Welche Aufgaben bleiben nach dem Anti-Missbrauchsgipfel?

"Verhindern, dass Eltern ihre Kinder der Kirche nicht mehr anvertrauen"

Die vergangenen Tage standen ganz im Zeichen des Anti-Missbrauchsgipfels. Für den Pastoraltheologen Paul Zulehner nur ein Startschuss. Mitentscheidend werde, wie man verhindern kann, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr der Kirche anvertrauen.

Kind in einem Gottesdienst / © Harald Oppitz (KNA)
Kind in einem Gottesdienst / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie ist Papst Franziskus mit dem Thema Missbrauch umgegangen?

Paul Zulehner (Wiener Pastoraltheologe und Religionssoziologe): Es war sehr wichtig, dass er die Bischöfe aller Welt zusammengerufen hat. So wie wir aus der Forschung über unsere Gesellschaft wissen, dass es bei uns im Laufe der Entwicklung sehr starke kulturelle Unterschiede gegeben hat, sind auch die Kulturen in der Welt sehr verschieden. Der Papst wollte die Bischöfe überhaupt erst einmal aufmerksam machen, dass hier ein fundamentales Problem besteht, an dem man nicht mehr vorbeikommt, wo man hinschauen und wirklich entschlossen aufarbeiten muss.

Ich glaube, diese Synodalität, die der Papst praktiziert, war ganz wichtig - das Zusammenrufen, ein Stück des gemeinsamen Weges zu gehen. Interessant ist, dass der Papst ja nur den Auftakt gemacht hat und am Schluss einige Punkte zusammenfasste, die er aus den Gesprächen und den Vorträgen mitgenommen hat.

DOMRADIO.DE: Was hat das Treffen aus Ihrer Sicht gebracht?

Zulehner: Ich denke, dass viele Menschen sehr unzufrieden waren, weil sie sich möglicherweise sehr konkrete und klare Ergebnisse erwartet haben, die für unseren deutschsprachigen Raum und unsere moderne Kultur selbstverständlich sind. Ich denke an die Erzdiözese Wien, die zehn Jahre durch die "Causa Groer" einen Vorlauf hatte (gegen den 2003 verstorbenen Kardinal Hans Hermann Groer gab es Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs, Groer schwieg zu den Vorwürfen eisern - bis zu seinem Tod, Anm. d. Red.). Wir hatten an der Universität ein riesiges Symposium, wo wir sagten: "Man muss das wirklich ernst nehmen und die Opfer wahrnehmen. Man kann nicht den Schutz der Institution vor den Schutz der Opfer setzen". Wir hatten uns damals schon sehr stark mit Prävention beschäftigt.

Ich denke, dass in den Schlüsselpunkten, die zu einer sehr konkreten Lösung in den nationalen Bischofskonferenzen führen müssen, der Startschuss erfolgte. Diese Zusammenkunft als Abschluss zu betrachten und zu sagen "jetzt haben wir's", wäre eine völlige Fehleinschätzung. Es ist ein Startschuss gewesen. Man hat ein weltkirchliches Bewusstsein erreicht, die verschiedenen Bischofskonferenzen auf den gleichen Stand zu bringen und sie mit Opfern zu konfrontieren - was ja auch ein wichtiger Vorgang war - und darüber nachzudenken, wie man das aufarbeiten kann. Ich denke, der entscheidende Punkt für die Zukunft ist nicht nur das Aufarbeiten der Vergangenheit, sondern wie die Kirche verhindern kann, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr der Kirche anvertrauen. Man muss der Prävention vertrauen.

Da geht es natürlich um die Frage der Priesterausbildung und um ein psychologisches Screening vor der Weihe. Das heißt, wer immer in der Pastoral tätig ist, muss im Team arbeiten und braucht Supervision. Es gibt eine Handvoll von ganz konkreten Dingen, die, so hoffe ich, nicht nur in den Bischofskonferenzen in Österreich - da sind wir sehr weit - und in Deutschland, sondern auch in anderen Bischofskonferenzen beschlossen werden.

DOMRADIO.DE: Die Priester hatten früher einen Vertrauensvorschuss. Das ist heute aufgrund der aufgedeckten Missbrauchsfälle manchmal andersherum. Menschen sind misstrauisch. Welches Priesterbild sollte das Ziel in unserer heutigen Zeit haben und wie konkret könnte man das dann erreichen?

Zulehner: Ich vergleiche immer gerne eine Taufliturgie mit einer Primiz. Da sieht man, dass in der Bevölkerung ein archaischer Wunsch vorhanden ist, dass der Himmel offen ist und einer diesen Himmel repräsentiert. Auch das gläubige Volk hatte die Priester in einer unglaublichen Weise überhöht - fast wider das Evangelium, in einer heidnischen Weise. Ich denke, der Dienst des Priesters muss wieder ganz auf den Boden gestellt werden - als Dienstleistung an den lebendigen Gemeinden. Der einzige Dienst, den ein Priester zu leisten hat, sollte vor allem sein, dass die anvertraute Gemeinde in der Spur des Evangeliums bleibt. Und da gibt es dann keine Grundlage mehr für eine Überhöhung, ein mystisches Priesterbild oder eine falsch verstandene Heiligkeit des Amtes. Wir sind als Priester nicht hochwürdiger als alle Frauen und Männern, die Gott seiner Kirche hinzugefügt hat.

DOMRADIO.DE: Wie kann man aus Ihrer Sicht sexuellen Missbrauch vorbeugen?

Zulehner: Ich glaube, dass wir in der Diskussion momentan sehr auf die Kirche konzentriert sind. Das ist legitim. Es ist ja auch schwierig, dass sich die Kirche in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einbringt. In manchen Fragen hat sie ja schon längst eine Art Vorreiterrolle geleistet - ich denke da an die Klasnic Kommission (Unabhängige Opferschutzanwaltschaf, Anm. d. Red.), die eine sehr gute Arbeit geleistet hat, um die Missbrauchsopfer in der Erzdiözese Wien und in Österreich aufzuarbeiten.

Ich denke, das kulturelle Problem besteht darin, dass aus den Familien heraus offensichtlich immer noch Personen mit emotional-sexueller Unreife in die verschiedensten Bereiche der Gesellschaft hineinkommen. Übrigens auch in die Familien, nicht nur in das pädagogische Personal. Und diese Menschen mit sexueller Unreife kommen nun in die Kirche. Da hat die Kirche die extreme Aufgabe, sicherzustellen, dass niemand Priester wird, der diese sexuelle Unreife dann im priesterlichen Amt in der Pastoral ausspielen kann. Diese Aufgabe ist eine mega Herausforderung in der gesamten Kultur. Und die Kirche ist ein Teil davon. Diese Aufgabe wird in der Kirche erschwert durch das überhöhte Priesterbild und die Konzentration der Priester in den Priesterseminaren und so weiter.

DOMRADIO.DE: Ja, man fragt sich, ob die Priesterseminare dann der richtige Ort für so einen Reifungsprozess sind. Wie kann man denn sexuelle Reife hier überhaupt feststellen?

Zulehner: Das ist ganz schwierig. Ich war drei Jahre im Priesterseminar in der Erzdiözese Wien, gleich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Damals gab es eine Psychologin. Niemand wurde zur Weihe zugelassen, der nicht einen ganz klaren Blick auf seinen psychosexuellen Reifungsprozess geworfen hat. Natürlich kann man da nichts sicherstellen. Dies ist ja auch nicht sicherstellbar, wenn jemand heiratet oder jemand evangelischer Pastor wird.

Wir haben in allen Bereichen Leute, die trotz sexueller Unreife durchkommen - und sich dann nachher ja auch nicht auf die erwachsene Beziehung einlassen, sondern auf ein Machtgefälle, wo sie sexuell mit Menschen zu tun haben, die ihnen unterlegen sind. Das ist, glaube ich, das Hauptproblem. Wenn dann noch die Überhöhung des Priesters hinzukommt, ist das Gefälle noch viel größer. Und das Vertrauen, das kaputtgemacht wird, auch.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Paul Zulehner, Pastoraltheologe / © Lukas Ilgner (KNA)
Paul Zulehner, Pastoraltheologe / © Lukas Ilgner ( KNA )
Quelle:
DR
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