Theologin Elsner erklärt Hilarions Absetzung

"Kyrill im Ausnahmezustand"

Die russisch-orthodoxe Kirche hat überraschend den Leiter ihres Außenamtes, Metropolit Hilarion abberufen. Nach Einschätzung der Theologin und Osteuropaexpertin Regina Elsner ist dies ein Zeichen mangelnden Vertrauens durch Kyrill.

Abgesetzter Metropolit Hilarion / © Bennian (shutterstock)
Abgesetzter Metropolit Hilarion / © Bennian ( shutterstock )

KNA: Wie bewerten Sie Patriarch Kyrills Personalentscheidung?

Regina Elsner (Theologin und Osteuropaexpertin): Kyrill setzt Hilarion ab, die Versetzung nach Ungarn ist wie eine Degradierung vom Außenminister zu einem Regionalbischof.

Das ist auch ein Zeichen von mangelndem Vertrauen. Kyrill scheint mir gerade im Ausnahmezustand: Er sieht seine Felle davonschwimmen. Die Kirche in der Ukraine wendet sich von ihm ab. Ausser Ungarn distanzieren sich die meisten Länder vom Moskauer Patriarchat.

Regina Elsner (privat)

KNA: Warum vertraut Kyrill Hilarion nicht mehr?

Elsner: Hilarion dürfte sich für den Geschmack des Patriarchen zu zurückhaltend verhalten haben. Hilarion hat sich von Putins Krieg zwar nie distanziert, aber auch nicht die radikale Kriegsrhetorik des Patriarchen übernommen. In Kyrills Augen kann das ein Zeichen von Schwäche oder Illoyalität sein.

KNA: Könnte es auch sein, dass Hilarion freiwillig geht?

Elsner: Ich weiß es nicht. Aber möglich ist auch, dass Hilarion nicht mehr im Zentrum der politischen Intrigen stehen möchte. Er ist ja offensichtlich kein Kriegstreiber. Von daher kann es auch sein, dass er um die Versetzung gebeten hat.

KNA: Was wissen Sie über seinen Nachfolger, Antonij?

Elsner: Mit 37 Jahren wird ein sehr junger Mann Leiter des Außenamts. Er steht für die postsowjetische Generation. Und er ist ein Zögling Kyrills: Er ist in seine Hierarchie hineingewachsen und hat schnell Karriere gemacht. Als Leiter des westeuropäischen Exarchats ist er mit den außenpolitischen Strategien von Patriarch Kyrill bestens vertraut, denn dieses Exarchat wurde erst 2018 eingerichtet. Und zwar auch als strukturelle Antwort auf das Eingreifen des Patriarchats von Konstantinopel in der Ukraine.

Regina Elsner

Hilarion hat den antiwestlichen Kurs immer gestützt.

KNA: Kyrill schickt Hilarion nach Budapest. Der dortige Regierungschef Orban hat zuletzt Patriarch Kyrill verteidigt und EU-Sanktionen verhindert. Ist Budapest ein wichtiger Posten für das Moskauer Patriarchat?

Elsner: Unbedingt. Ohne Ungarn stünde Kyrill auf der EU-Sanktionsliste. Kyrill und Orban bilden eine wichtige Verbindung an der konservativen Wertefront. Hier werden christlich-traditionelle Werte zelebriert und Feindbilder wie LGBTQ-Paraden gepflegt. Hilarion hat diesen antiwestlichen Kurs immer gestützt – auch wenn er im Tonfall weniger scharf war als Patriarch Kyrill. Und Budapest ist für Hilarion ein vertrautes Gelände. Er war ja früher Bischof in Wien und als solcher auch für Ungarn zuständig.

KNA: Vorletzte Woche hat sich die orthodoxe Kirche in Kiew von Moskau losgelöst. Dürfte Hilarions Absetzung auch damit etwas zu tun haben?

Elsner: Es kann durchaus sein, dass Kyrill den Verlust der ukrainischen Orthodoxie Hilarion anlastet, da hatte es schon 2018 Verstimmungen gegeben. Zur Trennung von Kiew und Moskau: Mittlerweile sind die Änderungen des Statuts der ukrainisch-orthodoxen Kirche bekannt, wo drinsteht, dass die Verbindung zu Moskau gekappt wurde.

Aber weiterhin fehlen die Worte Autokephalie und Autonomie. Es ist nach wie vor so, dass Kiew kein offenes Schisma eingehen möchte. Sobald das Wort Autokephalie fiele, gäbe es jedoch ein Schisma.

KNA: Wie hat das Moskauer Patriarchat offiziell auf den Schritt reagiert?

Regina Elsner

Kiew will kein Schisma riskieren.

Elsner: Auch die russisch-orthodoxe Kirche hält sich bislang mit einer Bewertung zurück und sagt, sie wolle die Problematik erst einmal studieren. Allerdings wurden auf demselben Synod heute die Bistümer auf der Halbinsel Krim als Teile der russisch-orthodoxen Kirche anerkannt. Das heißt, Kyrill vollzieht die Annexion der Krim durch Russland nun auch kirchenrechtlich. Das zeigt deutlich, dass er die Trennung der ukrainisch-orthodoxen Kirche sehr ernst nimmt, auch wenn dies nach wie vor so nicht ausgesprochen wurde.

Das Interview führte Raphael Rauch (Leiter des Schweizer KNA-Partnerportals kath.ch).

Quelle:
KNA