Streit um Grundsicherung prägt die politische Woche in Berlin

Ethisch angemessen oder schlicht unsozial?

Was ist gerecht und was ist unzumutbar? Die geplante Reform des Bürgergelds sorgt für Unruhe in der SPD. An der Basis startet ein Begehren gegen die "Grundsicherung", vor allem gegen Sanktionen. Doch die Erfolgsaussichten sind gering.

Autor/in:
Carsten Döpp
Symbolbild Bürgergeld / © Racamani (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Die Spitzen von Union und SPD hatten sich ja Anfang Oktober auf Verschärfungen beim Bürgergeld geeinigt. Es soll künftig Grundsicherung heißen und schärfere Sanktionen geben. Doch jetzt rebelliert die Basis der SPD – was ist da los in Berlin?  

Daniel Zander (Katholische Nachrichten-Agentur Berlin, KNA): In der Tat gibt es unter einigen Mitgliedern der SPD viel Kritik an den Plänen. Jetzt fordert die Basis die Parteispitze auf, das Vorhaben zu stoppen. Eine Gruppe in der Partei sammelt derzeit Unterschriften für ein offizielles Mitgliederbegehren. Die SPD dürfe keine Politik mittragen, die Armut bestrafe, heißt es in dem Text. Unterzeichnet haben das Papier unter anderem der Juso-Chef Philipp Türmer und die EU-Abgeordnete Maria Noichl.  

DOMRADIO.DE: Was genau wird da gefordert?

Zander: Konkret geht es um drei Punkte. Zuerst sollen die Sanktionen beim Bürgergeld nicht verschärft werden. Strafen, die das Existenzminimum gefährden, würden der Menschenwürde widersprechen. Dann fordert der Text der SPD-Basis mehr Hilfe für Betroffene, auch im psycho-sozialen Bereich. Und nicht zuletzt müsse sich die SPD rechtspopulistischen Behauptungen entgegenstellen. Es gehe um die Ursachen von Armut und nicht um Symbolik.

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil  / © Carsten Koall (dpa)
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil / © Carsten Koall ( dpa )
Muss schauen, dass er die Partei hinter sich zusammenhält: Bundesfinanzminister und SPD-Chef Lars Klingbeil.

DOMRADIO.DE: Und wie sehen denn die Erfolgsaussichten aus?

Zander: Die sind tatsächlich eher mau. Ein offizielles Mitgliederbegehren hat klare Regeln: Die Unterschriften müssen auf einer SPD-Plattform gesammelt werden, nicht wie in diesem Fall auf einer externen Internetseite. So sollen die Stimmen auf ihre Gültigkeit geprüft werden können. Zudem müssten ein Begehren 20 Prozent der Mitglieder unterstützen, das wären über 70.000. Auf der externen Internetseite haben Stand jetzt nur etwas über 3.000 Menschen unterschrieben.

Aber doch zeigt dieser Aufruf aus der eigenen Partei, dass es viel Kritik an den Plänen gibt und dass das Thema ein nächster, großer Prüfstein für die Koalition werden kann. Der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, hat letzte Woche auch schon verbal gegen die SPD geschossen mit dem Satz: "Wenn die SPD keine Lust mehr hat, Verantwortung für Deutschland zu übernehmen, soll sie es ehrlich sagen."

DOMRADIO.DE: Einher mit der Debatte um das Bürgergeld geht die Frage, wie es generell um den Sozialstaat steht. Einige Stimmen aus der Politik fordern auch dort grundlegende Reformen – wie steht es um das Image des Sozialstaats?

Eva Maria Welskop-Deffaa / © Harald Oppitz (KNA)
Eva Maria Welskop-Deffaa / © Harald Oppitz ( KNA )

Zander: Das leidet aktuell unter den vielen Kürzungsdebatten und auch unter den Vorwürfen, das System fördere Faulenzer, die es sich mit dem Bürgergeld bequem machten und nichts leisten würden. Die Caritas-Chefin Eva Maria Welskop-Deffaa hat jüngst einen anderen Blick auf den Sozialstaat gefordert: Sie will "den Sex-Appeal" des Sozialstaats vermitteln. Es müsse betont werden, dass die Beiträge zur Sozialversicherung solidarisch absicherten. So könnten Teufelskreise in Krisenlagen gebremst werden. Ein präventiver Sozialstaat für alle sei wichtig. Aber auch sie sagte, dass ein "illoyales Verhalten", wie sie es nennt, bestraft werden müsse.

DOMRADIO.DE: Was ist denn dran an dem Vorwurf, dass sich Arbeit nicht wirklich lohnen und das Bürgergeld zum Ausnutzen einladen würde?

Zander: An diesen Vorwürfen ist laut dem neuen Armutsbericht der Bundesregierung von Ende letzter Woche nicht viel dran. Wer mit seiner Arbeit etwa Mindestlohn verdient, hat mehr Geld zur Verfügung als Empfänger von Bürgergeld. Zwischen 2021 und 2024 stiegen demnach die Einkommen, die Beschäftigte im Mindestlohn erzielten, stärker als die Bürgergeldbezüge – obwohl die Regelsätze für das Bürgergeld in den letzten beiden Jahren jeweils um 12 Prozent gestiegen sind.

Euro- und Centmünzen liegen auf einer Entgeltabrechnung. Der Mindestlohn in Deutschland soll in zwei Stufen auf 14,60 Euro zum 1. Januar 2027 steigen. / ©  Marcus Brandt (dpa)
Euro- und Centmünzen liegen auf einer Entgeltabrechnung. Der Mindestlohn in Deutschland soll in zwei Stufen auf 14,60 Euro zum 1. Januar 2027 steigen. / © Marcus Brandt ( dpa )
Der Mindestlohn wird künftig etwas höher ausfallen: Ab dem 1. Januar 2026 klettert er für Beschäftigte auf 13,90 Euro und ab 2027 weiter auf 14,60 Euro.

Aber der Bericht sagt auch, dass viele Menschen einige Sozialleistungen, die ihnen zustehen, nicht abrufen. Das hat auch mit bürokratischen Hürden zu tun. Bei möglichen Reformen des Sozialstaates geht es neben Kürzungen dann auch um den Abbau dieser Hürden. 

DOMRADIO.DE: Wie geht es in der Debatte nun weiter?

Zander: Die Regierungschefs der Bundesländer wollen bei einer Reform des Sozialstaats bis Dezember zu ersten Ergebnissen kommen. Dann ist in Berlin die Konferenz der Ministerpräsidenten mit Kanzler Friedrich Merz. Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer von der SPD, will die Debatte sachlich führen. Und er hat sich zuletzt gegen einen "Kürzungs-Fetischismus" ausgesprochen, er will eine größere Effizienz.

Damit spricht er das an, worum es in den folgenden Debatten nun gehen wird – die Kostenfaktoren zu senken, aber zugleich die Effizienz zu sichern. Ohne, dass die Debatte auf dem Rücken vermeintlicher "Faulenzer" ausgetragen wird. Die aktuellen Ereignisse, auch der Protest aus Teilen der SPD, werden dabei sicher in den Diskurs einfließen.

Regierung treibt Verschärfung der Migrationspolitik weiter voran

Die Bundesregierung hat an diesem Mittwoch (04.06.2025) weitere Verschärfungen in der Migrationspolitik auf den Weg gebracht. Für schnellere Asylverfahren und leichtere Abschiebungen will sie künftig ohne Zustimmung der Bundesländer sogenannte sichere Herkunftsstaaten bestimmen können.

Einen entsprechenden Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch. Der Entwurf muss noch durch Bundestag und Bundesrat.

Asylantrag / © Julian Stratenschulte (dpa)
Asylantrag / © Julian Stratenschulte ( dpa )
Quelle:
DR , KNA

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