Der 30. Dezember 2025 ist der 500. Todestag von Jakob Fuggers dem Reichen. Zugleich stehen wir zum Jahreswechsel vor großen wirtschaftlichen u.a. politischen Herausforderungen. Könnte der katholische Kaufmann aus Augsburg uns dafür einen wegweisenden ethischen Spiegel vorhalten? Angesichts manch zeitgeistiger Kritik an Jakob Fugger scheint das eine vermessene These, deren Prüfung sich aber lohnt.
Jakob Fugger ist zweifellos eine der prägendsten Persönlichkeiten der europäischen Wirtschaftsgeschichte. Er baute ein internationales Handelsimperium auf und bestimmte mit seinem Reichtum die Wahl des Habsburger-Kaisers Karl V. Er engagierte sich im Ablasshandel der Kirche und gründete mit der Fuggerei in Augsburg die wohl erste Sozialsiedlung, die mit den Fugger‘schen Stiftungen bis heute Bestand hat. Für manche Kritiker unserer Tage ist er einfach nur der superreiche Kapitalist ohne moralische Autorität. Sein soziales Engagement gilt dann als bloß heuchlerische Sozialromantik. Mit solch einseitigen Vorurteilen soll mal wieder eine Persönlichkeit der Geschichte vom Sockel gestoßen werden. Die Mode einer unterkomplexen Klitterung ist dann das Einfallstor für gefährliche Ideologien. Sie verbaut uns die Möglichkeit, auch von streitbaren Persönlichkeiten zu lernen.
Eine differenzierte sozialethische Sicht öffnet deshalb eine andere Tür. Neben den kritikwürdigen Daten zum Kaiserkauf, zum internationalen Monopol-Netzwerk, der geschickten Umgehung des damaligen Zinsverbotes oder seiner patriarchalischen Unternehmensführung bietet das Leben von Jakob Fugger hochaktuelle wirtschaftsethische Lerneinheiten für unsere Zeit: Begabung zählte ihm mehr als Herkunft. Deshalb übernahm er als jüngster, aber talentiertester Bruder die Leitung des Unternehmens. Eignung also muss das Kriterium für Karriere sein.
Seine Motivation war streng religiös
Er hielt Verträge und Versprechen und markiert so glaubwürdig eine wichtige Tugend des ehrbaren Kaufmanns. Er verzichtete in seinem Unternehmen auf Protz, machte sich für treue Mitarbeiter stark und unterstützte wirksam die Alten und Hilfsbedürftigen. Dabei ging es ihm nicht um falsche Eitelkeit. Seine Motivation war streng religiös. Auf einer Tafel von 1519 in der Fuggerei lesen wir als Beweggrund für die Fugger-Stiftungen: "ihr vom allerhöchsten und gütigen Gott empfangenes Vermögen diesem wieder zu erstatten".
Fugger strebte nach innerer Freiheit, Gutes zu erreichen. Er vertraute nicht den Gesetzen und Herrschern seiner Zeit, sondern suchte eigenmächtig, das Gemeinwohl umzusetzen. Dass er dabei auch Gesetze bog, ist bekannt. Und natürlich birgt solch eine Haltung die Gefahr von Überheblichkeit. Reiner Kadavergehorsam war ihm fremd, ebenso bloßer Eigennutz. Fugger fühlte sich zuerst seinem Gewissen und Gott gegenüber verpflichtet: eine ehrbare Haltung, die wir heute bisweilen schmerzlich vermissen. Es ging ihm darum, seine Talente auszuschöpfen, um Gott wohlgefällig zu sein. Das hat nichts mit abstoßender Heuschreckenlogik zu tun.
Ein Fugger-Spiegel für unsere Soziale Marktwirtschaft erinnert zuerst an die wesentlich christlichen Fundamente dieser Ordnungsidee: Regeln und Anreize zur Entfaltung menschlicher Talente folgen ursprünglich einer christlichen Idee der Eigenverantwortung in einem sozial flankierten Markt. Solidarische Hilfe, ein Geist von Barmherzigkeit für Bedürftige und eine Idee sozialen Friedens folgen einer christlichen Idee der Sozialverantwortung. Wohlstand und Frieden sollen es allen Menschen ermöglichen, sich in Gemeinschaft und persönlich zu entfalten.
Das entspricht der christlichen Idee von Gemeinwohl als Befähigung, ein gutes Leben auch in Verantwortung vor Gott zu führen. Das Bewusstsein solch christlicher Begründung verschwindet heute immer mehr. Marktwirtschaftlicher Erfolg steht unter Kapitalismusverdacht. Postwachstumstheorien sollen an die Stelle treten. Solidarisches Miteinander steht bei anderen unter Verdacht des Schmarotzertums. Sozialer Frieden wird durch ausgrenzende Kampfideen im linken wie rechten Spektrum torpediert. Und die Verantwortung vor einem höheren Ziel wie Gott steht unter Ideologieverdacht.
Der Markt ist Teil unserer Sozialkultur und deshalb nicht ohne Sozialstaat zu denken
Leben und Wirken von Jakob Fugger d. R. halten heute der so angefochtenen Sozialen Marktwirtschaft einen Gewissensspiegel vor: Es braucht wieder ein starkes Wertefundament mit überzeugendem Verständnis von Mensch, Gesellschaft und Verantwortung. Christentum und Aufklärung sind dazu die ergiebigsten Quellen. Das Ideal des ehrbaren Kaufmanns mahnt zu tugendhaftem Verhalten.
Der Markt ist Teil unserer Sozialkultur und deshalb nicht ohne Sozialstaat zu denken. Er kann ein Instrument der Menschendienlichkeit sein, wenn er flankiert ist durch ethische Regeln und geprägt wird durch moralische Menschen, die ihrem Gewissen und Gott folgen. Führungskräfte in Wirtschaft, Politik und auch Kirche müssen sich durch Begabung, Demut und ehrliches Gespür für Not und Notleidende auszeichnen. Dabei braucht es nicht nur den guten Blick, sondern immer auch die gute Tat. Vertrauen in Regierung und Gesetze muss flankiert sein von einem wachen kritischen Geist moralischen Urteils. So vorgelebte Gewissenhaftigkeit kann Menschen wieder begeistern für das derzeit wohl beste Ordnungsmodell. Und allein dafür lohnt sich der Fugger-Spiegel, etwa zur Bewertung Sozialer Marktwirtschaft 2026.
Zum Autor: Prof. Dr. Dr. Elmar Nass ist Prorektor der Kölner Hochschule für katholische Theologie, dort Lehrstuhlinhaber für christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog, Vorstand der Stiftung "Christlich-Soziale Politik e.V."