Kölner Generalvikar zur Verschiebung der Veröffentlichung der Missbrauchs-Untersuchung

"Unterm Strich zählt die Sorgfalt"

An diesem Donnerstag hätte es eigentlich eine Pressekonferenz zur unabhängigen Untersuchung der Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln geben sollen – kurz vorher wurde sie aber abgesagt. Der Kölner Generalvikar Dr. Markus Hofmann über die Gründe.

Generalvikar Msgr. Markus Hofmann (Erzbistum Köln)

DOMRADIO.DE: Herr Generalvikar, Sie haben die seit langem angekündigte Pressekonferenz zur unabhängigen Untersuchung knapp 48 Stunden vorher abgesagt. Sie hatten also Grund, in letzter Minute die Notbremse zu ziehen?

Monsignore Dr. Markus Hofmann (Generalvikar des Erzbistums Köln): Wir haben die Pressekonferenz nicht abgesagt, sondern verschoben. Das ist ein großer Unterschied. Es soll kein Zweifel daran aufkommen, dass diese Pressekonferenz stattfinden wird und die Öffentlichkeit den Bericht der unabhängigen Untersuchung präsentiert bekommt. Dabei bleibt es. Aber der Termin, das ist richtig, war am Ende nicht mehr zu halten, deshalb also diese Entscheidung.

DOMRADIO.DE: Aber warum? Zur Begründung wurden rechtliche Fragen genannt, die noch geklärt werden müssten. Aber dazu war doch nun ausreichend Zeit. Die Untersuchung läuft ja seit fast eineinhalb Jahren.

Hofmann: Man muss sich noch einmal klarmachen, dass wir mit dieser Untersuchung gewissermaßen rechtliches Neuland betreten. Etwas Vergleichbares hat es, soweit ich sehen kann, in Deutschland noch nie gegeben. Der Auftrag des Erzbischofs lautet ja, nicht nur das Vorgehen bei Fällen sexualisierter Gewalt zu untersuchen, sondern auch Fehler und Versäumnisse klipp und klar zu benennen. Und das schließt die Namen der damaligen Verantwortungsträger, also etwa früherer Bischöfe, Generalvikare oder Personalverantwortlicher, ein. Damit ist aber ein sehr sensibler und auch sehr spezieller Rechtsbereich berührt: Was darf man – unter Nennung des Namens oder so, dass derjenige durch die Funktion doch leicht identifizierbar ist – über jemanden sagen, wenn es um Vorwürfe geht, die ja hier nicht etwa gerichtlich bewertet werden, sondern durch eine private Kanzlei auf der Grundlage von Akten und Gesprächen?

DOMRADIO.DE: Aber es war doch von Anfang an klar, dass das eine sensible Frage ist.

Hofmann: Ja, sicher, wir haben diese Fragen von Anfang an sehr ernst genommen und auch mit der beauftragten Kanzlei intensiv diskutiert.

DOMRADIO.DE: Hat denn schon jemand mit einer Klage gedroht?

Hofmann: Nein, aber es ist deutlich geworden, dass es hier zu Rechtsstreitigkeiten kommen könnte und schlimmstenfalls in Teilen widerrufen werden müssten. Dieses Risiko schien uns zu groß, denn man muss sich vorstellen, was das für die Betroffenen von sexualisierter Gewalt in der Kirche bedeutet hätte, die sich ja gründliche Aufklärung und zweifelsfreie Antworten auf ihre berechtigten Fragen wünschen: Erst wird der lang erwartete Bericht veröffentlicht, dann muss man die Ergebnisse doch teilweise zurücknehmen. Das wäre doch niederschmetternd gerade auch für die Betroffenen. Also: Wir wollen einen Bericht, der vor den Augen einer kritischen Öffentlichkeit, aber auch vor den Gerichten Bestand hat, und dafür brauchen wir noch einmal mehr Zeit.

DOMRADIO.DE: Wieviel Zeit denn? Können Sie schon einen neuen Termin nennen?

Hofmann: Nein, das kann ich nicht. Sie haben ja von einer „Notbremsung“ gesprochen, und der Ausdruck trifft es ganz gut. Uns blieb erst einmal nichts anderes übrig, als die geplante Veröffentlichung zu stoppen - wohl wissend, dass wir damit viele Menschen enttäuschen und für Unruhe sorgen. Jetzt geht es darum, in Absprache mit der Münchner Kanzlei ein Verfahren zu entwickeln, das den Bedenken Rechnung trägt, ohne dass hier der Inhalt des Berichts verwässert wird. Wir wollen ja weiterhin die Benennung von Versäumnissen und auch die Benennung von Verantwortlichen. Das hat der Erzbischof versprochen, und dazu steht er hundertprozentig. Jetzt schaffen wir die rechtlichen Voraussetzungen für eine Veröffentlichung, die sozusagen wasserdicht ist.

DOMRADIO.DE: Aber der Rechtsweg steht doch ohnehin allen offen, die im Bericht genannt werden. Das können Sie ja gar nicht verhindern.

Hofmann: Das wollen wir auch nicht verhindern. Es ist gut, dass allen der Rechtsweg offensteht. Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat. Aber gerade deshalb müssen wir uns unserer Sache sehr sicher sein, bevor wir Einzelnen – ob nun namentlich genannt oder indirekt identifizierbar – eine bestimmte Verantwortung zuweisen und diese Vorwürfe in die Öffentlichkeit tragen.

DOMRADIO.DE: Das machen aber doch nicht Sie, sondern die beauftragte Kanzlei. Ist die nicht allein verantwortlich für das, was hier veröffentlicht werden soll?

Hofmann: Ja und nein. Richtig ist, dass wir den Bericht nicht kennen und die Kanzlei frei und unabhängig ist in ihrer Arbeit. Wir haben nur den Rahmen für diese Aufklärungsarbeit abgesteckt und die einschlägigen Akten zur Verfügung gestellt. Erst mit der Veröffentlichung erfahren wir, zu welchen Schlüssen die Münchner Anwälte gekommen sind. Im Erzbistum wird niemand vorher den Bericht bekommen, auch nicht der Kardinal oder ich. Also insofern ja, die Verantwortung liegt bei der Kanzlei. Trotzdem fühlen wir uns zu größtmöglicher Sorgfalt verpflichtet.

DOMRADIO.DE: Haben Sie die heikle rechtliche Problematik zu spät erkannt?

Hofmann: Da ist sicher etwas dran, und das nehme ich auf meine Kappe. Doch so bedauerlich die Verzögerung ist, unterm Strich zählt die Sorgfalt dieser Untersuchung und nicht die Geschwindigkeit. Die Betroffenen haben einen Anspruch darauf, Antworten auf ihre Fragen zu bekommen, und die Öffentlichkeit auch. Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass wir mit dieser Untersuchung, bei allen Widrigkeiten, die sich jetzt zeigen, einen wichtigen Beitrag zur schmerzhaften aber notwendigen Aufarbeitung leisten. Hier werden neue Maßstäbe der Aufklärung gesetzt, und das ist auch nötig, um die Kirche wieder glaubwürdig und zukunftsfähig zu machen.


Quelle:
DR