Theologin Bahr wünscht sich nicht nur engagierte Protestanten auf dem Kirchentag

Der Dunstkreis der Kirche

Am Mittwochabend hat der Kirchentag in Stuttgart begonnen. Die evangelische Theologin Dr. Petra Bahr ist vor Ort - aber ihr fehlt die Debatte darüber, was die evangelische Kirche zusammenhält. Warum, das erklärt sie im Gespräch mit domradio.de.

Ein Schlüsselband mit der Aufschrift "Deutscher Evangelischer Kirchentag Stuttgart - 3.-7. Juni 2015" (dpa)
Ein Schlüsselband mit der Aufschrift "Deutscher Evangelischer Kirchentag Stuttgart - 3.-7. Juni 2015" / ( dpa )

 Unter dem Titel "Was hält uns noch zusammen?" hat Dr. Petra Bahr in der aktuellen Ausgabe (3.6.15) der ZEIT-Beilage "Christ & Welt" einen Artikel über die Lage der evangelischen Kirche geschrieben. Der Artikel ist online nicht abrufbar.

 

domradio.de: Frau Bahr, was hält die evangelischen Christen noch zusammen?

Petra Bahr (Evangelische Theologin, Leiterin Hauptabteilung Politik und Beratung Konrad-Adenauer-Stiftung): Natürlich hält uns das Bekenntnis zusammen und das, was wir gemeinsam auf Grundlage der Bibel - und nicht irgendeiner reformatorischen Kirchenbewegung in die eine oder andere Richtung - glauben. Die interessante Frage ist aber doch, was das jenseits des großartigen Festes in Stuttgart für die Zukunft der evangelischen Kirche heißt.

domradio.de: Die evangelischen Christen geben sich so einig wie nie, schreiben Sie. Warum stört Sie das?  

Bahr: Es stört mich überhaupt nicht - ganz im Gegenteil. Ich finde es großartig, dass diese alten Konflikte zwischen unterschiedlichen Frömmigkeitsstilen, zwischen denen, die lieber Gottesdienst feiern, und denen, die sich lieber politische Gedanken machen, im Grunde ausgeräumt sind und man sich angenähert hat. Das ist ein großartiges Zeichen.

Es ist nur so, dass gleichzeitig immer deutlicher wird, dass die Hunderttausende, die sich in Stuttgart treffen, die Hochengagierten aus den Gemeinden sind. Entscheidend ist, dass der Kirchentag sich in dem Sinne sehr verändert hat, dass diejenigen, die im Dunstkreis als Kirchenmitglieder sehr wenig Kontakt zu Kirche haben, dort gar nicht mehr hinfahren. Das finde ich beunruhigend. Ich finde gar nicht schlimm, dass man sich hier gemeinsam wohlfühlt. Aber die ernstzunehmende Frage ist, wie es mit den evangelischen Christen weitergeht.   

domradio.de: Innerhalb der katholischen Kirche wird zurzeit viel diskutiert, Papst Franziskus wirbelt einiges auf. Bräuchte die evangelische Kirche genau so jemanden?   

Bahr: Ich glaube, dass die evangelische Kirche andere Herausforderungen hat. Die katholische Kirche kann sich ja wunderbar an ihrem Papst reiben, der große Sätze in die Welt schickt und damit Debatten beginnt. Da gibt es dann klassische Lager. In der evangelischen Kirche ist das ein bisschen anders, weil viele Grundfragen, die in der katholischen Kirche diskutiert werden, sich ja längst durchgesetzt haben - zum Beispiel die Rolle der Frauen in geistlichen Ämtern. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass sich mehr Menschen in den evangelischen Kirchen einfinden. Und das muss der evangelischen Kirche zu denken geben, glaube ich. Es sagen nicht automatisch mehr Menschen, dass sie sich auf den Weg zwischen Glauben und Zweifeln begeben wollen.

domradio.de: In Ihrem Artikel geht es auch um das große Schweigen, nicht nur während des Kirchentages sondern überhaupt in der evangelischen Kirche. Welche Themen müssten Ihrer Meinung ganz deutlich an- und ausgesprochen werden?

Bahr: Ich glaube, wir müssten bestimmte Fäden in dem großen von Wolfgang Huber angestoßenen Reformprozess zur Zukunft der evangelischen Kirche, die in der Luft hängen, wieder aufnehmen. Aber nicht im Gestus der Unternehmensberater - es geht auch nicht um Strukturfragen. Es geht um die eine große Frage: Wozu eigentlich noch evangelisch sein? Wie kann ich meinem Nachbarn, meiner Lehrerin, meinem Großonkel oder meiner Geliebten erklären, wieso ich gerne evangelisch bin? Es wird überall unendlich viel geredet - auf Synoden, auf dem Kirchentag und natürlich auch in den Gemeinden. Aber zum einen ist die Frage, wer da eigentlich mit wem redet, und zum anderen ist die Frage, worüber wir reden. Die Sprachnot gibt es eher da, wo die Menschen über ihren eigenen Glauben Auskunft geben sollen. 

domradio.de: Wie wird der Evangelische Kirchentag 2015 aus Ihrer Sicht wohl in Erinnerung bleiben? 

Bahr: Ich glaube, dass er wirklich ein Fest im geistlichen Sinne wird, wo gesellschaftspolitische Fragestellungen von Gottesdiensten und Konzerten umrahmt sind. Das ist ja die große Stärke des Kirchentages. Ich hoffe aber auch, dass es genügend Besucher gibt, die sich fragen: Wer fehlt hier eigentlich? Um wen muss ich mir Sorgen machen? Wo ist die nächste Generation der Kinder, die nicht mehr getauft werden?  

domradio.de: Trotz aller Kritik: Sie sind gerade in Stuttgart angekommen. Freuen Sie sich denn trotzdem auf den Kirchentag?

Bahr: Ja, klar! Sehr! Ich bin ja nur so deutlich, weil ich mitten aus dem Kirchentag komme und der Kirchentag mich, seit ich ein Teenager bin, enorm geprägt hat. Das ist vielleicht auch das große Vermächtnis der alten Kirchentage, dass man auf dem Kirchentag etwas zuspitzen kann. Vielleicht erfolgt ja da und dort eine Debatte. Wir alle, auch die katholischen Christen, müssen uns stärker überlegen, wie wir über unseren Glauben sprechen - nicht über Strukturen, nicht über Finanzen, nicht über die Zukunft unserer Gemeinden und darüber, wer die schöneren Gottesdienste hat.


Dr. Petra Bahr bei einem Gottesdienst im Hamburger Michel am 17.6.11 (epd)
Dr. Petra Bahr bei einem Gottesdienst im Hamburger Michel am 17.6.11 / ( epd )
Quelle:
DR