DOMRADIO.DE: Wie halten es die Päpste mit ihren Verwandten an Weihnachten? Sind sie zum Fest eingeladen?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Das ist eine heikle Angelegenheit. In der jüngeren Kirchengeschichte bemühten sich Päpste darum, das Thema aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Sie wollten den Eindruck vermeiden, es könne sich um Nepotismus handeln, also um Vetternwirtschaft oder familiären Klüngel, wie es ihn in früheren Jahrhunderten gab. Deshalb wurde dieses Thema bewusst zurückgedrängt. Dementsprechend gibt es kaum belastbare Informationen. Man weiß wenig oder gar nichts darüber, und das, was man zu wissen glaubt, ist oft unzuverlässig überliefert.
DOMRADIO.DE: Aber Sie haben trotzdem etwas herausgefunden. Gab es denn einen Papst, der seine Verwandtschaft besonders strikt auf Distanz gehalten hat?
Nersinger: Ja, da gibt es eine schöne Geschichte über Pius X., der von 1903 bis 1914 Papst war. Drei seiner Schwestern zogen nach dem Tod ihrer Männer nach Rom; auch, um ihrem Bruder näher zu sein. Vom Vatikan aus versuchte man aber, diese Nähe sehr strikt zu begrenzen. Es gab nur wenige, kleine Treffen, keine Fotos, keine öffentliche Darstellung.
Die Schwestern wünschten sich allerdings einmal ein gemeinsames Foto mit ihrem Bruder. Das lehnte Pius X. entschieden ab. Schließlich hatten sie eine kreative Idee: Sie setzten sich zusammen und stellten neben sich ein Gemälde des Papstes auf. So entstand ein "Familienbild", wenn auch kein wirklich authentisches.
DOMRADIO.DE: An Weihnachten ist der Papst ja ohnehin kaum privat unterwegs. Er ist für die ganze Christenheit da. Aber Geschenke für die Verwandtschaft könnte man ja im Vorfeld besorgen. Machen Päpste das?
Nersinger: Auch bei Geschenken war man sehr vorsichtig – in beide Richtungen. Sowohl Geschenke an den Papst als auch Geschenke vom Papst sollten keinen falschen Eindruck erwecken. Häufig waren diese deshalb immaterieller Natur: Segenswünsche, Glückwünsche oder geistliche Zuwendung. Materielle Geschenke wurden meist vermieden, um gar nicht erst den Anschein von Nepotismus aufkommen zu lassen.
Es gab allerdings Ausnahmen. Bei Benedikt XVI. etwa ist bekannt, dass er und sein Bruder Georg Ratzinger sich gegenseitig beschenkten – ganz bodenständig. Eine bayerische Wurst aus der Heimat etwa war sicherlich kein Anlass für kirchenpolitische Befürchtungen.
DOMRADIO.DE: Bei einem Geschenk von Papst Leo XIII. an einen Neffen soll allerdings etwas schiefgelaufen sein.
Nersinger: Ja, dieser Neffe war häufiger in finanziellen Schwierigkeiten. Immer wieder wurde der Papst gebeten, ihm zu helfen. In einem besonders ernsten Fall kam sogar die Frau des Neffen persönlich zum Papst und bat um ein Geldgeschenk, sonst könne man nicht mehr über die Runden kommen.
Leo XIII. blieb jedoch strikt und lehnte ab. Die Frau reagierte wütend und erklärte, ihr bleibe nichts anderes übrig, als in römischen Clubs als Sängerin oder Tänzerin aufzutreten. Der Papst reagierte bemerkenswert kühl und sagte sinngemäß, es sei schade, dass er den Vatikan nicht verlassen könne, er hätte sich dieses Vergnügen sonst gerne einmal angesehen.
DOMRADIO.DE: Was wissen wir über Papst Leo XIV.? Wie geht er mit seinen drei Brüdern sowie Nichten und Neffen um?
Nersinger: Da müssen wir uns wohl noch überraschen lassen. Bisher wissen wir darüber wenig. Aber ich gehe davon aus, dass auch er sehr zurückhaltend sein wird. Ich kann mir kaum vorstellen, dass seine Familie durch große Geschenke oder besondere Privilegien kirchengeschichtliche Affären auslöst. Das dürfte sich alles in einem ganz normalen familiären Rahmen bewegen.
DOMRADIO.DE: Wir behalten das im Blick – und wenn Sie etwas entdecken, sagen Sie uns Bescheid.
Nersinger: Wir bleiben dran.
Das Interview führte Carsten Döpp.