Verwalter stellt Gemüseanbau auf dem Friedhof vor

Der Kreislauf der Natur

Auf dem evangelischen Friedhof Matzleinsdorf in Wien wachsen nicht nur Blumen auf den Gräbern. Der Friedhof wird dort auch zum Gemüsegarten. Friedhofsverwalter Walter Pois erklärt, wie das geht und wie die Idee ankommt.

Friedhofsverwalter Walter Pois zeigt ein mit Tomaten bepflanztes Grab auf dem Matzleinsdorfer Friedhof in Wien / © Matthias Röder (dpa)
Friedhofsverwalter Walter Pois zeigt ein mit Tomaten bepflanztes Grab auf dem Matzleinsdorfer Friedhof in Wien / © Matthias Röder ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was wächst auf ihrem Friedhof? Zumindest auf manchen Gräbern.

Friedhofsverwalter Walter Pois zeigt bepflanztes Grab (privat)
Friedhofsverwalter Walter Pois zeigt bepflanztes Grab / ( privat )

Walter Pois (Verwalter des Evangelischen Friedhofs Matzleinsdorf): Bei uns in Wien sind die Gräber meistens so gestaltet, dass ein Grabkreuz oder ein Grabstein darauf ist mit einer Steineinfassung. Die ist circa 20 bis 25 Zentimeter hoch, das heißt, wir haben eine leichte Erhöhung und die Grabfläche beträgt so zwischen zwei und zweieinhalb Quadratmetern. Die Idee dahinter ist, dass man dieses Urban Gardening umsetzt und die Gräber, um die sich niemand mehr drum kümmert, einfach in Pflege übergibt, damit das Gedenken und die Ehren des Friedhofs erhalten bleiben.

DOMRADIO.DE: Wie kam es dazu?

Pois: Nachdem die Gräber zunehmend verwahrlosen, weil niemand mehr da ist oder weil die Angehörigen die Gräber aufgeben und kein Bezug mehr vorhanden ist, war die Idee, dass man diese Freiflächen würdevoll erhält. Sowohl das Andenken der Grabsteine, weil die oft sehr wunderschön und künstlerisch gestaltet sind, als auch die Fläche darauf, dass man die in Gedenken nicht verwildern lässt, sondern einfach nutzt und ehrenvoll pflegt und unterhält. Das war der Grundgedanke.

DOMRADIO.DE: Was wächst da so an Gemüse?

Pois: Man kann alles anpflanzen von Gewürzen über Kräuter über Tomaten – bei uns in Wien sagt man Paradeiser dazu. Dann gibt es noch Salat, Kohlgemüse. Wir haben auch Rote Johannisbeeren drauf. Es ist also alles denkbar.

DOMRADIO.DE: Ist das denn irgendwie gefährlich oder ändert was am Geschmack, wenn da Tomaten und Radieschen über einem toten Menschen wachsen?

Pois: Es ist so, dass man nicht unmittelbar nach der Beerdigung etwas auf die Gräber pflanzt. Die Gräber bleiben immer mindestens zehn Jahre nach der Beisetzung als Grab erhalten. Wenn dann die Frist abgelaufen ist oder sie aufgegeben werden, sind meistens 15 bis 20 Jahre vorbei.

Zu dem Zeitpunkt ist der Mensch schon so weit vergangen und übergegangen in die Natur, dass da eigentlich keine Überreste mehr da sind, außer die Knochen. Und vom Geschmack her spüren wir da gar nichts. Wir essen das Gemüse. Das schmeckt wunderbar. Es ist biologisch. Es gibt keine Pflanzenschutzmittel auf dem Friedhof. Eine nachhaltige Sache.

Kirchliche Bestattungen laut Verein unter 50 Prozent gesunken

Der Anteil kirchlicher Bestattungen ist bundesweit erstmals unter 50 Prozent gesunken. Das ergab eine Auswertung der Verbraucherinitiative Bestattungskultur. 2020 wurden demnach in Deutschland 489.664 Bestattungen (49,7 Prozent) katholisch oder evangelisch begleitet. Im Jahr 2000 machte der Anteil kirchlicher Begräbnisse noch 71,5 Prozent aus.

Beerdigungssymbole: Weiße Lilie und Kerzen (shutterstock)
Beerdigungssymbole: Weiße Lilie und Kerzen / ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was sagen denn Menschen und die Gemeinden dazu? Finden die das alle gut oder gibt es auch kritische Stimmen?

Pois: Wir haben das eigentlich seit 2017 vorsichtig auf dem Friedhof etabliert. Die Meinungen sind jetzt momentan überwiegend positiv. Selbstverständlich gibt es ein paar kritische Stimmen, die da ein wenig vorsichtig herangehen und fragen, ob man das denn essen könne, ob es schmeckt.

Es gibt auch Leute, die sagen, es ist nicht so ihr Fall, sie schauen sich das mal an oder sie probieren es einmal. Diese Meinungen gibt es schon. Überwiegend erfahren wir aber eigentlich sehr gute Resonanz und positive Rückmeldungen.

DOMRADIO.DE: Was passiert denn mit dem Gemüse?

Pois: Es ist so gedacht, dass man das mischt, vielleicht mit Blumen und Gemüse dazwischen, sodass man das zum Eigenbedarf verwenden kann. Unser Personal macht das natürlich auch und hat große Freude daran, zum Frühstück oder Mittagessen oder fürs Abendessen sich ein paar Tomaten oder Gurken oder Peperoni zu ernten, zu genießen und mit nach Hause zu nehmen und das zu Hause zu verwerten.

DOMRADIO.DE: Das heißt, das wird dann auch von Privatpersonen benutzt, die das Ganze sozusagen mieten als Fläche?

Pois: So war es eigentlich gedacht, dass man erst einmal die Gräber pflegt und natürlich auch beobachten kann, wenn mal was aussäht, wie das wächst, was daraus entsteht und natürlich auch dann Ernten und das Genießen. Das ist der Hauptgedanke.

DOMRADIO.DE: Friedhöfe sind ja auch so eine Art grüne Lunge in der Stadt. Können Sie da beobachten, dass das den Leuten auch wichtig ist?

Pois: Wir versuchen natürlich auch, die Natur mit einzubeziehen, mit verschiedenen Insektenhotels und Nistmöglichkeiten und Unterschlupfmöglichkeiten für Tiere. Wir sind bemüht, jetzt das Bewusstsein zu vermitteln, dass wir ökologisch eine sehr wichtige Fläche in einer Großstadt sind. Da gehören natürlich gewisse Sachen dazu.

Wir haben auch Bienenstöcke auf dem Friedhof und produzieren unseren eigenen Honig. Von daher ist das Bewusstsein da und das wird auch vermehrt angenommen, diskutiert und es wird darüber gesprochen.

DOMRADIO.DE: Städte haben ja immer weniger Grünfläche und sie lassen jetzt Gräber bepflanzen. Da wächst etwas Neues, wo jemand anderes verabschiedet wird. Sehen Sie da auch eine christliche Botschaft drin?

Pois: Wir haben natürlich den Gedanken, dass wir von der Erde kommen, und zur Erde zurück kommen, so wie Staub zu Staub, Asche zu Asche. Wir gehen im Vergehen wieder in den Kreislauf der Natur über. Somit ist das ein guter Gedanke, den bereits die Natur Bestattungen mit sich führen, dass man die Asche beim Baum zum Beispiel beisetzt und die Nährstoffe wieder in den Kreislauf der Natur übergehen.

So könnte man das auch sehen, wenn man sagt: Da wachsen jetzt Gemüse und Obst drauf. Man kann das natürlich auch wieder verwerten. Oder man setzt Blumen drauf und Sträucher, wo die Bienen und die Hummeln Nahrung finden und Insekten Unterschlupf finden. Der Kreislauf ist also meines Erachtens schon da und auch mit dem christlichen Glauben vereinbar.

Das Interview führte Michelle Olion.

Das Stichwort: Friedhofskultur

Die Friedhofskultur in Deutschland ist seit 2020 "immaterielles Kulturerbe". Auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommission beschloss die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis.

Das immaterielle Erbe Friedhofskultur bezieht sich dabei "auf das, was Menschen auf dem Friedhof tun - trauern, erinnern und gedenken" sowie auf das Gestalten, Pflegen und Bewahren. Es sind also nicht die Friedhöfe selbst, die zum Unesco-Welterbe ernannt wurden, das wäre quasi materielles Erbe.

Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz (KNA)
Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR