Syrischer Abt wünscht sich stärkeren Dialog der Religionen

"Wir wollen Kirche für und mit dem Islam sein"

Die Christen in Syrien sind eine kleine Minderheit. Trotz der Bedrohung durch islamistischen Terror setzen die Mönche im Kloster Mar Musa auf Dialog. Der Obere der Gemeinschaft wurde vor zehn Jahren von Islamisten verschleppt.

Youssef Jihad / © Volker Hasenauer (KNA)
Youssef Jihad / © Volker Hasenauer ( KNA )

Das Interview wurde am 28. September aufgezeichnet.

DOMRADIO.DE: Pater Youssef Jihad, Sie sind auf Einladung von missio zum Weltmissionsmonat in Deutschland, um über die Lage der Christen in Ihrer Heimat zu sprechen. Vorab: Warum trägt ein christlicher Mönch den Beinamen Jihad? Heißt das nicht in der islamischen Welt "Heiliger Krieg"?

Pater Youssef Jihad (Abt des Klosters Mar Musa in Syrien): Das werde ich oft gefragt. Ich bin froh, dass ich die Frage jetzt mal richtig beantworten kann. Jihad heißt auf Arabisch nichts anders als Berufung, Einsatz oder Verpflichtung. Im Nahen Osten ist das sowohl unter Muslimen als auch unter Christen ein sehr geläufiger Name. Er bedeutet also viel mehr als nur "Heiliger Krieg".

Es stimmt, im Islam heißt das auch "Heiliger Krieg". Aber auch das wird oft falsch verstanden, weil das nicht nur den Krieg mit Mord und Waffen meint, sondern auch das spirituelle Bekenntnis.

In der christlichen Tradition wird der Begriff zum Beispiel im Zusammenhang des Bekenntnisses des Heiligen Paulus verwendet. An sich ist Jihad also ein positives Wort, weil wir uns alle bekennen und bemühen müssen, gute Menschen zu sein. Ein schlechtes Leben braucht keine Mühe oder Verpflichtung.

Kloster Dar Mar Musa al-Habaschi (Syrien) / © Simon Kremer (dpa)
Kloster Dar Mar Musa al-Habaschi (Syrien) / © Simon Kremer ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ihr Kloster Mar Musa war in den letzten Jahren viel in den Schlagzeilen, weil ihr Ordensoberer 2013 von Islamisten verschleppt wurde. Seit vergangenem Jahr sind die Tore des Klosters wieder für Touristen geöffnet. Vor dem Bürgerkrieg war Mar Musa eine der größten Touristenattraktionen des Landes. Wie hat sich das Leben Ihrer Gemeinschaft in diesen Jahren verändert?

Youssef Jihad: Seit dem Bürgerkrieg hat sich die Stimmung bei uns im Kloster sehr verändert. Die ersten fünf Jahre kam im Prinzip außer ein paar Pilgern aus der näheren Umgebung niemand mehr zu uns. Danach hat sich das ein wenig gebessert und wir haben ein paar christliche Pilger aus anderen Teilen Syriens empfangen.

Seit 2015, 2016 ist das wieder besser. Einzelpilger wie Gruppen kamen wieder mehr und mehr zurück zu uns. Mit der Pandemie 2020 war dann aber auch damit wieder Schluss. Für zwei Jahre haben wir unseren Gästebetrieb komplett einstellen müssen. Erst seit letztem Sommer sind wir wieder in der Lage, ganz normal Gäste zu betreuen.

Unser monastisches Leben fußt auf drei Grundsätzen. Gott steht für uns ohne Einschränkungen oder Kompromisse im Mittelpunkt. Wichtig ist für uns auch die körperliche Arbeit. Wir arbeiten mit unseren Händen, um unseren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Das reicht aber nicht aus. Deshalb sind wir auch auf Spenden angewiesen.

Aber die körperliche Arbeit hat für uns auch einen moralischen und erzieherischen Wert. "Ora et Labora" ist die Maxime der Mönche in der östlichen wie in der westlichen Welt.

Pater Youssef Jihad

"'Ora et Labora' ist die Maxime der Mönche in der östlichen wie in der westlichen Welt."

Der dritte Fokus unserer Arbeit ist der Empfang von Gästen. Wir sehen in jedem Gast das Angesicht Gottes, ob es nun Christen, Muslime, Atheisten oder Andersgläubige sind. Jeder wird nach seinen Bedürfnissen versorgt. Wir sehen Gott in unseren Gästen, und wir hoffen, dass unsere Gäste auch Gott in uns entdecken. Gott steht als Gast und Gastgeber also auf beiden Seiten.

DOMRADIO.DE: Wie setzt sich denn Ihre Mönchsgemeinschaft zusammen?

Youssef Jihad: Wir sind eine katholische Gemeinschaft. Der syrisch-katholische Bischof von Homs stammt ursprünglich aus unserem Kloster und wurde erst im vergangenen März zum Bischof geweiht. Wir als Brüder gehören aber unterschiedlichen Riten an. Ich selbst bin maronitischer Christ. Wir haben aber auch lateinische, griechisch-katholische, syrisch-katholische, orthodoxe, assyrische oder lutherische Christen bei uns. Im Moment lebt zum Beispiel eine lutherische Schwester aus Deutschland in unserem Kloster.

Wir sind also eine gemischte Gemeinschaft. Man könnte sagen, wir sind zur Ökumene berufen. In der Liturgie folgen wir dem syrisch-katholischen Ritus. Alle Nicht-Katholiken sollten sich zumindest offen zeigen, dem katholischen Papst zu folgen.

Mönche im Kloster Dar Mar Musa al-Habaschi in Syrien  / © Simon Kremer (dpa)
Mönche im Kloster Dar Mar Musa al-Habaschi in Syrien / © Simon Kremer ( dpa )

DOMRADIO.DE: In Ihrer Gemeinschaft spielt der interreligiöse Dialog zwischen Christen und Muslimen eine große Rolle. Warum?

Youssef Jihad: Unser Lebensziel ist es, ein gegenseitiges Verständnis von Christen und Muslimen zu fördern. Wir haben unser geweihtes Leben in den Dienst von Jesus Christus gestellt, der alle Menschen geliebt hat. Deshalb haben wir besonderen Respekt vor Muslimen als Menschen und dem Islam als Religion.

Das Ziel unseres Dialoges ist es nicht, die Muslime zu bekehren. Wir taufen keine Muslime. Wir versuchen, Ihnen ohne Vorurteile zu begegnen. Wir wollen ihr Bekenntnis, ihre Gebetsformen und ihr spirituelles Leben verstehen lernen. Wir können als Brüder und Schwestern friedlich zusammenleben, weil wir alle an den gleichen Gott glauben.

Pater Youssef Jihad

"Das Ziel unseres Dialoges ist es nicht, die Muslime zu bekehren."

Natürlich gibt es große Differenzen, was die Frage der Glaubenslehre betrifft. Das hindert uns aber nicht daran, einen Dialog zu führen. Wir wollen Brücken bauen statt Mauern. Das ist die große Botschaft unserer Gemeinschaft, die für die östliche Welt genauso wichtig ist wie für den Westen und die ganze Welt.

Wir können uns als Glaubensgemeinschaft nicht mehr abschotten. Die Kirche in Syrien kann nicht Kirche gegen den Islam sein. Wir wollen Kirche für und mit dem Islam sein. Wenn das anders wäre, könnten wir unser Land direkt verlassen. Dafür braucht es keine Krisen oder Krieg.

Natürlich hat der Islam auch eine Verantwortung gegenüber den Christen. Im Moment sind wir weniger als eine halbe Million Christen im Land. Das Schicksal und die Zukunft der Christen im Nahen Osten liegt am Ende aber in unserer eigenen Hand. Es geht mehr darum, wie wir mit dem Islam umgehen als umgekehrt.

Wir können nicht den Schutz der Regierung verlangen, wenn wir nicht gleichzeitig die Muslime respektieren. Am Ende ist es dein muslimischer Nachbar, auf dessen Hilfe du als erstes angewiesen bist.

DOMRADIO.DE: Ihr ehemaliger Ordensoberer Paolo Dell'Oglio wurde 2013 von Islamisten entführt und ist seitdem verschollen. Welche Rolle spielt das in Ihrem Klosteralltag? Fühlen Sie sich bedroht?

Youssef Jihad: Eine Sache ist mir wichtig: Als Christen wurden wir nie durch die Islamisten verfolgt, selbst als der Islamische Staat da war. Selbst die haben mehr die anderen Muslime verfolgt als uns Christen. Die haben mehr Moscheen als Kirchen zerstört. Sie haben mehr Scheichs und Imame ermordet als Priester und Nonnen. Ich weiß explizit nur von einem Priester, der durch den IS ermordet wurde. Vielleicht gibt es mehr, da bin ich mir nicht sicher.

Natürlich war und ist der Terrorismus immer noch eine Bedrohung für uns. Allerdings haben nicht nur wir, sondern das ganze syrische Volk darunter gelitten. Der IS hat die Muslime als größere Bedrohung empfunden, weil sie der gleichen Religionsgemeinschaft angehören.

Pater Youssef Jihad

"Der Terrorismus ist immer noch eine Bedrohung für uns."

Die Bedrohung war aber auch für uns zu jeder Zeit real. Wir hatten auch immer unsere Taschen für den Notfall gepackt, falls wir das Kloster verlassen müssten. Wir wären sofort weg gewesen, wenn die Gefahr zu groß geworden wäre. So ging es unseren Brüdern im Kloster Mar Elian, das auch zu unserer Gemeinschaft gehört. Dort wurde einer der Brüder entführt und die Kirche zerstört. In der Region wurden 250 Christen über mehrere Monate in Geiselhaft gehalten.

Man kann die Gefahr durch den Terrorismus also nicht kleinreden, aber diese Gefahr bestand für alle Syrer, nicht nur für uns Christen. Wir können also nur in Frieden leben, wenn wir als Christen und Muslime in Harmonie und Freundschaft zusammenleben.

Der entführte Bruder aus Mar Elian konnte nur durch die Hilfe von Muslimen fliehen. Während des Krieges haben wir im Kloster in der Nacht oft Besuch von einem muslimischen Geistlichen bekommen, der uns Brot und Medikamente gebracht hat, weil in dieser Zeit niemand sonst zu uns durchdringen konnte.

Eine Ordensfrau betet mit ausgebreiteten Armen in der kleinen Kapelle des Klosters Dair Mar Musa al-Habaschi in Nabek in Syrien am 14. Dezember 2018 / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Eine Ordensfrau betet mit ausgebreiteten Armen in der kleinen Kapelle des Klosters Dair Mar Musa al-Habaschi in Nabek in Syrien am 14. Dezember 2018 / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie betrachten Sie denn die Zukunft der christlichen Minderheit in Syrien?

Youssef Jihad: Wir sind inzwischen nicht mal mehr eine halbe Million im Land. Es gibt die reale Gefahr, dass wir in diesem Land bald ausgestorben sind. Wenn die aktuelle Entwicklung so weiter geht, können irgendwann die Europäer kommen und die Überreste der Christen im Zoo oder Museum betrachten – nicht mehr als lebendige Gemeinschaft wie die letzten 2000 Jahre. Unsere Verantwortung ist es, diese Tradition am Leben zu halten.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Weltmissionssonntag und Monat der Weltmission 2023

Der Weltmissionssonntag ist die größte Solidaritätsaktion der Katholikinnen und Katholiken weltweit. Mehr als 100 päpstliche Missionswerke sammeln an diesem Tag auf allen Kontinenten für die soziale und pastorale Arbeit der Kirche in den 1.100 ärmsten Bistümern der Welt. Die Spenden kommen unter anderem den dort arbeitenden Seelsorgerinnen und Seelsorgern zugute.

missio-Plakat zum Sonntag der Weltmission 2023 / © missio
missio-Plakat zum Sonntag der Weltmission 2023 / © missio
Quelle:
DR