DOMRADIO.DE: Wie haben Sie es aufgenommen, dass italienische Bischöfe Priesterseminare für Homosexuelle öffnen wollen?

Prof. Dr. Markus Krienke (Theologische Fakultät in Lugano, Schweiz): In der Tat war ich erst einmal sehr erstaunt. Nicht nur, weil auf der einen Seite durchaus klar ist, dass italienische Priesterseminare wie auch alle Priesterseminare durchaus homosexuell veranlagte Männer aufnehmen. Es ist klar, dass diese nicht ihre Homosexualität selbst leben dürfen. Homosexualität ist unter Seminaristen wie auch unter Priestern ausgeschlossen. Benedikt XVI. war da sehr stark in seinen Äußerungen. Er sagte ja auch einmal, dass Priestertum und Homosexualität sich gegenseitig direkt ausschließen.
Da ist jetzt ein Dokument, ein Kommentar hinzugefügt worden, der etwas verschachtelt ist. Der Kommentar sagt, dass auch homosexuell veranlagten Priesteramtskandidaten Begleitungen anheimgegeben werden sollen. Es soll ermöglicht werden, dass die sich mit der eigenen Veranlagung auseinandersetzen und sie in einen Gesamtkontext, in ein integrales Persönlichkeitsbild integrieren.
Da sagen die Medien jetzt, homosexuell Veranlagte können direkt aufgenommen werden und die Kirche habe direkt gesagt, homosexuelle Männer sollen aufgenommen werden und können den Priesterberuf ergreifen. Das ist eine stark tendenziöse Interpretation, eine Auslegung. Aber diese Auslegung ist möglich.
DOMRADIO.DE: Das ist sehr schwierig zu verstehen. Also dürfen nun Priester mit homosexueller Neigung in ein Priesterseminar aufgenommen werden?
Krienke: Ich würde sagen, homosexuell veranlagte Menschen können jetzt in italienischen Priesterseminaren offen aufgenommen werden. Es kann offen über ihre Homosexualität gesprochen werden. Das ist in der Kirche doch revolutionärer als es die haben wollen, die behaupten, es habe sich eigentlich gar nichts getan.
Ich glaube, da hat sich schon etwas getan, obwohl auch jetzt nicht von Äußerungen des Papstes selbst gedeckt. Denn man kann nun nicht sagen, dass es eine allgemeine Äußerung ist, dass er selbst dafür wäre, homosexuelle Menschen als Priesteramtskandidaten aufzunehmen. Es gibt ja auch Äußerungen von ihm im letzten Jahr, die dem geradezu diametral entgegenlaufen.
Da hat die Italienische Bischofskonferenz selbst einen Weg gefunden. Sie will dieses Thema öffnen. Denn das Verschweigen dieses Themas richtet in der sexuellen Ausrichtung von Priesteramtskandidaten generell großen Schaden an. Unaufgeklärte und unreife Auseinandersetzungen mit der eigenen Sexualität können unter anderem Auslöser für Missbräuche sein.
DOMRADIO.DE: Der Papst äußert sich recht widersprüchlich. Einmal sagt er: "Wer bin ich denn, Homosexualität zu verurteilen"? Und dann wiederum sprach er kürzlich von "Schwuchteleien in Priesterseminaren".
Krienke: In moralischen Fragen hat der Papst wenig Offenheit gezeigt. Diese Aussage kann vielleicht erstaunen. Er hat überhaupt nichts an der Morallehre der Kirche selbst geändert. Deswegen ist ihm die Idee, dass es in den Priesterseminaren einen hohen Anteil an homosexuellen Priesteramtskandidaten gibt, ein Dorn im Auge. Da hat die Italienische Bischofskonferenz jetzt schon eine große Offenheit gezeigt.
Ich glaube schon, dass es ein großer Beitrag ist, offen über dieses Thema sprechen zu können. An der Lehre der Kirche selbst hat sich nichts geändert. Immer noch ist die Homosexualität als eine zutiefst gestörte Beziehung definiert. Eine Beziehung, die nicht im Naturrecht, nicht im Schöpfungsplan selbst vorgesehen ist. Diese Haltung der Kirche steht ein bisschen in Spannung zu dieser neuen Öffnung dieses Dokuments.
DOMRADIO.DE: Man könnte doch auch sagen, solange ein Priesteramtskandidat zölibatär lebt, ist es doch ganz wurscht, ob er heterosexuell oder homosexuell ist, oder?
Krienke: Auf der einen Seite natürlich. Das ist auch die Stoßrichtung dieses Dokuments. Wenn jemand eine aufgeklärte Haltung zur eigenen Sexualität hat, wenn er sich darüber bewusst ist, diese nicht zur Schau stellt und diese nicht praktiziert, dann ist die Situation genau so, wie Sie gerade sagen. Das Bestimmende ist, dass die Sexualität selbst nicht ausgeübt wird.
Die Kirche hat schon große Bedenken, dass sich homosexuelle Tendenzen eher bilden als heterosexuelle, wenn nur Männer ein Studium zusammen verbringen oder dann auch in der Kirche selbstorganisiert sind. Das ist vielleicht von der Medizin und Psychologie selbst nicht gedeckt, aber dieses Vorurteil hält sich noch.
Auf der anderen Seite haben sowohl Papst Franziskus als auch Benedikt XVI. angesprochen, es gäbe auch eine Art Seilschaften unter homosexuell Veranlagten in der Kirche.
DOMRADIO.DE: Wenn man Homosexualität verstecken und verschweigen muss, erst dann macht man sich erpressbar und erst dann kommt man in die Versuchung, geheime Seilschaften zu bilden. Wenn man aber damit offen umgehen kann, dann wird es doch wahrscheinlich viel weniger Erpressbarkeit und Seilschaften geben, oder?
Krienke: Genau aus diesem Grund halte ich auch das Dokument für "revolutionärer" als es die haben wollen, die sagen, im Grunde habe sich an der Lehre nichts geändert. Aber ich glaube, dass in dieser Öffnung genau diese revolutionäre Kraft mit drinsteckt. Man will die Tatsache der Homosexualität aus dem Verborgenen in die Offenheit bringen.
Indem man sie in die Offenheit bringt, nimmt man der Sexualität und dem ganzen sexuellen Thema letztlich in der Kirche die Auswirkungen, die es in der psychologischen oder in machtperspektivischen Struktur einnimmt. In dieser Weise würde wahrscheinlich auch die Kirche als Zufluchtsort unattraktiver für homosexuelle Leute, die sich vor ihrer Homosexualität flüchten, sie nicht darstellen können oder keine Beziehung zur eigenen Homosexualität einnehmen wollen.
Denn so werden sie dann in den Priesterseminaren mit der Homosexualität konfrontiert werden, vor der sie eigentlich fliehen wollten. Man nimmt also der Homosexualität wie auch dem Thema der Sexualität viel von seiner Sprengkraft. Aus diesem Grund glaube ich, dass diese Öffnung sehr wichtig ist.
DOMRADIO.DE: Ist denn Homosexualität überhaupt ein Thema in italienischen Priesterseminaren?
Krienke: In Italien besteht das Problem, dass man über gewisse Dinge nicht spricht und diese Dinge daher viel von ihrem Machtpotenzial, Erpressungspotenzial entwickeln. Die Präsenz von homosexuellen Priestern in italienischen Seminaren und im italienischen Klerus ist aus diesem Grund schwer einschätzbar.
Man sieht es an der Tatsache, dass die italienische Kirche im Thema Aufarbeitung weit zurückliegt. Es gibt keine großen Anzeichen, dass das Thema überhaupt angegangen würde. Von daher ist diese Öffnung ein Schritt von großer Wichtigkeit. Deshalb glaube ich, ist das Medienecho auch so groß.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie denn, dass sich die Bewertung von Homosexualität in der römisch-katholischen Kirche langfristig ändern oder weiterentwickeln wird?
Krienke: Das wird unter anderem davon abhängen, wie das Thema von einzelnen Bischofskonferenzen und auch von der Hierarchie her angegangen, gefördert oder eben verhindert wird. Ich glaube, dass der Weg auf jeden Fall sehr weit und steinig ist. Denn es ist ein Thema, das mit allen seinen Konsequenzen sehr ins Eingemachte reicht, in Machtstrukturen der Kirche reicht, die mit der Sexualmoral selbst verbunden sind.
Das Interview führte Johannes Schröer.