Viele Tibeter sollen sich gestellt haben - Medien: Papst soll China kritisieren

Stirbt die Wahrheit zuerst?

In Tibet sollen sich nach chinesischen Presseberichten 105 Teilnehmer gewaltsamer Ausschreitungen der Polizei gestellt haben. Ein hoher Funktionär in Tibet sagte, Aufrührer hätten "geprügelt, zerstört, geplündert und gebrandschatzt". Einige hätten nun das geraubte Geld zurückgegeben. Internationale Beobachter bezweifeln den Wahrheitsgehalt der Aussagen. Derweil werden Forderungen an den Papst lauter, Chinas Vorgehen zu kritisieren.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Die Polizei hatte den Demonstranten ein Ultimatum bis Montagnacht gestellt. Dabei wurde jedem "Milde" zugesichert, der sich freiwillig stellt und weitere Namen nennt. Nach Berichten aus Lhasa strahlt der örtliche Fernsehsender inzwischen Bilder von Männern und Frauen aus, die von der Polizei gesucht werden.

Bei den Unruhen seien 13 Personen getötet worden, an 300 Stellen sei Feuer gelegt worden, berichtete Xinhua. Zeitweise hatten die chinesischen Behörden auch von 16 Toten gesprochen. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bei den anti-chinesischen Protesten in Tibet 100 bis 300 Menschen getötet wurden.

Nach amtlicher Darstellung haben die Demonstranten "Schulen, Banken, Krankenhäuser, Läden, Regierungsstellen, öffentliche Einrichtungen und staatliche Medienbüros" angegriffen. Die örtliche Verwaltung bezifferte die Schäden auf mehr als 99 Millionen Yuan (rund 8,9 Millionen Euro).

Papst in der Kritik
Rätselraten, aber auch Polemik gibt es in den italienischen Medien über das "Schweigen" des Papstes zu den Vorgängen in Tibet. In einem leidenschaftlichen Appell - "Schluss mit dem Blutvergießen!" - hatte Benedikt XVI. am vergangenen Sonntag zum Ende der Gewalt im Irak aufgerufen. Doch kein Wort zu den Zusammenstößen in Lhasa. "Falsche diplomatische Rücksichtnahme" und "zuviel Realpolitik" kritisieren Kommentatoren - und "Rücksichtnahme auf Chinas Katholiken" und Angst, die staatlichen Behörden zu verprellen, mit denen der Vatikan derzeit wieder den Dialog sucht.

Kirchenhistoriker und vatikanische China-Experten machen dagegen geltend, die Lage sei noch zu unübersichtlich; der Heilige Stuhl verfüge hier nicht über eigene Informationsstränge.

Für ein wenig mehr Klarheit im Spekulationsgewirr sorgte jetzt der neue Chefredakteur der Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano", Gian Maria Vian. Der Papst habe sich bislang nicht öffentlich geäußert, weil sich der Vatikan traditionell um äußerste Vorsicht bemühe, erst recht in so schwierigen Situationen. Möglicherweise werde er dies aber in den kommenden Tagen tun, vielleicht bei der Generalaudienz am Mittwoch oder an Karfreitag oder gar zu Ostern, äußerte Vian in einem Interview der Zeitschrift "liberal" (Dienstag). Ansonsten habe der Vatikan die blutigen Zusammenstöße keinesfalls verschwiegen. Sowohl der "Osservatore" als auch Radio Vatikan oder das Presseamt seien darauf eingegangen.

"Der Heilige Stuhl agiert, aber er wägt die Mittel der Aktion gründlich ab", deutete Vian die bisherige Zurückhaltung des Papstes. Im Übrigen habe ja auch der Dalai Lama einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking als inopportun bezeichnet. Zudem zeige ein Blick in die Geschichte, dass das "Schweigen" des Papstes oft Hand in Hand mit regen diplomatischen Aktivitäten gehe. Ausdrücklich erinnerte Vian an das vielfach beanstandete "Schweigen von Pius XII." 1939 zum italienischen Einmarsch in Albanien oder zum deutschen Überfall auf
Polen: "Wir wissen heute, dass es eigentlich kein Schweigen war".

Für manche Irritationen hatte schon gesorgt, dass der Papst den Dalai Lama bei seinem Rom-Besuch im Dezember nicht in Audienz empfing. Es habe keine offizielle Anfrage gegeben, hieß es damals im Vatikan. Im Übrigen habe Benedikt XVI. den Religionsführer und Friedensnobelpreisträger schon im Oktober 2006 zu einem privaten Austausch empfangen; für ein neues Gespräch gebe es keinen ausreichend starken Grund. Der Papst sei derzeit sehr beschäftigt.

Mit Blick auf Tibet räumte Vian jetzt ein, die vatikanische Vorsicht und Zurückhaltung hänge mit möglichen Repressalien für die christliche Minderheit in China zusammen; es gebe aber auch andere Gesichtspunkte. Die Informationskanäle seien jedenfalls immer offen.

Anders als nach 1949, als der Nuntius aus der Volksrepublik vertrieben wurde und die Christenverfolgungen begannen, gebe es heute Kontakte, zahlreiche positive Entwicklungen und anhaltende Verhandlungen, so Vian.

Rückschlüsse auf das vatikanische Agieren im Tibet-Konflikt ziehen Beobachter auch aus der Tatsache, dass erst vor einer Woche im Vatikan die vom Papst eingerichtete China-Konferenz tagte. Benedikt XVI. hatte sie im Umfeld mit seinem vielbeachteten Brief an die chinesischen Katholiken vom Juni 2007 ins Leben gerufen. In dem Schreiben selbst bot er Peking den Dialog bis hin zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen an. Gleichzeitig unterstrich er das katholische Selbstverständnis etwa in der Frage der Bedeutung der Bischofsernennungen und der Zuständigkeit Roms.

Die Kommission hatte in der vergangenen Woche über den Brief und seine Resonanz bei den chinesischen Katholiken wie bei den staatlichen Behörden beraten. Und sicher werden die versammelten China-Experten und Vatikan-Minister auch Empfehlungen zum taktischen und strategischen Umgang mit dem potenziellen Dialogpartner in Peking abgegeben haben. Gleichwohl hat der Vatikan stets klargemacht, dass er zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen auf Dauer nicht schweigt.