Als "brandgefährlich" bezeichnet die Innsbrucker Theologin Michaela Quast-Neulinger die zunehmende Aufweichung der institutionellen Trennung von Kirche und Staat in den USA. Im Interview mit der österreichischen Kirchenzeitungen sagte sie: "Was wir erleben, ist eine Verschmelzung von Ideologien im christlichen Nationalismus, der sich verbündet mit einem entgrenzten Kapitalismus."
In der US-Kirche sei die weltanschauliche Spaltung besonders ausgeprägt, analysierte Quast-Neulinger. So würde rund die Hälfte der Bischöfe die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnen. Folglich werde auch Religionsfreiheit nicht mehr als Recht der einzelnen Person verstanden, sondern als Recht der Kirche, über Gläubige zu bestimmen. Dies sei "Ausdruck einer politischen Theologie, die eher Macht sichern will, als Menschenrechte zu achten", so die Theologin.
Die aktuelle Tendenz zeige in Richtung Vereinfachung, also "in links oder rechts und oben oder unten" einzuteilen, so die Theologin. Aber: "Das Leben ist vielfältiger! Theologie ist vielfältiger, Kirche und Politik sind vielfältiger, es gibt nicht nur schwarz oder weiß." Nötig sei die Fähigkeit, "auch Grautöne zu erkennen".
Eskalationsspirale angefeuert
Problematisch sei auch die "Eskalationsspirale", die von radikal-konservativer sowie von radikal-progressiver Seite vorangetrieben werde, meinte Quast-Neulinger. Dabei würde auch das "unheilige Dreierschema aus Abtreibung, Gender und Islam" instrumentalisiert, um gesellschaftliche Polarisierung zu verstärken.
Besorgt zeigte sich die Innsbrucker Theologin über den wachsenden Einfluss integralistischer Strömungen, die eine Rückkehr zu einem konfessionell geprägten Staat nach barockem oder mittelalterlichem Vorbild anstreben. In diesem Modell hätten Nichtchristen keine gleichen staatsbürgerlichen Rechte, "obwohl es zutiefst dem Christlichen widerspricht", betonte Quast-Neulinger. Wenn die Trennung zwischen Staat und Kirche aufgehoben werde, sei dies brandgefährlich.
Faggioli: Europa importiert Trumpismus
Zugleich wächst auch in Europa die Sorge über den Einfluss amerikanischer Kulturkampf-Strategien auf Kirche und Politik, wie der Religionshistoriker Massimo Faggioli im US-Magazin Commonweal darlegte. In Österreich zeigten sich kulturkämpferische Dynamiken etwa im Umfeld der ÖVP. Faggioli nannte auch das Zisterzienserstift Heiligenkreuz und sprach von Verbindungen zu amerikanisch geprägtem Katholizismus.
Ähnliche Spannungen gäbe es in Deutschland, wo die katholische Kirche mit dem Erstarken der rechtspopulistischen AfD konfrontiert sei. Während die deutschen Bischöfe vor AfD-Positionen warnten, wachse die Attraktivität rechtspopulistischer Parteien unter katholischen Wählern. Debatten wie jene um den Auftritt des US-Bischofs Robert Barron, der in Deutschland polarisiert wahrgenommen wurde, verdeutlichen laut Faggioli die Zerrissenheit des Katholizismus in Europa.
Ideologische Verschiebung
Was in Österreich und Deutschland geschieht, scheine "ein weiterer Schritt in der ideologischen Neugestaltung der Beziehung zwischen Katholizismus und Politik zu sein und signalisiert auch eine Abkehr der Kirche von ihrer Unterstützung für ein vereintes Europa", so das Fazit des Theologen. Denn auch wenn die Bischöfe öffentlich eine antipopulistische Haltung einnehmen, schließe dies ideologische Verschiebungen innerhalb des Klerus und der Laien nicht aus.
Der Theologe sieht den europäischen Katholizismus an einem Scheideweg: Denn Globalisierung, Migration und politische Polarisierung veränderten seine Gestalt grundlegend. Die bisherigen Strukturen von Diözesen, theologischen Fakultäten und katholischen Verbänden würden an Bedeutung verlieren, während US-geprägte Formen von "kulturellem Katholizismus" an Einfluss gewinnen würden. Die Frage sei nun, ob der europäische Katholizismus an seiner Tradition des Zweiten Vatikanischen Konzils festhalten oder stärker in kulturkämpferische Muster abgleiten werde.