DOMRADIO.DE: Sie haben die These "Ohne Esel, kein Christentum" formuliert. Das ist eine steile These, oder?
Dr. Rainer Hagencord (Priester und Zoologe am Institut für theologische Zoologie): Es gibt noch eine zweite Geschichte. Ohne Esel wäre der Heiligen Familie auch die Flucht nach Ägypten nicht gelungen. Deswegen möchte ich diese steile These auch nochmal betonen: "Ohne Esel, kein Christentum".
DOMRADIO.DE: Sie haben auch zwei Esel bei sich im Zoologischen Institut. Was sind das für welche?
Hagencord: Wir haben hier zwei prachtvolle Poitou-Esel. Das ist eine besondere Rasse. Das ist eine der größten Eselrassen, die es gibt. Sie sind mit besonderem Fell ausgestattet.
Sie sind bei uns als Mitarbeiter beschäftigt. Das hört sich vielleicht komisch an, aber wer sich schon mal mit Pädagogik und Therapie beschäftigt hat oder schon mal erfahren hat, wie Tiere, Hunde, Katzen, Esel und Co. als Therapeuten und Therapeutinnen wirksam werden können, weiß, dass das dann gar nicht mehr fern liegt.
Der ein oder andere kennt sicherlich bewegende Geschichten über autistische Kinder oder demenzkranke Menschen, die durch ein Tier eine ganz neue Lebendigkeit bekommen. Das ist inzwischen auch erwiesen. Tiere sind sehr profilierte pädagogische und therapeutische Maßnahmen.
Unsere beiden sind vor allem in unseren Lehrveranstaltungen relevant. Wir arbeiten hier im Institut mit der Universität zusammen. Wir bilden Menschen aus, die mit Tieren in therapeutischen oder pädagogischen Einrichtungen arbeiten.
Das Ganze findet in der ökologischen Katastrophe statt. Das dürfen wir nicht schönreden. Wir haben gerade zur Kenntnis genommen, dass die Konferenz in Südkorea gescheitert ist. Die Weltgemeinschaft kann sich nicht darauf verständigen, dass wir Plastikmüll abschaffen, und vor zwei Wochen haben wir noch die Konferenz in Aserbaidschan scheitern sehen. Auch da gibt es keine Perspektiven, dass der Klimawandel und das Artensterben gestoppt werden.
DOMRADIO.DE: Sie haben von Ihren Eseln geschwärmt, anderen sind Tiere egal und in wieder anderen Fällen gibt es Gewalt gegen Tiere. Ist Tierschutz Bewahrung der Schöpfung?
Hagencord: Das eine ist Tierquälerei. Das ist sehr spektakulär und furchtbar. Aber die strukturelle Gewalt an Tieren, in Schlachthöfen, in Tierfabriken, wird kaum zur Kenntnis genommen. Allein die Zahlen: In Deutschland werden im Jahr 50 Millionen Schweine geschlachtet. Um die zwölf Millionen werden jedes Jahr weggeworfen. Die schaffen es noch nicht mal auf die Schlachthöfe. Und jetzt wird mit Blick auf das Weihnachtsfest der Betrieb in den Schlachthöfen hochgefahren.
Fleischkonsum scheint für die meisten wesentlich für das Weihnachtsfest zu sein. Da kommt mindestens die Paradoxie oder die Schizophrenie zu Tage, wie man denn als vermeintlich christliche Gemeinschaft das Fest des Friedens feiern und den Krieg fortsetzen kann? Den Krieg gegen die Tiere, gegen das Klima und gegen die Armen?
DOMRADIO.DE: Die meisten Menschen mit Haustieren würden überhaupt nicht auf die Idee kommen, so mit ihnen umzugehen.
Hagencord: Die Fleischindustrie hat es geschafft, dass das Elend der Tiere in Schlachthöfen unsichtbar gemacht wird. Und oftmals meinen die Menschen, dass sie ein selbstverständliches Recht auf Billigfleisch haben. Wir kriegen diese unguten Traditionen nicht aus dem Kopf. Wer positive Erfahrungen mit Tieren macht, mit Hund oder Katze zu Hause oder eben mit Eseln, der spürt, dass es gefühlvolle, empathische Wesen mit Persönlichkeit sind.
Diese Menschen sollten doch auch sehr bald darüber nachdenken, ob die Schweine, die Puten, die Hühner und die Rinder nicht vielleicht über ähnliche Fähigkeiten verfügen und sich die Frage stellen, ob es gut ist, weiterhin Schlachthöfe zu betreiben. Da ist ein Umdenken nötig. Schnellstmöglich.
DOMRADIO.DE: Was empfehlen Sie, um möglichst tierfreundlich zu leben?
Hagencord: Ab sofort vegetarisch leben. Wenn man jetzt auf das Fest zugeht, dann sollten zumindest die Landwirte und Landwirtinnen unterstützt werden, die ihre Tiere nach Demeter-, Neuland- oder Bioland-Kriterien halten und verarbeiten. Wir sollten dringend das Thema Landwirtschaft und Tierhaltung im Blick haben und jetzt für einen Paradigmenwechsel sorgen.
Ich habe wirklich nichts gegen Fleischkonsum, wenn das Fleisch aus der genannten Haltung kommt, das Essen ein Festmahl wird und die Feier ein Fest des Friedens ist, das uns alle in größeren Friedensbemühungen miteinander verbindet - auch mit den Tieren, die uns anvertraut sind.
Das Interview führte Bernd Hamer.