Vor 30 Jahren: Bonn adieu - Berlin wird Regierungssitz

Vom Rhein an die Spree

Bonn, 20. Juni 1991, 21.47 Uhr: Die Würfel sind gefallen. Der Bundestag stimmt für einen Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin. Des einen Freud war des anderen Leid. Inzwischen ist Gras über manches gewachsen.

Der Reichstag spiegelt sich in der Spree / © TT Studio (shutterstock)
Der Reichstag spiegelt sich in der Spree / © TT Studio ( shutterstock )

Als Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) am späten Abend des 20. Juni 1991 die Entscheidung verkündete, brach in Berlin grenzenloser Jubel aus. Am Rathaus Schöneberg, damals noch Sitz des Senats und des Regierenden Bürgermeisters, läutete die Freiheitsglocke.

Betroffenes Schweigen dagegen in Bonn. "Ok, das war's jetzt - der Letzte macht das Licht aus!", beschreibt ein Zeitzeuge das Gefühl vieler Menschen am Rhein. Denn mit dem "Hauptstadtbeschluss" vor 30 Jahren begann das letzte Kapitel Bonns als (west-)deutschem Regierungssitz. Am Ende gaben die Stimmen von 18 Abgeordneten den Ausschlag für die Entscheidung, Parlament und Regierung nach Berlin zu verlegen.

Teilung Deutschlands überwinden

Vergeblich der fast schon flehentliche Appell des damaligen Bundesarbeitsministers und Wahl-Bonners Norbert Blüm (CDU): "Lasst dem kleinen Bonn Parlament und Regierung." Die entscheidende Wende zugunsten Berlins in der fast zwölfstündigen Aussprache brachte nach Ansicht vieler Beobachter Blüms Parteifreund Wolfgang Schäuble.

Es gehe nicht um einen "Wettkampf zwischen zwei Städten", auch nicht um Arbeitsplätze, Umzugs- oder Reisekosten, um Regional- oder Strukturpolitik, so Schäuble. "Das alles ist zwar wichtig, aber in Wahrheit geht es um die Zukunft Deutschlands." Die Teilung Deutschlands lasse sich nur überwinden, wenn man zu Veränderungen bereit sei.

Trotzdem blieben zunächst Klischees haften: hier das großmannssüchtige Berlin, dort die bescheiden-sympathische "Bonner Republik". Inzwischen haben sich die Gegensätze weitgehend in Wohlgefallen aufgelöst. Zwar kann man sie hier und da in der alten Hauptstadt noch finden, die "Ja zu Bonn"-Aufkleber - weiße Schrift auf blauem Grund mit einem roten Haken. Aber für Farbe sorgt das Thema höchstens noch in den Feuilletons.

Mehr als 20 UN-Organisationen am Rhein

Hinzu kam, dass die Folgen des Hauptstadtbeschlusses für Bonn durch das 1994 beschlossene Bonn-Berlin-Gesetz komfortabel abgepolstert wurden. Diverse Ministerien behielten ihren ersten Dienstsitz in der "Bundesstadt", die darüber hinaus von "Ausgleichsmaßnahmen" im Gegenwert von mehr als 1,4 Milliarden Euro  profitierte. Der "Lange Eugen", das ehemalige Abgeordnetenhochhaus, ist heute Herzstück des UN-Campus; mehr als 20 UN-Organisationen haben inzwischen ihr Quartier am Rhein aufgeschlagen.

Und doch fehlt manchem Alteingesessenen etwas. Das alte CDU-Hochhaus, in dem der Kanzler der 80er und 90er Jahre Helmut Kohl seine Wahlsiege feierte und 1998 seine Niederlage eingestand, ist längst abgerissen. In der SPD-Baracke schräg gegenüber sitzt ein Pizzabäcker.

An die unweit davon gelegene britische Botschaft erinnert nur noch eine verkümmerte Baumallee an der B9. Über die frühere "Diplomatenrennbahn" sausen keine hohen Politiker mehr im Konvoi mit Polizei-Eskorte, den "Weißen Mäusen". Stattdessen bestimmen Dienstwagen von Post und Telekom das Bild.

Spuren alter Diplomatenherrlichkeit in Bad Godesberg

Die alten Zeiten kommen nicht wieder, seufzt Michael Wenzel, der als "Botschaftsführer" Besuchergruppen mit der jüngeren Bonner Geschichte vertraut macht. Vor allem im Stadtbezirk Bad Godesberg können Flaneure hier und da noch Spuren alter Diplomatenherrlichkeit entdecken. Von der ehemaligen päpstlichen Nuntiatur über die als Außenstelle reaktivierte und immer noch imposante chinesische Botschaft bis hin zu den von Unkraut romantisch überwucherten und offenbar schwer verkäuflichen Residenzen des Iran oder Nigerias.

Neben den Diplomaten haben auch die meisten Lobbyisten "rübergemacht , die einst Bonn und sein Umland bevölkerten. Der Verband der Fleischwirtschaft oder die deutschen Papierfabriken gehören zu jenen, die übrig geblieben sind - dazu die Welthungerhilfe und andere entwicklungspolitische Organisationen.

Ein Hauch von Tragik umflort den nach den Plänen von Architekt Günter Behnisch in Bonn errichteten neuen Plenarsaal. Das Gebäude wurde am 30. Oktober 1992 eingeweiht; da war der Umzug nach Berlin längst beschlossen. Der Bau bleibt ein Juwel inmitten eines gesichtslosen und überteuerten Kongresszentrums mit dem hochtrabenden Namen World Conference Center Bonn. Der Riesenklotz wird derzeit als Corona-Impfzentrum genutzt.

Von Joachim Heinz


Quelle:
KNA
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