Von Kulturerbe und grünem Biotop am Tag des Friedhofs

Begräbnisstätten sind wichtig für Naturschutz

Fast 700 verschiedene Pflanzenarten lassen sich auf nordrhein-westfälischen Friedhöfen nachweisen: Dass sie damit zu den artenreichsten Flächen zählen, ist wenig bekannt. Das soll eine Aktion jetzt ändern.

Autor/in:
Paula Konersmann
Engelskulptur auf einem Friedhof / © Anna Minsk (shutterstock)
Engelskulptur auf einem Friedhof / © Anna Minsk ( shutterstock )

Kulturerbe - ein Schlagwort wie ein Gütesiegel, das viele ausgezeichnete Stätten zu Besuchermagneten macht. Manche fürchten bei dem Label jedoch eher den krampfhaften Erhalt angestaubter Strukturen. Schwieriger greifbar als berühmte Bauwerke ist zudem das immaterielle Kulturerbe, zu dem seit zweieinhalb Jahren auch die deutsche Friedhofskultur zählt.

Tag des Friedhofs

Dabei gehe es eben nicht um ein "Mumifizieren der Friedhofskultur", betont Tobias Pehle. "Im Gegenteil: Der Friedhof ist ein Ort der Lebenden, der sich an den Bedürfnissen der Menschen heute ausrichten und weiterentwickeln muss."

Pehle ist Geschäftsführer des Kuratoriums Immaterielles Erbe Friedhofskultur. Nun teilte das Gremium im nordrhein-westfälischen Unna mit, dass am Samstag 25 Botschafterinnen und Botschafter für die Förderung der Friedhofskultur ihre Arbeit aufnehmen. Passenderweise am Tag des Friedhofs, der in diesem Jahr unter dem Motto "In Gedenken - in Gedanken" steht. Ziel sei, "dass ältere Generationen und auch deren Kinder und Enkelkinder den Friedhof als schöne Begräbnis- und Erinnerungsstätte kennenlernen, wahrnehmen und besuchen", erklärt der Bund deutscher Friedhofsgärtner.

Diese Berufsgruppe ist auch unter den Botschafterinnen und Botschaftern vertreten, ebenso Beschäftigte aus der Verwaltung, von Bestattungsunternehmen, Steinmetze und Steinmetzinnen. Die ersten Aktiven stammen neben ländlichen Regionen auch aus Städten wie Hamburg, Köln, Stuttgart, Dresden oder Frankfurt. Sie wollen in der kommenden Zeit schwerpunktmäßig darüber informieren, wie Friedhöfe die Artenvielfalt fördern oder zu einem gesünderen Stadtklima beitragen, so das Kuratorium. Denn: Der "umfassende Beitrag, den Friedhöfe für den Naturschutz und die Förderung von Biodiversität leisten", sei vielen nicht bewusst.

Grünflächen mit der höchsten Biodiversität

Die Expertise für die Aktion stammt den Angaben zufolge von der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet, die vom Landschaftsverband Rheinland gefördert wird. Dort forscht auch die Botanikerin Corinne Buch, die Friedhöfe als "ökologische Zeitkapseln" bezeichnet. Die Vegetation auf manchen Friedhöfen ähnele derjenigen vor 150 Jahren, hat Buch bei der Untersuchung entsprechender Flächen im westlichen Ruhrgebiet festgestellt. Sie hätten die Weltkriege, die Industrialisierung und den Strukturwandel überstanden.

Grablichter auf einem Friedhof / ©  Julia Steinbrecht (KNA)
Grablichter auf einem Friedhof / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Insbesondere in Städten übernehmen Friedhöfe damit gleich mehrere wichtige Funktionen - zusätzlich dazu, dass die Begräbnisorte dort oft als Oasen der Ruhe wahrgenommen werden: Sie sind auch die Grünflächen mit der höchsten Biodiversität. Vögel und Insekten fänden auf Friedhöfen ideale Nistbedingungen, so das Kuratorium. Ebenso trügen Friedhöfe zur natürlichen "Belüftung" ihrer Umgebung bei und dazu, dass Städte sich im Sommer weniger aufheizten. Auf ihrem Gelände sammle sich zudem Regen- und Schmelzwasser, sodass sich neues sauberes Grundwasser bilden könne.

Ihr sei es ein Anliegen, für diese Funktion von Friedhöfen als Rückzugsräume für seltene Tier- und Pflanzenarten zu sensibilisieren, sagt Botanikerin Buch. Durch einen Wandel in der Bestattungskultur stünden viele Städte und Kommunen vor der Frage, was mit frei werdenden Flächen geschehen solle.

Förderung der Artenvielfalt

Um zu verhindern, dass daraus Parkplätze oder Industriegebiete würden, sieht die Expertin die Bevölkerung gefragt. Oft erlebe sie Begeisterung darüber, "welche Schätze man vor Ort hat" - und dabei gehe es nicht um prachtvolle Blumen, sondern beispielsweise um eine "Mini-Heidelandschaft" auf dem Friedhof Oberhausen-Sterkrade.

Die wichtigste Maßnahme für die Förderung der Artenvielfalt sei der Erhalt von Flächen, betont Buch. Mauern und alte Grabanlagen dürften als Lebensraum nicht unterschätzt werden; zudem sei eine "naturnahe Grabgestaltung" empfehlenswert. Dazu zähle die Vermeidung von Kies, Glassteinen oder Kunstrasen. Sinnvoller sei, heimische Arten für eine ganzjährige Bepflanzung zu nutzen - von Frühblühern bis zu Heidekraut.

Eine besondere Pflanz-Aktion ist unterdessen am Samstag in Ahrweiler geplant: Auf dem Friedhof, der besonders stark von der Flut im Sommer 2021 betroffen war, bepflanzen Freiwillige gratis Gräber. Eine Anmeldung ist telefonisch möglich.

Das Stichwort: Friedhofskultur

Die Friedhofskultur in Deutschland ist seit 2020 "immaterielles Kulturerbe". Auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommission beschloss die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis.

Das immaterielle Erbe Friedhofskultur bezieht sich dabei "auf das, was Menschen auf dem Friedhof tun - trauern, erinnern und gedenken" sowie auf das Gestalten, Pflegen und Bewahren. Es sind also nicht die Friedhöfe selbst, die zum Unesco-Welterbe ernannt wurden, das wäre quasi materielles Erbe.

Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz (KNA)
Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA