Theologe Hein plädiert für Neubewertung der Erbsündenlehre

Braucht Gott einen Sündenbock?

Der Theologe Hermann Häring stellt die These auf, dass der Erbsündenglaube massiven Klerikalismus begünstigt hat. Stimmt das? Und braucht Gott wirklich einen Sündenbock? Theologieprofessor Rudolf Hein wagt einen Erklärungsversuch.

Adam und Eva im Garten Eden / © jorisvo (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Bevor wir über die Kritik am Erbsünden-Begriff sprechen, wollen wir kurz auf das Wort selbst schauen. Was verstehen Sie unter der Erbsünde?

Pater Rudolf Branko Hein O.Praem (Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster): Erbsünde ist das, was traditionell übrig bleibt, wenn wir auf den Adam schauen. In der Schöpfungsgeschichte haben wir die eigentliche Ursünde. Das ist da, wo Adam vom Baum der Erkenntnis isst – das ist alles ein hochsymbolischer Vorgang – und damit eines der fundamentalsten Gesetze Gottes, nämlich nicht so zu sein wie er oder sich überhaupt an seine Bestimmungen zu halten, bricht.

Prof. Dr. Rudolf Hein (privat)
Prof. Dr. Rudolf Hein / ( privat )

Und diese Diskrepanz, dieses Auseinanderklaffen von göttlichem Gebot und willentlichem Handeln des Adam – der es dann nachher auf die Eva schiebt und die schiebt es auf die Schlange, das haben wir in der heutigen Lesung des Festtages gehört – diese Sache, die hängt dem Menschen seit dieser Ursünde an. So die traditionelle Lehre. Ich betone das noch mal: Das ist keine moderne Interpretation, sondern die traditionelle Erbsündenlehre.

DOMRADIO.DE: Wenn jeder Mensch eine Erbsünde hat, kommt man schnell zu dem Schluss, dass der Mensch an sich eine Tendenz zum Schlechten hat. Hermann Häring hat kritisiert, dass die Erbsünde ein "dunkles, traumatisierende Menschenbild geprägt" habe. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Hein: Ich kann das in gewisser Hinsicht nachvollziehen. Das hängt mit einer anthropologischen Weichenstellung zusammen, die Augustinus verstärkt hat und die auf bestimmten Tendenzen gnostischen Einflusses und auch der paulinischen Theologie herangebildet werden konnte. Nämlich dass der Mensch im Grunde genommen einen verderbten freien Willen hat. Das Problem der Erbsünde ist eigentlich, dass diese Bezeichnung in sich widersprüchlich ist.

Wenn Sünde so etwas ist wie "Ich entscheide mich gegen Gott in meinem Handeln", grob gesagt – "sunta" von "abtrennen" –, dann bedeutet "Sünde" ja "Ich trenne mich wissentlich und willentlich, also aus einem freiheitlichen Akt von Gott ab", dann kann ich das nicht erben. Sondern dann kann ich das immer wieder neu als Person vollziehen. Ich kann sündigen, ja, aber ich kann keine Erbsünde begehen. Das geht gar nicht. Wenn, dann müssten wir korrekt von Erbschuld reden. Das ist das, was im Nachhall eines sündigen Aktes verbleibt, was auf dem Menschen lastet. Aber auch hier stellt sich dann die Frage: Wie kann ich so etwas erben? Wie kann ich Schuld eines anderen erben?

DOMRADIO.DE: Augustinus ist noch davon ausgegangen, dass sich das biologisch vererbt, weil jeder Mensch wirklich biologisch von Adam abstammt. Wir wissen ja, dass es nicht so ist. Hat sich das dann nicht sowieso erledigt?

Hein: Es hat sich in der Gewichtung der Interpretation stark verändert. Wir sind immer mehr in die Frage hineingekommen: Wie können wir überhaupt unsere Anthropologie auf der einen Seite nach einer solchen Gnadenlehre ausrichten, die natürlich eine Aufhebung dieser Erbschuld durch die Erlösungstat Christi am Kreuz vorsieht? Und auf der anderen Seite: Wie können wir dennoch und gerade vor diesem Hintergrund die Freiheit des Menschen und seine fundamentale Freiheit zu handeln, seine Autonomie weiter stark machen? Nicht nur gewährleisten, sondern auch stark machen.

Ich muss das immer wieder betonen: Was wir hier von Häring hören, ist eine Hälfte der katholischen Anthropologie. Er soll bitte so freundlich sein und Origenes aufschlagen und dort nachlesen über die menschliche Freiheit. Da wird er etwas anderes lesen. Und Origenes war ja bekanntlich schon vor Augustinus theologisch tätig. Auch da findet sich eine ganz deutliche Freiheitslehre und auch freiheitliche Anthropologie des Menschen.

DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie gerade das Stichwort Gnade genannt. Ihr Kollege Häring sieht ein weiteres Problem in der Begünstigung von Klerikalismus. Er sagt, wenn der Mensch diese Erbsünde hat, dann sei eine Elite notwendig geworden, um den Menschen kraft Amtes Gnade zu vermitteln. Ist das nicht genau das Problem, das wir gerade mit Klerikalismus haben?

Hein: Das wäre die Frage. Was wir bei jeder Institution haben, ist ein Problem mit dem gerechten und auch ausgeglichenen, abgewogenen, fairen Umgang mit Macht. Klerikalismus ist ja erst mal auch ein geprägter Begriff, ganz deutlich negativ gewichtet, der diesen Machtmissbrauch innerhalb der katholischen Kirche kennzeichnen will. Und von daher haben wir natürlich ein Problem dieses Machtmissbrauchs, insofern und wenn er sich eben dieser Metaphorik, dieser negativen Anthropologie des Schlechten bedient. In dem Sinne, dass er sagt: Wir Menschen sind alle sündig, auf uns lastet diese Schuld Adams und die kann letztlich auch nur vergeben werden durch die Amtsträger. Das ist ziemlich krude, muss ich dazu sagen.

Eine solche Schlussfolgerung zu ziehen, finde ich ein bisschen schwierig, weil die Erbsünde oder genauer gesagt die Erbschuld durch die Erlösungstat Christi aufgehoben wurde. Und in der Taufe wird diese Aufhebung dann ratifiziert. Von daher sind wir eigentlich schon von der Erbsünde befreit. Wir sind allerdings nicht von unserer Sündhaftigkeit und unseren Einzelsünden befreit. Dazu brauchen wir wieder die Vergebung innerhalb der Beichte, könnte man sagen. Da würde dann der Amtsträger reinkommen. Aber nicht vorher.

Rudolf Hein, Professor für Theologische Ethik in Münster

"Eine solche Schlussfolgerung zu ziehen, finde ich ein bisschen schwierig, weil die Erbsünde, oder genauer gesagt die Erbschuld, durch die Erlösungstat Christi aufgehoben wurde."

DOMRADIO.DE: Sie haben die Erlösung angesprochen. Da hängt tatsächlich an der Erbsünden-Theologie ziemlich viel. Wir haben das auch in den kirchlichen Texten. Im Tagesgebet vom Karfreitag steht ja zum Beispiel: "Durch das Leiden deines Sohnes hast du den Tod vernichtet, der vom ersten Menschen auf alle Geschlechter übergegangen ist." Zeichnet so eine Opfer-Theologie aber nicht auch ein ziemlich blutrünstiges Gottesbild, wenn Gott so einen Sündenbock braucht?

Hein: Da sind wir jetzt in der Frage der Opfer-Theologie. Die Frage "Was genau ist denn jetzt Christus in diesem Rahmen des Sündenbocks?" ist ja auch eine Metapher, die aus dem Alten Testament kommt. Die hilft uns an dieser Stelle nicht unbedingt weiter für eine neue Idee der Erbsündenlehre beziehungsweise der Erbschuldlehre. So würde ich sie lieber bezeichnen.

Das Handeln Christi durch seine Bereitschaft, sich dem Willen des Vaters zu unterwerfen, für uns zu leiden, für uns zu sterben, sich klein zu machen, zunächst einmal Mensch zu werden – das betont ja Origenes ganz klar – und dann das Leben Christi und das Sterben am Kreuz. Dies sind Zeichen für seine Hingabe an Gott und damit Wegweiser auch für uns, aber auch Zeichen der Versöhnung zwischen Gott und Mensch und dieser Überbrückung, dieser Abtrennung, an die uns im Grunde die Erbsünde- oder Erbschuldtheorie noch erinnert.

Mariä Empfängnis als Hochfest der katholischen Kirche

Die römisch-katholische Kirche begeht am 8. Dezember, neun Monate vor dem Fest der Geburt Mariens (8. September), das Hochfest der Empfängnis Mariens. Die vollständige Bezeichnung des Festes lautet: Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria. Das Fest ging aus dem ursprünglichen Fest Mariä Empfängnis hervor, das auch von der anglikanischen Kirche gefeiert wird. Die orthodoxen Kirchen feiern Mariä Empfängnis am 9. Dezember, haben aber wegen ihres nicht-augustinischen Verständnisses der Erbsünde keine speziellen Lehren darüber.

Mariä Empfängnis / © dr (DR)
Mariä Empfängnis / © dr ( DR )

DOMRADIO.DE: Wie müsste dann Ihrer Ansicht nach konkret eine zeitgemäße Interpretation dieser Erbsünden- oder Erbschuldtheologie aussehen?

Hein: Zunächst einmal müsste sie an einem positiven Menschenbild ansetzen. Das heißt, wenn wir als Gottes Ebenbild in Freiheit handeln können, dann sind wir dazu befähigt Akte der Freiheit zu setzen, die uns zum Guten und auch im Widerspruch zu Gott beispielsweise zum Bösen determinieren können oder die so bewertet werden können. Die Erbschuldtheorie könnte uns einen Eindruck vermitteln, dass es heißt, dass wir in unserem Handeln ja nicht völlig solipsistisch dastehen, dass wir nicht alleine handeln, unabhängig von anderen Strukturen, von Mitmenschen.

Sondern dass wir immer eingebunden sind in bestimmte Zusammenhänge. Und diese Zusammenhänge können durchaus sündhaften oder schädlichen Charakter haben. Damit meine ich, dass sie Folgen zeitigen können, die für das gedeihliche Leben negativ oder negativ zu bewerten sind. Diese Idee, dass wir in bestimmten Strukturen gefangen oder eingebunden sind, ohne ihnen aber komplett ausgeliefert zu sein, das ist ja das Entscheidende. Sonst wäre ja unsere Erbschuld nicht da.

Wenn wir nur in Strukturen gefangen sind, die wir nicht rühren, nicht verändern können, dann brauchen wir auch keinen Schuldgedanken mehr. Dann löst sich Moralität auf. Nur dann, wenn wir Möglichkeiten haben auf diese Strukturen einzuwirken im positiven Sinne, ergibt sich für uns die Notwendigkeit des freiheitlichen Handelns. Das ist für mich ein Aspekt, die Erbsündenlehre neu zu denken. Das macht Franz Böckle ja so gut, indem er Sünde als Macht bezeichnet, der wir auch ein Stück weit ausgeliefert sind, in die wir hineingestellt sind. Das wäre die Frage: Was tun wir in diesen Strukturen, um den sündhaften und auch negativen, schädlichen Wirkungen von diesen Strukturen entgegenzutreten?

DOMRADIO.DE: Schauen wir zum Abschluss noch kurz auf die theologische Ethik. Wir haben ja gerade schon gesehen, dass an dieser Erbsündenlehre viel dran hängt, zum Beispiel in Bezug auf das Menschenbild. Welchen Stellenwert hat die Erbsündenlehre in diesem Fach?

Hein: Soweit ich das überblicken kann – ich bin nicht der Experte für die Erbsündenlehre innerhalb der Theologe – steht diese Thematik in der Moraltheologie eigentlich nicht mehr so sehr im Mittelpunkt, weil sie eben mit dieser Schwierigkeit des Selbstwiderspruches belastet ist. Das ist die erste Problematik, die zur Folge hat, dass man über die Erbsündenlehre in der letzten Zeit nicht mehr so viel geschrieben, gedacht und gesprochen hat innerhalb der Moraltheologie. Das kann ich wohl sagen.

Die besten und interessantesten Äußerungen stammen tatsächlich aus den 70er- und 80er-Jahren. Damit sind die auch schon relativ alt und liegen weiter zurück. Das heißt, man hat immer schon die Schwierigkeit dieser Erbsündenlehre, die ja in sich widersprüchlich ist, gesehen. Eine gute Formulierung zu finden hat man zwar versucht aber das ist letztendlich immer noch nicht geglückt.

Das Interview führte Hannah Krewer. 

Quelle:
DR