SWR-Doku sucht nach Gründen für den Kirchenaustritt

"Bleiben oder gehen?"

"Ist die katholische Kirche in Deutschland noch zu retten?" Dieser Frage widmet sich eine neue SWR-Doku und befragt Ausgetretene und die, die noch kämpfen wollen. Fazit: Probleme sind bekannt, Lösungen kompliziert.

Autor/in:
Johannes Senk
München: Ein Schild mit der Aufschrift Wartezone Kirchenaustritte im Standesamt München / © Sven Hoppe (dpa)
München: Ein Schild mit der Aufschrift Wartezone Kirchenaustritte im Standesamt München / © Sven Hoppe ( dpa )

Am 25. Mai beginnt in Stuttgart der 102. Katholikentag, nach den coronabedingten Einschränkungen der vergangenen Jahre nun wieder live und in Farbe mit Aktionen vor Ort. Das mehrtägige Kirchenereignis nimmt der Südwestrundfunk (SWR) zum Anlass, den Menschen auf den Zahn zu fühlen: Die 45-minütige Dokumentation "Die katholische Kirche in der Krise – Austritt oder Engagement?" begleitet aktive Katholiken und solche, die aus der Kirche ausgetreten sind, und fragt nach ihren Gründen und Motiven. Am Sonntagmittag strahlt die ARD den Film aus.

Marx, zu Eltz und Ordowski dabei

Zu Wort kommen mehrere Akteure: mit dem Münchner Kardinal Reinhard Marx, dem Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz und der Bundesvorsitzenden der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB), Daniela Ordowski, drei Personen, für die die Kirchenzugehörigkeit nicht nur eine rein private, sondern auch eine berufliche Frage ist. Hinzu kommen eine bereits ausgetretene ehemalige Religionslehrerin, eine Anhängerin der Reformbewegung Maria 2.0, ein Jurist und Theologe, der ökumenische Gottesdienste mit leitet, sowie eine geschiedene ehemalige Pastoralreferentin.

Reinhard Marx im Gespräch / © Robert Kiderle (KNA)
Reinhard Marx im Gespräch / © Robert Kiderle ( KNA )

Als einordnende Instanzen fungieren der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack und die Erfurter Kirchenrechtlerin Myriam Wijlens. Sie greifen zentrale Kritikpunkte heraus und versuchen darzustellen, was aus ihrer Sicht die Menschen in Deutschland nun eigentlich aus der Kirche treibt - und was das für die Kirche bedeutet.

"Immer noch mächtige katholische Kirche"

Zusammenfassend und als kleine Komikelemente werden kirchenkritische Werke des "Stern"-Karikaturisten Til Mette zwischengeblendet. Der Hamburger Künstler hat seine eigene Sicht auf die "immer noch mächtige katholische Kirche": Diese müsse in der Moderne ankommen und dürfe nicht in 200 Jahre alten Strukturen hängen bleiben.

Johannes zu Eltz  / © Angelika Zinzow (KNA)
Johannes zu Eltz / © Angelika Zinzow ( KNA )

So kommt die Dokumentation zu ihrer zentralen Frage: "Warum aus der Kirche austreten, warum bleiben?" Leicht – so der Tenor des Filmes – ist es für keinen: weder für die, die Kirche verlassen haben, noch für jene, die bleiben wollen. Das gelte auch für den Frankfurter Priester zu Eltz, der selbst Teil der Amtskirche ist. Rund 800 Briefe schreibe er jährlich an Menschen, die ihren Kirchenaustritt erklärten und lade sie zum Gespräch ein. Aus den fünf bis zehn Prozent, die ihm Rückmeldung gäben, erkenne er, "dass das niemand macht, weil er mit dem falschen Fuß aufgestanden ist".

Es sind bekannte Streitpunkte: der Missbrauchsskandal, Vertuschung und schleppende Aufarbeitung, die Sexualmoral der Kirche, Machtstrukturen und die Ungleichbeteiligung von Frauen, die die Dokumentation als ausschlaggebend nennt.

Doku ist auf Deutschland fokussiert

Interessant auch die Gegenstimme, die der Film in der zweiten Hälfte einführt – nämlich die einer Konvertitin, die sich aus spirituellen Gründen der Kirche verbunden fühlt. Missstände, die in anderen Gesprächen zentral sind, treten hier am Rande auf. Stattdessen wird über Selbstfindung gesprochen: Es gehe nicht darum, die Kirche von Außen zu verändern, sondern sich durch die Kirche selbst verändern zu lassen – woraufhin der Sprecher die Frage aufwirft, ob das denn genüge, um die Welt zu ändern.

Durch die darauf folgende Blende zu einer "Fridays for Future"-Demonstration unter Beteiligung der KLJB wird diese Frage quasi abschlägig beantwortet.

Synodaler Weg / © Julia Steinbrecht (KNA)
Synodaler Weg / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Die Dokumentation nimmt erwartungsgemäß einen auf Deutschland fokussierten Standpunkt ein. Dementsprechend wird auch auf den Reformdialog der Kirche in Deutschland, den Synodalen Weg, Bezug genommen. Die Protagonisten setzen Hoffnung in den Prozess, das wird deutlich. "Das müsste selbstmörderisch sein, wenn Rom das nicht irgendwie würdigen wollte", sagt zu Eltz, der zu den prominenten Priestern gehört, die komplett hinter dem Reformprojekt stehen.

Eher am Rand macht der Film auch deutlich, wo das Problem dieses Standpunktes ist, nämlich, dass er lediglich als eine Position da steht. "Wie soll das gehen, vorangehen und gleichzeitig auf 1,5 Milliarden Katholiken weltweit warten?", fragt die Stimme aus dem Off. Und bleibt die Antwort schuldig.

Viele Menschen sehen sich im Zwiespalt

Gegenübergestellt werden stattdessen die Positionen von Kirchenrechtlerin Wijlens und Kardinal Marx. Während die Theologin sich ein Ausschöpfen des rechtlich möglichen wünscht, ohne ständiges Nachfragen in Rom, unterstreicht der Kardinal die Gemeinschaft mit dem Papst und das "Alle unter einen Hut"-Bringen als wichtiges, einendes Element. Darin, dass etwas vorangehen muss, sind sich beide einig.

Die Statements sind kämpferisch, oft mit drohendem ("Wenn sich das nicht ändert, muss ich gehen") oder mit beschwichtigendem Unterton ("Wir verlieren nicht die Heiterkeit, wir bleiben nicht frustriert zurück"). Damit unterstreicht Regisseur und Autor Bernd Seidl durchaus eindrucksvoll den Zwiespalt, in dem sich viele Menschen in der Kirche sehen, sowie die Meinungsvielfalt, mit der sich auch der Synodale Weg auseinandersetzen muss. Das regt zu tieferer Reflexion an, ohne dabei zwangsläufig redundant zu wirken.

"Der Streit um Reformen wird weitergehen" – Vor dem Hintergrund des anstehenden Katholikentages, bei dem nach der langen Pandemiezeit das Wiedersehen und Miteinanderfeiern wieder im Vordergrund stehen soll, wirkt das Schlusswort der Dokumentation dann eher ernüchternd.

Quelle:
KNA
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