Steven Uhly liest aus seinem Roman über Missbrauch

Der Beichtstuhl als Tatort

Sexualisierte Gewalt von katholischen Geistlichen ist ein unsäglichles Verbrechen. Kann es trotzdem gelingen, darüber einen Roman zu schreiben? Ja - möglich ist das! Der Autor Steven Uhly erzählt davon in seinem atemraubenden Buch.

Autor/in:
Johannes Schröer
 © Klaus Nelissen (privat)
© Klaus Nelissen ( privat )

Rot ist die Farbe der Liebe aber auch des Höllenfeuers. Zur Lesung mit Steven Uhly in der Kölner St. Agnes Kirche leuchtet der Beichtstuhl rot – angestrahlt von einem Scheinwerfer.

Um einen Beichtstuhl geht es auch in dem Buch "Die Summe des Ganzen", ein atemraubender Roman über sexualisierte Gewalt im System der katholischen Kirche, über Machtmissbrauch, über Schuld und Sühne und über die zerstörerische Kraft, die auch die Liebe haben kann.

Der Beichtstuhl als Abort der Unzucht

Die Handlung spielt überwiegend in einem Beichtstuhl in einem Vorort von Madrid. Jeden Nachmittag sitzt dort der Padre Roqué de Guzmann und hört die immergleichen Verfehlungen der ihm schon bekannten alten Beichtenden. Doch dann kommt ein Fremder, der etwas Schlimmes getan zu haben scheint, aber er bringt es nicht über die Lippen, so dass er in den darauffolgenden Tagen immer wieder kommt und immer um Worte ringt.

Der Mann, ein Nachhilfelehrer, gesteht, seinen zehnjährigen Schüler Armando zu begehren. Der Padre zeigt dafür Verständnis, denn der Geistliche ist selbst schuldig geworden. Dann nimmt das Geschehen eine ungewöhnliche Wendung. Im Gespräch mit den Besuchern der Lesung erzählt der Autor Steven Uhly, dass er selbst einen engen Freund habe, der in seiner Kindheit sexualisierte Gewalt durch einen Priester erlitten habe.

Diese Gespräche habe er beim Schreiben seines fiktiven Romans im Hinterkopf gehabt. Der Beichtstuhl wird im Buch von Uhly zum Tatort oder wie der Autor schreibt "ein Abort der Unzucht, in den zwei erregte Männer sich zurückgezogen haben, um einem Knaben zu huldigen, der nichts davon weiß." Er habe für den Roman einen Beichtstuhl gewählt, weil das Gespräch unter vier Augen und die Intimität einerseits eine Sicherheit für den Beichtenden biete, aber eben auch eine Sicherheit für den Priester sein könne. Je nachdem, wer was wolle, erzählt Uhly.

Die Schuld der Täter

Sexualisierter Missbrauch in der Kirche ist auch deswegen ein sensibles Thema, weil die Folgen für die Opfer unsäglich sind. Zudem besteht bei der Beschreibung der Täter die Gefahr, sie zu dämonisieren oder aber, indem man ihre Motive entschlüsselt, die Taten dadurch zu relativieren und zu entschuldigen.

"Es muss eine ganz klare Trennung zwischen Verstehen und Rechtfertigen existieren", sagt Steven Uhly. "Das Problem stellt sich in dem Moment nicht, in dem ich so nah an den Figuren dran bin, dass ich wirklich ihr Innenleben beschreibe. Dann muss man nichts rechtfertigen oder beschönigen oder besonders hervorheben. Dann beschreibt man einfach das, was passiert und in dem Moment wird auch nicht geurteilt".

Der Padre im Roman reagiert zunehmend angefasst von dem vermeintlichen Sünder. Er gerät ins Schwitzen. Warum? Und wer hat hier Schuld auf sich geladen? Wer ist Täter und wer Opfer? Stephen Uhly gelingt es, uns in die Abgründe eines Täters blicken zu lassen, ohne ihn zu dämonisieren oder ihn durch die Schilderung seiner Motive zu entschuldigen.

Die Kirche als Täterorganisation

Mit großer Aufmerksamkeit hören die Besucher des Abends, wie der Autor aus seinem Roman liest. Seine Worte hallen in der Kirche wieder, sie füllen den Raum mit einer unheimlichen Wucht. Und allen ist bewußt, welch brennende Aktualität das Buch hat, denn es spielt vor der Folie des Skandals um sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche.

Klar wird, dass die Kirche Schuld auf sich geladen hat. Der Täter ist auch in der fiktionalen Geschichte Uhlys immer wieder versetzt worden und konnte immer wieder neu Kinder missbrauchen. Dem führenden Kirchenpersonal fehle es hier an Einsicht und Übersicht, sagt der Autor am Ende des Abends, als das Gespräch auf die aktuelle Situation kommt.

Dem System Kirche in ihrer bisherigen Struktur mangele es auch an dem nötigen Instrumentarium und auch an dem politischen Willen, die Verbrechen in den eigenen Reihen aufzuklären. "Die Kirche dreht sich vor allem um sich selbst", sagt Uhly. "Sie versucht sich zu schützen, sie versucht unangreifbar zu sein, sie hat Dogmen entwickelt, wie zum Beispiel das Dogma der Unfehlbarkeit, die sie geradezu daran hindern, sich weiterzuentwickeln".

Quelle:
DR