Theologische Betrachtung zum letzten Sonntag der Osterzeit

Am Ende bleibt eine radikale Offenheit

Ein ausgelesenes Buch stellen wir zufrieden ins Bücherregal. Anders die Bibel - sie will immer wieder zur Hand genommen werden. Und auch Ostern können wir nach 50 Tagen nicht einfach abhaken.

Autor/in:
Fabian Brand
Eine Bibel liegt im Sand / © Harald Oppitz/ (KNA)
Eine Bibel liegt im Sand / © Harald Oppitz/ ( KNA )

90 Minuten dauert nicht nur ein Fußballspiel, sondern auch der "Tatort", der allsonntäglich im Fernsehen läuft. Für manchen gehört er selbstverständlich zum Ausklang der Woche dazu. Die Mördersuche lockt immer wieder Menschen vor den Fernseher. Was am Ende dieser 90 Minuten steht, ist am Anfang nicht absehbar. Viele wünschen sich, dass der Film ein rundes Ende besitzt: dass der Mörder gefunden und gefasst wird und dass man am Ende beruhigt abschalten kann. Abschalten, weil der Film eine in sich geschlossene Einheit ist, weil er Sinn ergeben hat, weil eine Handlung zu Ende erzählt ist.

Ende der Osterzeit - Ende der Bibel

Am siebten Sonntag der Osterzeit stehen wir auch an einem Ende: Nicht 90 Minuten dauert Ostern, sondern ganze sieben Wochen, 50 Tage, um genau zu sein. Und so passt es gut, dass wir an diesem Sonntag in der Lesung aus der Johannesoffenbarung ebenfalls mit einem Ende konfrontiert werden: mit dem Ende der Bibel. Dort heißt es ganz einfach: "Komm, Herr Jesus!" (Offb 22,20) Das ist der letzte Satz, der auf der letzten Seite der Bibel zu lesen ist.

Die Bibel erzählt viele Geschichten: Es finden sich abgeschlossene Erzählungen über bestimmte Menschen und das, was sie getan und geleistet haben. So manche Geschichte kann man herausgreifen und einzeln erzählen. Aber die Bibel als Ganzes besitzt doch wahrlich kein rundes Ende!

"Komm, Herr Jesus!"

Vielmehr lenkt der letzte Satz unsere Aufmerksamkeit auf die Zukunft hin: "Komm, Herr Jesus!" Das ist der Ausblick auf die Zeit der Wiederkunft Christi, das ist die Einladung, weiter zu schauen, auszuharren, die Augen auf etwas zu richten, was noch von uns entfernt ist. Die Bibel ist keine runde Sache.

Die Bibel ist kein Buch, das man wie einen guten Krimi liest und danach zuschlägt und ins Bücherregal stellt. Nicht alle Geschichten sind zu Ende erzählt, nicht alles ist aufgeklärt worden. Am Ende bleibt ein Überhang bestehen, ein "Cliffhanger", wie man heutzutage sagen würde. Was am Ende bleibt, ist eine radikale Offenheit, die den Blick auf die Zukunft lenkt.

Die Bibel erzählt uns Geschichten aus der Vergangenheit. Aus ihren vielfältigen Erzählungen erfahren wir, wie es war, als Gott sein Volk Israel aus der Sklaverei in die Freiheit geführt hat. Und wir hören davon, wie es war, als Christus auf Erden gelebt hat, wie er das Reich Gottes gepredigt und die Menschen geheilt hat. Als Menschen, die hier und heute leben, in diesem Jahr 2022, lesen wir Geschichten von damals. Und dabei kommt die Frage auf: Was haben diese Episoden mit unserem Leben heute zu tun?

Die Osterkerze

Hände halten eine brennende weiße Kerze / © Corinne Simon (KNA)
Hände halten eine brennende weiße Kerze / © Corinne Simon ( KNA )

Ausgespannt zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen "damals" und "irgendwann einmal" gestalten wir heute unser Leben. Wir sind ein Teil der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Und wir stehen nicht alleine da: Christus, der erhöhte Herr, der in die Herrlichkeit des Vaters erhöht ist, ist bei uns. Er trägt die ganze Geschichte, wie es in der Lesung aus der Johannesoffenbarung heißt: "Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende." (Offb 22,13)

Das zeigt die Osterkerze, die in der Osternacht am Feuer entzündet wurde: Auf ihr sind die Buchstaben Alpha und Omega zu sehen - ein Hinweis darauf, dass Christus die ganze Schöpfung in seiner Liebe umfasst. Die Osterkerze zeigt auch unsere Jahreszahl 2022: Zwischen Anfang und Ende der Welt leben wir, feiern wir Gottesdienst, begehen wir Jahr für Jahr das Osterfest.

Die Botschaft

Wir sind nicht alleine auf diesem Weg durch die Zeit. Christus, der gekreuzigte und auferstandene Herr, begleitet uns, steht an unserer Seite, trägt uns. Das Kreuz ist das dritte Zeichen, das auf jeder Osterkerze zu sehen ist: Im auferstandenen Herrn finden wir einen Halt, an dem wir uns festmachen können, um zuversichtlich der Zukunft entgegenzugehen.

90 Minuten dauert es, bis der Krimi vorbei ist. Wie lange unsere Welt besteht, ist ungewiss. Aber trotzdem dürfen wir sicher sein: Bei all dem, was zwischen Schöpfung und der Wiederkunft Christi geschieht, sind wir niemals allein gelassen. Er, der Auferstandene, trägt und hält unser ganzes Leben. Das ist die Botschaft dieser Osterzeit. In dieser Gewissheit dürfen wir einstimmen in den Ruf des Sehers von Patmos: "Komm, Herr Jesus!"

Ostern

An Ostern feiern Christen ihr wichtigstes Fest: die Auferstehung Jesu am dritten Tag nach dem Tod am Kreuz. Die Botschaft von Kreuz und Auferstehung ist das Fundament ihres Glaubens. Kerngehalt ist, "dass am Ende das Leben über den Tod, die Wahrheit über die Lüge, die Gerechtigkeit über das Unrecht, die Liebe über den Hass und selbst über den Tod siegen wird", so der katholische Katechismus.

Seit dem Konzil von Nizäa im Jahre 325 wird das älteste Fest der Christenheit am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond gefeiert.

Osterkerzen / © Harald Oppitz (KNA)
Osterkerzen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA