DOMRADIO.DE: Die Serie "Beast Games" ist umstritten, weil es bei den Spielen nicht nur um Geschicklichkeit und Intellekt geht. Es geht um Verrat, um Neid, um moralische Zwickmühlen. Zum Beispiel werden drei gute Freunde in eine Gruppe gesteckt und zwei müssen sich einigen, um den Dritten aus dem Spiel zu schmeißen. Wie finden Sie das alles?
Tobias Sauer (Influencer und katholischer Theologe): Es ist auf jeden Fall eine wilde Serie. Man muss aber sagen, dass sie im Unterhaltungssektor eingeordnet ist. Es ist Unterhaltung. MrBeast ist der erfolgreichste YouTuber weltweit. Er ist über die Jahre auch dafür bekannt gewesen, dass er sehr gut verstanden hat, was Menschen an seinen Inhalt bindet. Ich glaube, was wir da sehen, ist Aufmerksamkeitsökonomie in Perfektion.
Diese Situation, die Sie gerade geschildert haben, in der drei Freunde entweder gemeinsam den Raum verlassen, oder den Dritten verraten, damit zwei besser rauskommen, ist für das Zuschauen der spannendste Kontext überhaupt, also rein unterhaltungstechnisch und ohne eine ethische Beurteilung. Deswegen gibt es Thriller, deswegen gibt es Fernsehserien wie "Game of Thrones", die voll mit Verrat ist. Das Verrückte ist, dass das hier ein Reality-Format ist.
DOMRADIO.DE: Kritik gibt es nicht nur für das Spielkonzept, sondern auch für die Bedingungen. Mehrere Teilnehmer sind ins Krankenhaus gekommen. Es gab wohl Probleme mit der Verpflegung, mit sauberer Unterwäsche. Das kann vielleicht bei 1.000 Menschen mal vorkommen, macht es aber auch nicht besser. Ist das ein würdiger Umgang mit Menschen, die einfach nur an einer Spielshow teilnehmen?
Sauer: In dem ganzen Kontext sind die Menschen Teil der Produktion. Man muss nicht zu große Kapitalismuskritik üben, aber diese Menschen sind halt Spielfiguren in diesem Spiel. Wenn man sich anguckt, wer eigentlich handelnder Akteur innerhalb dieser Schau ist, dann sind es eben nicht die Teilnehmer, obwohl sie wahrscheinlich alle das Gefühl haben, sehr eigenmächtig und selbstbestimmt zu handeln. Aber das System, was vorgegeben ist, ist eigentlich das, was spielt.
Wenn man als Produzierende für sich selber keine Reflexionsschicht einstellt, sagt man sich sehr schnell, dass diese 1.000 Menschen halt nicht mitmachen sollen, wenn sie das Geld nicht haben wollen. Diese Haltung, dass die Menschen am Ende ja sehr viel Geld bekommen, sieht man auch in dem Umgang mit ihnen.
Aber das ist natürlich Quatsch, denn nur der Gewinner oder der Verräter, die Verräterin, bekommt viel Geld.
DOMRADIO.DE: Einerseits zwingt die Menschen niemand, teilzunehmen und sie haben sich freiwillig für die Show gemeldet. Andererseits werden sie auch zur Schau gestellt. Sie sind hoch verschuldet, teilweise obdachlos, haben todkranke Familienmitglieder. Wie schätzen Sie das als Theologe ein? Ist das noch Freiwilligkeit?
Sauer: Prinzipiell würde ich sagen, dass jeder Mensch einen Wert hat, der nicht veräußerlich ist. Das würde auch die theologische Ethik oder Moraltheologie sagen. Dieser Wert des Menschen ist in diesem Showkonzept aber nicht relevant. Denn der einzige Wert des Menschen wird dadurch definiert, ob man weiterkommt oder nicht oder ob man gewinnt oder nicht. Dafür wird jedes Mittel auf einmal recht.
Das hat schon seine Herausforderungen. Deswegen reden wir hier ja. Es geht nicht nur um eine Spielshow, sondern es geht ja auch darum, dass das Konzept dieser Show auch ganz gut zeigt, wie Gesellschaft funktioniert. Es trifft auf einen Nerv und es trifft auf Resonanz.
Die Erzählung in dieser ganzen Geschichte ist: "Es geht nur um dich. Du musst entscheiden, ob du durch kommst. Du bist selber schuld, wenn du hier einmal zu nett bist, weil du dann in der nächsten Runde rausgekickt wirst." Das ist schon eine starke Tendenz zu einem individualistischen, egoistischen Bild, das deinen Wert auf Leistung reduziert. Das kommt in diesem ganzen Konzept krass durch. Ich wage zu vermuten, dass das etwas ist, was nicht nur in der Spielshow hängen bleibt.
DOMRADIO.DE: Im Jahr 2000 gab es die Fernsehshow "Big Brother". Damals war das ein riesiger Skandal, weil die Kandidaten rund um die Uhr mit Kameras beobachtet wurden. Jetzt gibt es diese "Beast Games". Was würden Sie sagen, was diese Entwicklung über unsere Gesellschaft aussagt?
Sauer: Es geht ja popkulturell noch weiter. Nach "Big Brother" gab es "The Hunger Games - Die Tribute von Panem", was noch Fantasy-Bücher waren. Dann kamen "PUBG" und "Fortnite" raus, beides Computerspiele mit dem Prinzip "Last man Standing", also auch nach dem gleichen Prinzip wie "The Hunger Games": 100 Leute treten an, nur einer kann am Ende gewinnen. Dann kam "Squid Game" bei Netflix mit dem gleichen Prinzip als Filmformat raus. Und jetzt dreht sich die Runde noch einmal mit "Beast Games", wo es um echte Menschen geht.
Das ist faszinierend. Wenn man sich nicht aktiv damit beschäftigt, in welcher Welt wir leben wollen und wie wir miteinander umgehen wollen, dann verselbstständigen sich Tendenzen, die Menschen auf ihren eigenen Überlebensinstinkt zurückwerfen. Das braucht es gar nicht. Es gibt links und rechts genügend Menschen, die dich unterstützen und dir helfen würden, wenn man nur aus diesem Gedanken rauskommt, dass man alles allein schaffen muss.
DOMRADIO.DE: Darf man sich "Beast Games" angucken und sich davon unterhalten lassen? Oder ist man dann ein schlechter Mensch?
Sauer: Nein, es gibt deutlich schlimmere Sachen, die man sich angucken kann, um ein schlechter Mensch zu werden. Man sollte sich Sachen bewusst angucken und man darf auch mit Leuten darüber reden. Genau das brauchen wir ja, dass wir mit Menschen arbeiten, mit Menschen reden, mit Menschen verarbeiten, was wir gesehen haben, was uns wichtig ist, in welcher Welt wir leben wollen. Deswegen würde ich sagen: Schaut euch das gerne mit euren Freunden und Freundinnen an und redet danach darüber.
Das Interview führte Tobias Fricke.