Die Möbel aus dem Lager geholt, Transporter gepackt: Während in Europa immer mehr Klöster wegen Nachwuchsmangels schließen, ist es in Dortmund andersherum: Vier Sießener Franziskanerinnen aus Bad Saulgau in Baden-Württemberg haben sich auf den Weg in die Dortmunder Innenstadt gemacht, um hier einen neuen Konvent zu gründen.
Der Paderborner Erzbischof, Udo Markus Bentz, hatte die Ordensfrauen eingeladen, "mitten in der Anonymität und Schnelllebigkeit der City" Orte zu schaffen, "an denen der Glaube wachsen kann, Menschen sich begegnen und Kraftquellen finden können".
Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) hat sie rund um den Neustart begleitet. Kurz vor dem Umzug hat Schwester Marilen Arteaga (66) im Februar nur eine diffuse Vorstellung von dem, was sie in Dortmund erwartet. Eine 5-Zimmer-Wohnung in der Nähe der Propsteikirche bietet jeder Schwester ein eigenes Zimmer, ein gemeinsames Wohnzimmer, Küche und Bad. Ob der Esstisch seinen Platz in einer Ecke des Flurs finden wird oder doch in der Küche? "Wie genau, müssen wir dann mal vor Ort schauen", sagt sie entspannt.
Was genau die Schwestern in Dortmund tun werden, ist noch offen. Zunächst wollen sie Stadt und Menschen kennenlernen und herausfinden, wo die besten Orte für Begegnungen sind. "Die Leute müssen uns beschnuppern können. Nach und nach wird sich zeigen, was wir tun, was für sie hilfreich ist." Auf jeden Fall wollen sie ihre Gebetszeiten für die Menschen vor Ort öffnen.
Erstes Zurechtfinden und Ankommen
Einen Monat später sind die meisten Umzugskisten ausgepackt. Der Esstisch hat seinen Platz am Ende des Flures gefunden. Viel Platz haben die Schwestern nicht, deshalb wollen sie im kommenden Jahr ins dann renovierte Nachbargebäude umziehen. Doch zur ersten Orientierung in der neuen Umgebung reicht die kleine Wohnung aus.
In ihrem kleinen Wohnzimmer mit Gebetsecke berichten die Schwestern im Gespräch mit der KNA, was sie für den Neustart motiviert hat. Schwester Maria (69) war lange Jahre in der Ordensverwaltung der Franziskanerinnen im Sießener Mutterhaus tätig. Nach ihrem letzten Dienst nahm sie eine Auszeit - und war dankbar, von der Provinzoberin gefragt zu werden, ob der Neustart in Dortmund nicht etwas für sie wäre. Hier sollte sie einmal die Zahlen beiseite lassen und sich voll auf die Menschen konzentrieren. "Das ist für mich ein Geschenk, diesen Neustart mitgehen zu dürfen", sagt Schwester Maria.
Ganz verschiedene Qualifikationen
Schwester Annette (59) hat die meiste Zeit ihres Ordenslebens in Außenkonventen verbracht - so lebte sie allein 16 Jahre in Berlin. Sie hat 30 Jahre lang als Erzieherin gearbeitet und genoss zuletzt die Stille und Zurückgezogenheit im Sießener Mutterhaus. Doch als sie die Fotos aus Dortmund sah und hörte, was dort von den Schwestern erwartet würde, "hatte ich Lust, nochmal aufzubrechen", sagt sie. Nur halb im Ernst berichtete sie der Provinzoberin von diesen Gedanken.
Doch die sagte, sie habe in Verbindung mit Dortmund auch schon an sie denken müssen. "So zeigt sich für mich das Wirken des Heiligen Geistes", sagt Schwester Annette. Schwester Franja (34) ist die Jüngste unter den Pionierinnen und hat noch keine Ewigen Gelübde abgelegt. Sie hat Biologie und Naturschutz studiert und freut sich besonders über die Konventsgründung in Dortmund. Denn so kann sie ihrem Beruf in der Naturschutzbehörde weiter nachgehen: zwei Tage die Woche in Präsenz und den Rest der Woche aus dem Homeoffice.
Konventsgründung als Führung Gottes
Schwester Marilen hat die vergangenen 16 Jahre mit verschiedenen Aufgaben im Mutterhaus verbracht - zuletzt war sie für die Ausbildung der Novizinnen zuständig. Das Sießener Kloster liege etwas abgelegen in schöner Landschaft, sagt Schwester Marilen. Doch das Mitleben mitten in der Stadt sei, was den Kontakt zu Menschen angehe, etwas ganz Anderes. So sei es ihr Wunsch gewesen, nochmal in eine große Stadt zu ziehen, wo man "eine von vielen" sei.
Dortmund ist laut Statistiken überdurchschnittlich stark durch Armut und Kriminalität geprägt. Doch ihre ersten Begegnungen mit den Dortmundern sind positiv. Auf dem Markt sei sie angesprochen worden, berichtet Schwester Marilen: "Schön, dass es mal wieder Nönnekes hier gibt". Die
Frau habe in ihrer Schulzeit gute Erfahrungen mit Ordensfrauen gemacht und freue sich jetzt, diese im Stadtbild zu entdecken. Überhaupt begegne man ihnen mit sehr viel Aufgeschlossenheit und Wohlwollen. Nun wollen die Schwestern gemeinsam herausfinden, wofür man sie in Dortmund braucht. «Das kann dieses Jahr anders aussehen als in zwei Jahren», sagt Schwester Franja. Die Gesellschaft ändere sich.
Dortmund kennengelernt
Nach einem guten halben Jahr haben die Schwestern Einiges unternommen, um Dortmund, seine Bewohner und Herausforderungen kennenzulernen. Wie Schwester Marilen berichtet, waren sie bei der Obdachlosenseelsorge, in der Suppenküche und haben Kontakte mit der Hochschulseelsorge geknüpft.
Sie haben ein Zentrum für interkulturelle Begegnung und die Katholischen Erwachsenen- und Familienbildung besucht und die Mitarbeitenden der Citypastoral in Dortmund kennengelernt. Auf Einladung des Intendanten waren sie im Konzerthaus. Und sie ließen die Stadt auf sich wirken, zum Beispiel beim Westparkfest.
Aus all diesen Vernetzungs- und Informationstreffen sind erste Projekte und Anfragen entstanden: Die Schwestern bieten dienstags und donnerstags Gebetszeiten an, zu denen jeder eingeladen ist: "Immer mehr Leute kommen und beten einfach das Stundengebet mit uns".
Außerdem gestalten sie mittwochs und freitags eine Anbetungszeit mit eigenen Impulsen - auch dazu komme immer eine Handvoll Leute. Für die Mitarbeitenden des Sozialdienstes katholischer Frauen haben sie einen Besinnungstag vorbereitet. Das sei "vorher nicht unser täglich Brot" gewesen, aber "da gehen wir jetzt einfach mal rein", kommentiert Schwester Marilen.
Präsenzdienst und ethisches Investment
Jede der Schwestern hat inzwischen eine regelmäßige Aufgabe. Schwester Maria macht vor allem Präsenzdienste im Kolumbarium (Begräbniskirche) und in der Kirche Sankt Franziskus - damit beide trotz Kriminalität und Vandalismus offen bleiben könnten. Das sei "schon ein bisschen konträr zu dem, was sie vorher gemacht hat", meint Schwester Marilen. Da müsse man warten können - und nicht unbedingt Hochleistungen erbringen. Aber Schwester Maria lasse sich gut auf diese Aufgabe ein.
Mehr auf ihren beruflichen Erfahrungen baue eine andere Aufgabe auf, die sie inzwischen gefunden hat: Die ehemalige Ökonomin biete in der Vortragsreihe "Paulus Forum" gemeinsam mit einem Professor aus Wien einen Vortrag zum Thema "ethisch nachhaltig wirtschaften und investieren" an.
Schwester Franja lernt neben ihrem Beruf mit einer Gruppe von Taufbewerbern und Konvertiten zusammen den Glauben noch mal neu kennen. Sie bietet einmal im Monat in Kooperation mit dem Katholischen Forum ein Bibelgespräch an. Außerdem beteiligen sich die Schwestern an einer Reihe von Buchbesprechungen zum Thema "Stärkung der Demokratie". Schwester Annette hat eine Mitarbeit im Kindergarten begonnen - als zusätzliche Unterstützung für die Mitarbeitenden und Kinder; sie schaut, wo gerade Bedarf ist.
Deutschkurse und geistliche Impulse
Sie selbst engagiere sich, indem sie im "Raum vor Ort" Deutschkurse für Roma-Frauen anbiete, die schon lange in Deutschland seien, aber zum Teil nur sehr gebrochen Deutsch sprächen. "Bevor man weiß, ob man eine Aufgabe auf Dauer übernehmen sollte, muss man sie eine Zeit lang ausprobiert haben", meint Schwester Marilen. Man brauche Zeit, um die Menschen kennenzulernen und einschätzen zu können, ob das Angebot jetzt so passe.
Immer wieder werden die Schwestern für geistliche Impulse und Begegnungen angefragt. Gemeinsam mit dem Katholischen Forum bieten sie Exerzitien im Alltag an, und eine Gruppe für Menschen, die sich trotz Kirchenaustritt oder Entfremdung mit der Institution Kirche dem Glauben weiterhin verbunden fühlen.
Eine große Aufgabe für die Schwestern ist die Organisation des für September 2026 geplanten Franziskusfests im Propsteihof. Für die Schwestern ist das Neuland. "Ich hatte noch nie die Leitung von so einem Fest, wo alle Fäden zusammenlaufen", sagt Schwester Marilen. So werden die Schwestern in Dortmund immer wieder mit für sie persönlich neuen Herausforderungen konfrontiert.
Wo will Gott uns haben?
Schwester Marilen betont, die Schwestern seien noch immer in der Kennenlernphase. "Und je mehr man kennenlernt, desto mehr merkt man auch, was man alles noch nicht kennt." Es bleibe abzuwarten, in welchen Bereichen sich die Schwestern in Zukunft mehr engagieren und aus welchen sie sich wieder zurückziehen. "Wir versuchen immer wieder zu hören: Wo will Gott uns eigentlich haben?"
Deshalb tauschen sich die Schwestern regelmäßig darüber aus, wo sie "Gottes Spuren" entdeckt haben und wo sie den Eindruck haben, da ist ihnen etwas geschenkt worden. Schwester Marilen wünscht sich, dass sich die Schwestern die Offenheit für Gottes Ruf bewahren.