Über die riskante Hilfe für Bootsflüchtlinge im Mittelmeer

"Eine Verurteilung wäre ein fatales Zeichen"

Seit drei Jahren steht die Hilfsorganisation Cap Anamur in Italien vor Gericht. Ihr wird vorgeworfen, im Juli 2004 afrikanische Bootsflüchtlinge unerlaubt an Land gebracht zu haben. Das Urteil im sizilianischen Agrigent wird am Mittwoch erwartet. Eine Verurteilung wäre ein fatales Zeichen, sagt Geschäftsführer Bernd Göken.

Autor/in:
Thomas Jansen
 (DR)

KNA: Hat sich seit Ihrer spektakulären Rettungsaktion 2004 an der Lage der Bootsflüchtlinge etwas geändert?
Göken: Nein, im Prinzip nicht. Die Situation hat sich keinen Deut verbessert. Vernünftige Lösungen für den Umgang mit Bootsflüchtlingen fehlen weiterhin. Der einzige Unterschied gegenüber früher ist, dass das Thema in der Presse nun mehr Aufmerksamkeit findet.

KNA: Welche Folgen hätte eine Verurteilung von Cap Anamur?
Göken: Das wäre ein fatales Zeichen. Die Botschaft an Kapitäne wäre:
'Nimm bloß keinen Flüchtling mehr auf, das bringt dir nur Scherereien'. Kapitäne schreiben uns, dass sie überhaupt nicht mehr wüssten, wie sie sich gegenüber Bootsflüchtlingen verhalten sollen..
Denn schon jetzt kann deren Aufnahme für sie mit einem beträchtlichen unternehmerischen Risiko verbunden sein. Sie müssen sich womöglich auf einen großen Umweg einstellen, wenn ihr Zielhafen die Flüchtlinge nicht aufnimmt.

KNA: Würden sie heute so eine Aktion wiederholen?
Göken: Man muss den Bootsflüchtlingen auf jeden Fall weiterhin helfen, das steht für uns außer Frage. Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, lehren uns allerdings leider, dass dies für eine kleine Hilfsorganisation wie Cap Anamur gegenwärtig nicht mehr möglich ist - denn das könnte schwerwiegende Folgen für uns haben.
Wir stehen jetzt schon seit knapp drei Jahren in Italien vor Gericht. Unser Schiff wurde beschlagnahmt; später mussten wir es aus finanziellen Gründen verkaufen. Auch das Spendenaufkommen ist nach der Rettungsaktion zunächst um 40 Prozent zurückgegangen. Deshalb haben wir unsere Hilfe für Bootsflüchtlinge im Mittelmeer eingestellt.

KNA: Was könnten die EU und Italien tun, um die Situation der Flüchtlinge zu verbessern?
Göken: Italien wird mit der Flüchtlingsproblematik bislang weitgehend allein gelassen. Viele Politiker, auch hierzulande, scheinen froh zu sein, dass sie sich nicht mit diesem Problem herumschlagen müssen. Doch abgesehen davon: Ein Patentrezept haben wir auch nicht. Von Anfang an haben wir uns aber darauf konzentriert, die Lebensbedingungen in den afrikanischen Herkunftsländern der Flüchtlinge so zu verbessern, dass sie ihr Land erst gar nicht verlassen.