Welche Auswirkungen der Lockdown auf Kita-Kinder hatte

Traum oder Trauma?

Während des Lockdowns wurden Kinder systemrelevanter Eltern in sogenannten Notgruppen betreut. War dieser Ausnahmezustand eine Belastung? Kita-Leiterin Gaby Walter spricht im Interview über ihre Beobachtungen.

Kinder im Sandkasten / © Harald Oppitz (KNA)
Kinder im Sandkasten / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Manche Kitas hatten während des Lockdowns komplett geschlossen. Bei Ihnen waren immerhin neun Kinder in der Notgruppe. Wie haben Sie die Eltern in der Zeit erlebt?

Gaby Walter (Leiterin des katholischen Stiftskindergartens St. Remigius in Bonn): Natürlich war durch diese coronabedingte Situation eine gewisse Verstörung da. Die Eltern aus systemrelevanten Berufen waren ja wirklich vor Ort – ich sage mal an der Front. Es hat sich aber im Laufe der Zeit eine ganz extreme Nähe zu diesen Familien entwickelt. Das war wahrscheinlich der Situation geschuldet, dass diese Eltern sehr stark eingebunden waren und großen Risiken ausgesetzt waren und wir auf der anderen Seite ihre Kinder betreut haben.

Es entsteht eine gewisse Abhängigkeit in dem Moment. Wir wurden sehr aufrichtig und ehrlich behandelt. Es wurde immer abgeklärt, wenn ein Kind mal Schnupfen hatte: Darf es in die Kita oder darf es nicht? Es herrschte eine sehr große Offenheit.

DOMRADIO.DE: Sie betreuen das Wertvollste der Eltern, nämlich deren Kinder. Dafür braucht es großes Vertrauen. Hat sich das Verhältnis zwischen Erzieherinnen und Eltern mit der Pandemie im Vergleich zu vorher verändert?

Walter: Ich würde fast sagen, es ist mehr Nähe da. Obwohl die Eltern tatsächlich etwas außen vor bleiben. Wir haben zwei Tore im Kindergarten auf dem Außengelände. Dort holen wir die Kinder ab und bringen sie auch wieder dort hin und übergeben die Kinder wieder ihren Eltern. Die Eltern selbst betreten die Einrichtung quasi nicht. Es sei denn, ein Kind ist in der Eingewöhnungsphase.

Das bedingt natürlich eine andere Form von Arbeiten. Man muss viel transparenter arbeiten. Die Eltern sind nicht in der Einrichtung. Man muss dann auch Vertrauensarbeit leisten. Man muss sehr viele Informationen an die Eltern geben, auch mal Bilder von Kindern mitschicken, die die Kinder angefertigt haben, oder Videos. Es sind schon andere Maßnahmen erforderlich, als wenn Eltern täglich die Einrichtung betreten.

DOMRADIO.DE: Die Pflegekräfte wurden damals beklatscht. Sie selbst waren auch im Grunde Corona-Helfer, weil sie die Kinder betreut haben. Beklatscht wurden sie wahrscheinlich nicht, aber irgendwie war man Ihnen doch sehr dankbar, oder?

Walter: Ja, das kann ich auf jeden Fall sagen. Es ist wirklich erstaunlich, aber die Dankbarkeit war sehr groß und auch das Entgegenkommen der Eltern sowie die Offenheit. Wobei ich denke, dass auch vorher eine Vertrauensbasis da war. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, noch einmal anzumerken, dass der Vertrauensaufbau vorher schon stattgefunden hatte.

DOMRADIO.DE: Wie war das für die Kinder in der Notgruppe? Es klingt ein bisschen so, als hätten die große Not leiden müssen.

Walter: Da muss ich jetzt mal lachen. Wir haben auch gedacht, die Kinder kommen aus diesem Lockdown zurück und sind bestimmt irgendwo in Not, sind unsicher und haben Ängste. Wir haben es nicht festgestellt. Bei uns waren es maximal neun Kinder in der Notbetreuung. Wir haben sogar festgestellt, dass ruhige und introvertierte Kinder aufblühten, eben weil nur neun Kinder da waren. Der Erzieher hatte viel mehr Zeit. Man konnte eine Spielsituation dann auch zu Ende führen, weil weniger Reize da waren. Manchen Kindern hat das richtig gutgetan in dieser kleinen Gruppe.

DOMRADIO.DE: Irgendwann kamen die Kinder dann alle wieder. Bis heute haben die Eltern im Grunde keinen Zutritt zur Kita. Das ist aber nicht so schlimm wie es scheint, oder?

Walter: Ich glaube nein. Ich hatte vorgestern einen Elternabend und da fragte mich ein Vater als wir über das Bringen und Abholen der Kinder sprachen, ob sich diese Situation nach der Corona-Krise nicht fortsetzen ließe.

Wir holen die Kinder, wie gesagt, am Tor ab. Wir haben diese Kinder am Anfang in die Gruppen begleitet. Nach ein oder zwei Tagen wollten die Kinder schon alleine gehen. Die Kinder haben viel mehr Rückgrat, Selbstständigkeit, Ich-Stärke. Sie wissen, dass am Tor die Übergabe stattfindet. Dann betreten sie ihren Kindergarten und den Weg gehen sie alleine. Ich bin immer wieder etwas irritiert, weil alle Prognosen und Überlegungen und Ängste, die wir damals hatten, sich so nicht bewahrheitet haben. Wir mussten kein einziges Kind neu eingewöhnen und die Kinder kommen bis heute hoch erhobenen Hauptes in den Kindergarten.

DOMRADIO.DE: Die Corona-Pandemie hat große Einschnitte mit sich gebracht, viele Todesopfer gefordert, Menschen in tiefe Krisen gestürzt. Manche Dinge haben sich einfach durch die Ausnahmesituation ergeben. Können Sie sich vorstellen, dass bei Ihnen tatsächlich etwas von den positiven Entwicklungen hängen bleibt?

Walter: Das müsste man mit den Eltern zusammen besprechen. Auf jeden Fall ist der Trennungsschmerz, den die Kinder sonst erlebt haben, wenn die Eltern mit im Gebäude sind, nicht mehr so stark. Das würde ich zusammen mit den Eltern überlegen. Ich hatte selbst auch Corona-Fälle in der Familie. In meiner Familie waren vier Personen an Corona erkrankt, einer davon auf Leben und Tod.

Von daher nehme ich das sehr ernst. Nur bin ich der Meinung, dass wir jetzt andere Beobachtungen machen konnten. Beobachtungen, die wir sonst nie hätten machen können. Wir müssen immer vom Kind ausgehen. Vielleicht müssen wir noch einmal überlegen, wie weit wir Systeme ändern und den Bedürfnissen von Kindern anpassen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR
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