Theologin fordert Ende rassistischer Strukturen in Kirche

"Da gibt es einen Missstand"

"People of Color" kämen in der Kirche nur auf Spendenplakaten oder Fairtrade-Produkten vor, meint die evangelische Theologin Sarah Vecera. In ihrem neuen Buch erklärt sie, wie sehr Rassismus in der Kirche verwurzelt ist.

Ein Mann im Gebet / © Lincoln Rogers (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Sie sagen, es gehört längst zum Selbstverständnis der Kirchen in Deutschland, ganz selbstverständlich gegen Rassismus zu sein. Dabei würden die Kirchen nur leider viel zu oft den Rassismus in den eigenen Reihen übersehen. Wie äußert sich so ein Rassismus zum Beispiel?

Sarah Vecera (Evangelische Theologin und stellvertretende Leiterin der Abteilung Deutschland der Vereinten Evangelischen Mission): Na ja, zum einen haben Sie es gerade schon gesagt, Jesus ist irgendwie weiß geworden. Das hat mit einer Geschichte zu tun, nämlich der Entstehung des Rassenkonstrukts zurzeit der Aufklärung. Daran war die Kirche maßgeblich beteiligt. Damit beschäftigt die Kirche sich aber gar nicht selbstkritisch und all diese rassistischen Geschichten oder diese moralische Untermauerung, die wurde eigentlich in der Kirche nie aufgearbeitet.

Sarah Vecera (privat)

Diese Nicht-Aufarbeitung wird dann sichtbar darin, dass unsere Kirche ziemlich weiß ist. Wenn Sie mal durch die Innenstadt gehen, sei es in Köln oder auch sonst wo, dann nehmen wir eine plurale Gesellschaft wahr. Wenn wir Sonntagsmorgens die Gottesdienstgemeinde vor Augen haben, dann ist die Gemeinde doch sehr weiß. Menschen of Color kommen in der Kirche vor: auf Spendenplakaten, auf Fairtrade-Produkten, in unseren Fürbitten und Gebeten, bei Ansagen für Kollekten. Da gibt es einen Missstand und ich glaube, das ist kein Zufall.

DOMRADIO.DE: Sie selbst haben als "Person of Color" in einer weißen Kirche eigentlich ständig Rassismuserfahrungen machen müssen. Und das, obwohl die Kirchen doch verheißen, dass wir alle gleich und gleich willkommen sind. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Vecera: Zum einen würde ich es ein bisschen relativieren. "Ständig" würde ich auch nicht sagen, ich habe auch vor allem viel Gutes in der Kirche miterlebt. Deswegen liegt mir auch so viel daran, Kirche neu zu gestalten, zu verändern, auf Missstände auch aufmerksam zu machen, weil Kirche mir nach wie vor sehr, sehr wichtig ist in meinem Leben.

Aber letztendlich haben diese gut gemeinten rassistischen Erfahrungen, die ich in der Kirche machen durfte oder musste, mit mir gemacht, dass ich, glaube ich, ein ziemlich gutes Gespür dafür habe, wo Menschen in der Kirche sich nicht sicher fühlen oder auch nicht sicher sind. Obwohl eben gesagt wird, wir sind alle gleich, wir sind alle gleich willkommen, ist es wichtig, das Augenmerk darauf zu legen und für marginalisierte Gruppen und Menschen Räume zu schaffen, in denen sie wirklich auch willkommen sind, in denen sie mit all dem kommen können, was sie mitbringen.

DOMRADIO.DE: Auf jeden Fall halten Sie an ihrem Traum einer Kirche ohne Rassismus fest. Die Bibel inspiriert sie dazu. Zum Beispiel die berühmte Stelle aus dem Paulusbrief an die Galater.

Vecera: Genau, "Da ist weder Jude noch Grieche, weder Mann noch Frau". Man könnte jetzt einzelne Stellen herauspicken, aber letztendlich würde ich sagen, ist das ein roter Faden, der sich von vorne bis hinten durch die Bibel zieht, dass Gott Geschichte schreibt mit Menschen, die am Rande stehen.

Die Bibel, die erzählt mir eigentlich davon, dass Menschen, die ausgegrenzt wurden, dass Menschen, die am Rande der Gesellschaft standen, dass das die Leute waren, mit denen Gott Geschichte schrieb, dass vor Spaltung immer wieder gewarnt wird im Neuen und im Alten Testament, dass die Kirche, die ersten Gemeinden, die sich trafen, eigentlich nicht monokulturell waren.

Das ist ein Unterschied, wie wir heute Kirche leben und wie die Kirche ursprünglich gedacht war. Das motiviert mich doch auch wieder dahin zurückzukommen und kleine Schritte dahin zu gehen.

DOMRADIO.DE: Vor wenigen Tagen ist Ihr Buch rausgekommen, das den Titel trägt: "Wie ist Jesus weiß geworden?". Wie ist Jesus denn weiß geworden? Schaffen Sie das knapp zu beantworten?

Vecera: Okay, die Kurzfassung: Jesus hat eigentlich eine koloniale Karriere gemacht, würde ich sagen. Da steckt eine absichtsvolle Dimension hinter diesem weißen Jesus. Der ist nicht einfach nur weiß geworden, weil europäische, weiße Menschen sich gedacht haben, der sollte so aussehen wie wir, denn das ist schön.

Das ist nicht einfach eine Aneignung, wie das in anderen Kulturen vielleicht der Fall ist, weil wir eben diese koloniale Geschichte haben und da eine Absicht hinter steckte, mit der Macht legitimiert werden sollte und wollte. Seinen Höhepunkt fand das Ganze dann wohl in der NS-Zeit, als Jesus sogar zum Arier gemacht worden ist. Die längere Fassung dann gerne in meinem Buch.

DOMRADIO.DE: Der Kampf gegen Rassismus und die Überwindung rassistischen Denkens ist ein langer und zäher Prozess. Das gilt für die Kirche genauso wie für andere Bereiche der Gesellschaft. Sehen Sie denn, wenn Sie jetzt speziell an die Kirche denken, auch eine gute Entwicklung und etwas, was Ihnen in dieser Hinsicht Mut macht?

Vecera: Oh ja, doch, mir macht vieles Mut. Ich bin da wirklich sehr, sehr hoffnungsvoll, auch wenn das in meinem Buch zum Teil auch sehr kritisch natürlich rüberkommt. Aber die Menschen sind gerade so offen dafür. Seit dem Mord an George Floyd folgen mir so viele Menschen auf Instagram, kommen mit mir ins Gespräch, buchen unsere Seminare von der Vereinten Evangelischen Mission zum Thema Antirassismus und hören unseren Podcast "Stachel und Herz".

Da ist gerade ein Mindset, ein Bewusstsein dafür, dass sich Kirche auch in dem rassismuskritischen Diskurs finden will und auf der anderen Seite gibt es ein großes Verlangen, eine große Suche von vielen Menschen innerhalb der Kirche. Genau das greife ich auf und nehme die Menschen hoffentlich ein Stück weit mit, um da auch wirklich Kirche zu verändern und darauf gemeinsam Antworten zu finden.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR
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