Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer wird 80

Schwerter zu Pflugscharen

Als kritischer, unbequemer Geist nahm er nie ein Blatt vor den Mund. Seine Aktion "Schwerter zu Pflugscharen" war ein Meilenstein der DDR-Friedensbewegung. Doch Friedrich Schorlemmer ist verstummt, er leidet an Demenz.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer im Jahr 2022 an seinem Schreibtisch zuhause in Wittenberg / © Paul-Philipp Braun (KNA)
Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer im Jahr 2022 an seinem Schreibtisch zuhause in Wittenberg / © Paul-Philipp Braun ( KNA )

Der russische Überfall auf die Ukraine, der Krieg in Nahost - ob beides Friedrich Schorlemmers pazifistisches Denken verändert hat? Seine spektakuläre Aktion "Schwerter zu Pflugscharen" war ein Meilenstein der DDR-Friedensbewegung und machte den evangelischen Theologen 1983 international bekannt. Wie steht er jetzt zu Waffenlieferungen an die Ukraine? Wir werden es wohl nicht erfahren. Denn der einst wortgewaltige Einmischer und Mahner in Politik und Kirche ist verstummt. Im April 2022 machte er seine Demenz-Erkrankung, einhergehend mit Parkinson, öffentlich und zog sich völlig zurück. Am 16. Mai wird Schorlemmer, einer der bekanntesten DDR-Bürgerrechtler, 80 Jahre alt.

Wirken in Wittenberg

Als Sohn eines Pfarrers kam er 1944 im brandenburgischen Wittenberge zur Welt und wuchs in der Altmark auf. Das DDR-Regime verweigerte ihm den Zugang zur Erweiterten Oberschule. So absolvierte Schorlemmer 1962 sein Abitur an der Volkshochschule, der Abendschule im DDR-Bildungssystem, und studierte im Anschluss evangelische Theologie in Halle. Es folgten Stationen als Jugend- und Studentenpfarrer in Merseburg.

Luther-Denkmal in Wittenberg (DR)
Luther-Denkmal in Wittenberg / ( DR )

1978 kam Schorlemmer in die Lutherstadt Wittenberg, wo er bis heute lebt. Zunächst wirkte er als Dozent am dortigen Predigerseminar und als Prediger an der Schlosskirche, an die Reformator Martin Luther einst seine Thesen geschlagen haben soll und am Ende seine letzte Ruhe fand. Vielleicht sind beide einander in manchem Aufbegehren gegen Kirche und Staat nicht unähnlich. Als Schorlemmer beim Kirchentag in Wittenberg 1983 im Lutherhof vor rund 1.000 Menschen symbolträchtig ein Schwert zum Pflugschar schmieden ließ, war die Stasi gleichermaßen überrumpelt wie alarmiert und machte noch am selben Abend Meldung nach Berlin. Die Friedensbewegung in der DDR nahm derweil an Fahrt auf.

Parteigründer und Kriegsgegner

Im September 1989 gehörte Schorlemmer wie sein Pfarrerkollege Rainer Eppelmann zu den Mitbegründern des "Demokratischen Aufbruches", trat aber wenige Monate danach, als sich die Partei in den Wendewirren von linken Positionen abkehrte, wieder aus und später in die SPD ein. Von 1992 bis 2007 war Schorlemmer Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, die ihren Sitz ebenfalls in Wittenberg hat. Weit darüber hinaus wurden indes seine friedenspolitischen Statements gehört. Schorlemmer gehörte zu den Gegnern des Militäreinsatzes im Afghanistankrieg ab 2001 und des Irakkriegs ab 2003. Seit 2009 ist er Mitglied im globalisierungs-kritischen Netzwerk Attac.

In Wittenberg ist 2017 das Denkmal "Schwerter zu Pflugscharen" eingeweiht worden. Es erinnert an die DDR-Friedensaktion "Schwerter zu Pflugscharen" vom evangelischen Kirchentag 1983. / ©  Steffen Schellhorn (epd)
In Wittenberg ist 2017 das Denkmal "Schwerter zu Pflugscharen" eingeweiht worden. Es erinnert an die DDR-Friedensaktion "Schwerter zu Pflugscharen" vom evangelischen Kirchentag 1983. / © Steffen Schellhorn ( epd )

Als Schorlemmer 1993 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, hieß es zur Begründung, er habe "integer in der DDR gelebt" und kämpfe "heute für die Beseitigung neuer innerer Mauern mit einer Sprache, die von Versöhnungsbereitschaft getragen ist". Beredtes Beispiel dafür ist auch das Buch, dass er 2015 zusammen mit dem früheren SED-Mitglied und späteren Linken-Politiker Gregor Gysi schrieb: "Was bleiben wird: Ein Gespräch über Herkunft und Zukunft."

In der Flüchtlingsfrage mahnte Schorlemmer immer wieder solidarische Lösungen an. Mit Sorge verfolgte er die Entwicklung der AfD und sah die Demokratie dadurch "auf dem Prüfstand". Eindringlich mahnte er: "Ich glaube, wir sollten nicht über jedes Stöckchen, dass die AfD hinhält, springen, sollten uns von dem Hass nicht anstecken lassen und durchschaubar machen, mit welchen Winkelzügen die AfD versucht, das parlamentarische System auszuhebeln."

Scharfe Kritik an Kirche

Auch seine Kirche rief der Theologe immer wieder eindringlich zur kritischen Selbstreflexion auf. Aufmerksamkeit erregte 2017 die Streitschrift "Reformation in der Krise", in der er eine ernüchternde Bilanz des Reformationsgedenkens zog: "Es ist leider kaum etwas erkennbar, was mir Mut macht, dass Kirche sich wieder hinwendet zum Alltag der Menschen oder die Gemeinden vor Ort stärkt." Zugleich wollte er die Kritik als Ansporn zum konstruktiven Weiterdenken verstanden wissen: "Wir wollen ermutigen statt verstummend zu resignieren."

Friedrich Schorlemmer 2022 in seinem Lesezimmer in Wittenberg. Er übergibt seinen Vorlass dem Archiv der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. / © Paul-Philipp Braun (epd)
Friedrich Schorlemmer 2022 in seinem Lesezimmer in Wittenberg. Er übergibt seinen Vorlass dem Archiv der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. / © Paul-Philipp Braun ( epd )

In seiner Altbauwohnung in Wittenberg stapeln sich Bücher, Andachten, Reden, Notizen und Korrespondenzen auf fast 220 Regalmetern. Schorlemmer hat bereits alles als Vorlass dem Archiv der evangelischen Landeskirche vermacht. Es soll seine Gedanken zu Friedensethik, Abrüstung, Gerechtigkeit und Umweltschutz - viele davon heute noch aktuell - vor dem Vergessen bewahren.

Friedliche Revolution in der DDR

In Leipzig versammelten sich am 4. September 1989 - einem Montag - rund 1000 Menschen vor der Nikolaikirche und forderten unter anderem Reisefreiheit. Daraus entstanden die Montagsdemonstrationen. Bei der größten am 9. Oktober 1989 protestierten 70.000 Menschen in Leipzig friedlich gegen das SED-Regime. Es setzt sich der Ruf "Wir sind das Volk - keine Gewalt" durch. Die sächsische Stadt befand sich an diesem Tag im Belagerungszustand. Polizei, Stasi, Armee und paramilitärische Kampfgruppen waren aufgefahren, um den Montagsdemonstrationen ein gewaltsames Ende zu machen.

DDR-Bürger strömen am 11.11.1989 durch den neuen Grenzübergang an der Bernauer Straße / © Wolfgang Kumm (dpa)
DDR-Bürger strömen am 11.11.1989 durch den neuen Grenzübergang an der Bernauer Straße / © Wolfgang Kumm ( dpa )
Quelle:
KNA