen" und "Durchschauern"

Die Liste des Verschwörungsmythen in Bezug auf das Corona-Virus ist lang: Der Mobilfunkstandard 5G sei schuld, man wolle die Menschheit chippen, das Virus wurde als Biowaffe konzipiert.

Evangelische Landeskirche Sachsen zerlegt Verschwörungsmythen / © Christophe Gateau (dpa)
Evangelische Landeskirche Sachsen zerlegt Verschwörungsmythen / © Christophe Gateau ( dpa )

Eine evangelische Landeskirche nimmt dies nun auseinander.

DOMRADIO.DE: Inzwischen wurde ja so viel über diese Verschwörungsmythen berichtet. Warum sind sie immer noch so attraktiv für viele Menschen?

Harald Lamprecht (Mitarbeiter von Confessio, Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen bei der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen): Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Als erstes muss man sagen, Verschwörungserzählungen sortieren die Welt. Sie machen es übersichtlich.

Sie teilen die Welt in drei Gruppen: Die Bevölkerung besteht zum einen aus der kleinen Gruppe der Verschwörer. Das sind die, die die Fäden in der Hand haben. Dann gibt es die große Masse des Volkes, die "Schlafschafe", die nicht wissen, was eigentlich läuft. Und dann gibt es diese kleine Gruppe derjenigen, die meinen, es durchschaut zu haben. Das sind der Verschwörungsideologe und seine engsten Freunde.

Die sind jetzt auf einen Schlag zur geistigen Elite der Menschheit erwacht. Nur dadurch, dass sie plötzlich meinen, dass irgendwas nicht an der offiziellen Version stimmt.

DOMRADIO.DE: Es gibt aber doch genügend Wissenschaftler, die all diese Theorien, die da kursieren, klar widerlegen. Reicht das denn eigentlich nicht?

Lamprecht: Nein, das reicht offensichtlich nicht, weil es zu viele starke psychologische Effekte gibt, die solche Verschwörungserzählungen attraktiv machen. Zum anderen ist es so, dass unsere Welt ja vielfältig und komplex ist. Wir haben immer damit zu schaffen, wenn Dinge passieren, die man nicht so richtig erklären kann.

Gerade diese Corona-Epidemie ist ein mit Händen zu greifendes Beispiel dafür. Das bringt uns allen das Leben durcheinander. Und wir können nicht so richtig sagen, warum das eigentlich sein muss. Es ist eine große Beruhigung für einen Verschwörungsideologen, wenn er sagen kann: "Ja, ich weiß, warum. Denn es gibt Leute, die ein Interesse dran haben, dass das, was passiert, auch tatsächlich passiert. Sie wollen es so".

DOMRADIO.DE: Und jetzt sagen Sie im "Entschwörungs"-Training, man müsse dieses Gesamtpaket an Informationen zerlegen und die Wahrscheinlichkeit der Einzelaspekte betrachten. Wir können das mal konkret machen an dem Beispiel, dass das Virus mit Absicht losgelassen wurde, um Kontrolle über die Menschheit zu erlangen. Wie gehen wir da jetzt vor, was sind da die Schritte?

Lamprecht: Da sind bestimmte Bestandteile. Wenn man sagt, das Virus sei mit Absicht entstanden, wo ist es denn entstanden? Da gibt es die Theorie, dies sei im Labor im chinesischen Wuhan passiert. Dazu muss man sagen: Natürlich gibt es das Labor in Wuhan. Dort wird auch an möglicherweise gefährlichen Sachen geforscht. Dass dort auch Biowaffen entstehen, ist natürlich irgendwie möglich, aber nicht mehr ganz so wahrscheinlich.

Der Trick besteht darin, Verschwörungsmythen aus Dichtung und Wahrheit in einer ganz starken Weise zu mischen. Deren Anhänger versuchen mit Dingen, die tatsächlich existieren und auch gut belegt sind, Wahrscheinlichkeitspunkte für sich in der Hoffnung zu ergattern, dass man die auf das Gesamtpaket überträgt.

Da ist unser Ansatz, das zu zerlegen, um dann deutlicher zu machen, ab wo es absurd wird. Zu behaupten, dieses Virus sei absichtlich als Biowaffe produziert worden, ist insofern aus mehreren Gründen ziemlich unlogisch, weil es dafür wiederum nicht gefährlich genug ist. Es passt nicht zusammen, zu meinen, dass dieses Virus dazu dienen soll, die Menschheit auszulöschen.

Andererseits sei es doch nicht gefährlicher als ein Schnupfen. Da sind auch die Gegner der Corona-Maßnahmen in sich total widersprüchlich.

DOMRADIO.DE: Aber wir wissen auch, was solche Mythen in den Köpfen der Menschen bewirken können. Das haben wir teilweise bei den Attentätern von Christ Church und Halle gesehen. Sie haben sich klar zu solchen Theorien bekannt. Was glauben Sie, wie schnell geht so was? Solche Taten lassen doch auch manche wieder wach werden, oder?

Lamprecht: Das ist ein Grundproblem aller Verschwörungsideologien, dass sie in dem Maße Opfer erzeugen, wie behauptet wird, da gibt es Menschen, die für alles Elend der Welt verantwortlich sind. Aber diese Menschen sind zugleich so übermenschlich, weil sie ja eigentlich laut Definition alles im Griff haben. Das heißt, gegen die ist eigentlich auch jedes Mittel recht.

Der Antisemitismus ist der Klassiker aller Verschwörungsmythen, also die Behauptung, dass die Juden eigentlich im Hintergrund die Fäden ziehen und schuld sind. Dass das sehr mörderisch ist, haben wir in der Geschichte unseres Landes ja leider sehen müssen.

Aber das gilt genauso auch gegenwärtig: Sie haben die Attentäter angesprochen, die zum Teil mit Verschwörungideologien vollgepumpt waren. Es ist ja auch logisch, wenn man meint, an all dem Elend sei jemand schuld, den man nun auch benennen kann. Das sind die sogenannten Eliten. Und wer zu dieser Elite gehörig klassifiziert wird, lebt potenziell gefährlich.

Die andere große Gefahr ist, dass Verschwörungsideologien Vertrauen zerstören. Vertrauen braucht unsere Gesellschaft. Wir brauchen alle Vertrauen, damit wir leben können. Verschwörungsideologien leben aber vom Misstrauen, indem sie sagen, es stimme nicht, was einem erzählt wird, das sei eigentlich alles ganz anders. Sie unterminieren auch das Vertrauen in das Funktionieren unserer demokratischen Elemente. Insofern sind Sie grundsätzlich antidemokratisch.

Das Interview führte Carsten Döpp.

 

Quelle:
DR
Mehr zum Thema