Vatikanexperte zweifelt an Inhaftierung von Kardinal Becciu

"Kann ich mir schlecht vorstellen"

Die außergewöhnliche Verurteilung von Kardinal Becciu bereitet dem Vatikanexperten Ulrich Nersinger Bauchschmerzen. An eine Inhaftierung des Kardinals glaubt er nicht. Korruption im Vatikan sei damit auch noch nicht besiegt.

Blick auf den Petersdom aus einem Fenster in der Vatikanstadt / © Aldo91 (shutterstock)
Blick auf den Petersdom aus einem Fenster in der Vatikanstadt / © Aldo91 ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der Ausgang dieses Mammut-Prozesses war im Vorhinein schwer abzusehen. Von Haft bis Freispruch war alles drin. Wie bewerten Sie das Urteil jetzt? 

Ulrich Nersinger (Vatikanjournalist und Buchautor): Mir verursacht die ganze Angelegenheit doch heftige Bauchschmerzen. Das, was da alles geschehen ist, weicht von der Normalität und von der üblichen Praxis ab. 

Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

Die Prozessverantwortlichen, die Prozessobjekte und die Prozessführung weichen doch sehr stark vom üblichen Prozedere ab. 

Wir haben Richter und Staatsanwälte, die eigentlich von außen kommen, aus Italien, und mit der vatikanischen Rechtspraxis eigentlich nicht vertraut sind. 

Wir haben außergewöhnliche Leute, gegen die man vorgeht, und wir haben eine Prozessführung, die dauernd geändert worden ist und in die der Papst immer wieder eingegriffen hat, indem er beispielsweise neue Vorgaben gemacht hatte.

DOMRADIO.DE: Was heißt das jetzt für Kardinal Becciu? Muss er tatsächlich ins Gefängnis? 

Nersinger: Das ist die große Frage, ob das geschieht. Wenn wir uns mal die letzten großen Prozesse anschauen, etwa Vatileaks, gewinnt man manchmal den Eindruck, dass es schon zur Begnadigung kommt, bevor das Urteil überhaupt zugestellt wird. 

Ulrich Nersinger

"Erst einmal stellt sich die Frage: Wo soll man den inhaftieren? Im Vatikan haben wir nur provisorische Gefängniszellen."

Das wissen wir natürlich in diesem Fall nicht. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass man den Kardinal wirklich in Haft nimmt. 

Giovanni Angelo Becciu / © Paul Haring (KNA)
Giovanni Angelo Becciu / © Paul Haring ( KNA )

Erst einmal stellt sich die Frage: Wo soll man den inhaftieren? Im Vatikan haben wir nur provisorische Gefängniszellen. Dann: Kann man das überhaupt mit einem der höchsten Würdenträger machen? Und wie soll das dann genau ablaufen? 

Da habe ich noch sehr, sehr viele Fragen – und ich glaube, auch die Prozessbeteiligten stellen sich da auch gewisse Fragen. 

DOMRADIO.DE: Er hat ja auch schon Berufung eingelegt. Aber eines hat der Prozess sehr deutlich gezeigt: Nämlich. dass es im Vatikan – anders als in einem Rechtsstaat – keine Gewaltenteilung gibt. Legislative, Exekutive und Judikative sind in einer Hand. Warum ist das so? 

Nersinger: Weil der Papst natürlich der absolute Monarch ist. Wir haben im Vatikan eine absolute Monarchie. Das heißt, alle Gewalten gehen vom Papst aus. 

Er kann wirklich in allen Bereichen souverän agieren. Er kann zu jeder Zeit etwas ändern. Er hat zu jeder Zeit das Recht, einzugreifen.

Papst Franziskus auf dem Petersplatz im Vatikan / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus auf dem Petersplatz im Vatikan / © Romano Siciliani ( KNA )

Der Papst ist in diesem Sinne wirklich der letzte große, absolute Monarch der Welt und kann das auch wirksam machen – und das tut er ja auch. 

DOMRADIO.DE: Inwiefern war das in diesem Prozess relevant? 

Nersinger: Papst Franziskus hat zum Beispiel auch innerhalb des Prozesses noch die Prozessformen geändert. Dass er dann natürlich – was eigentlich nie üblich war – ein Urteil über einen Kardinal fällen lässt von Laien, das ist schon ein bisschen zu vergleichen wie in England. 

In England haben wir ja auch die Praxis gehabt, dass ein Mitglied des englischen Oberhauses, ein Lord oder ein Peer, nicht von anderen abgeurteilt werden konnte, sondern nur von Mitgliedern des House of Lords. So ähnlich war es bisher auch im Vatikan. 

DOMRADIO.DE: Im Rahmen der Ermittlungen war ja auch immer wieder eine mögliche Verflechtung mit dem organisierten Verbrechen, der Mafia, die Rede. Was wissen Sie darüber? 

Nersinger: Wenn wir große Finanzvergehen, Verschiebungen von Geldern und Korruption haben, müssen wir natürlich davon ausgehen, dass das organisierte Verbrechen involviert ist – und wir haben ja auch in diesem Fall deutliche Anzeichen dafür. 

Wer das nun im Einzelnen ist, darüber kann man spekulieren, sollte man aber auch nicht. Ich denke auch, dass das eine sehr gefährliche Materie ist.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Der Fall Becciu

Im großen Finanzprozess um fragwürdige Millionendeals ist erstmals in der Geschichte der katholischen Kirche ein Kardinal von einem Gericht im Vatikan zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Der Vatikan-Gerichtshof verhängte am Samstag gegen den italienischen Kardinal Angelo Becciu wegen seiner Verwicklungen in einen verlustreichen Immobilienskandal eine Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Noch nie zuvor war ein Kurienkardinal von einem Vatikan-Gericht zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Beccius Anwälte kündigten an, gegen das Urteil Einspruch einzulegen.

Kardinal Angelo Becciu / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Angelo Becciu / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR