"Wir erleben in den USA eine Rückkehr in eine totemistische Stammeskultur", sagt der Psychologe Stephan Grünewald, "dabei ist Donald Trump der Elefant, der verspricht, Amerika wieder groß zu machen, und seine Anhänger haben das Gefühl: wir sind verwandt, wir haben alle eine Elefantenseele".
"Epochenwandel" unserer Zeit
"Wir Krisenakrobaten. Psychogramm einer verunsicherten Gesellschaft" heißt das neue Buch von Grünewald, das den "grundsätzlichen Epochenwandel" unserer Zeit unter die Lupe nimmt. In zahlreichen Interviews, die das von ihm gegründete Rheingold Institut geführt hat, offenbarte sich, dass die Zuversicht der Menschen in die Zukunft gesellschaftlich einen Tiefpunkt erreicht hat. Zuversicht findet sich höchstens noch im privaten Rahmen, so das Ergebnis der Umfragen. "Auf die vielen Krisen, die sich zurzeit aneinanderreihen, reagieren die Menschen mit Rückzug in ihr privates Schneckenhaus," erklärt Grünewald.
"Und dann kommt ein großer Elefant wie Trump daher, der trampelt und trompetet und Tatsachen torpediert", sagt der Psychologe, "der uns in die Stammeskultur der Bronzezeit zurückversetzt". Man müsse sich nur die Bilder vom Sturm auf das US-Kapitol anschauen. Verkleidete Stammeskrieger seien da unterwegs gewesen.
Die vollmundigen Erlösungsversprechen der Autokraten weltweit haben für Grünewald eine religiöse, spirituelle Dimension. So wehrt er auch ab, wenn man ihn fragt, was er davon halte, dass Religionssoziologen eine zunehmende religiöse Indifferenz unter den Menschen ausmachen, das heißt: Immer mehr Menschen sei Gott einfach ganz egal, sagen sie. "Die Menschen sind weiterhin gläubig. Nur schaffen sie sich heute eine Fülle von Ersatzgöttern und Ersatzreligionen mit eigenen Glaubensbekenntnissen, Erlösungs- und Heilserwartungen", beobachtet Grünewald. In seinem Buch beschreibt er, wie zum Beispiel die gesunde Ernährung zu einem Heilsweg überhöht wird, oder wie Yoga und alternative Kontemplationstechniken boomen. "Die spirituelle Sehnsucht wird von anderen Playern bedient und weniger von den großen Kirchen", sagt Grünewald. Um wieder an gesellschaftlicher Bedeutung zu gewinnen, müsse die Kirche an ihrer rituellen Erstarrung dringend etwas ändern.
"Es gibt einen Ausweg"
Und nun? Was tun? Sich ins private Schneckenhaus zurückziehen und untergehen? "Nein", sagt Grünewald, "es gibt einen Ausweg. Wir müssen unsere Verbundenheit neu entdecken." Bei der Wiederentdeckung der brachliegenden Verbundenheit könnten die Kirchen eine wichtige Rolle spielen. "Das müssen aber Formen sein, wo die Menschen das Gefühl haben, beteiligt zu sein", sagt er.
Die zusammenführende Kraft könne auch in der Kommunion erlebt werden. Dieses gemeinsame Sich-auf-den-Weg-machen in der Kommunion sei ein tiefer Ausdruck der Verbundenheit. Grünewald ist davon überzeugt, dass wir uns von alten Mustern und Formen unseres bisherigen Lebens lösen müssen, um den Sprung ins Ungewisse zu wagen, und darauf vertrauen, dass wir auch im Loslassen und im Sprung verbunden bleiben.
Erinnerung an Dietrich Bonhoeffer
Am Ende seines Buches "Wir Krisenakrobaten" zitiert der Psychologe den Theologen Dietrich Bonhoeffer, der diese Zuversicht spendende und bergende Kraft der Verbundenheit während seiner Haft in der letzten Strophe seines geistlichen Gedichts verewigt hat: "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag."
In einem Weihnachtsbrief an seine Verlobte hat Bonhoeffer dieses – trotz seiner Isolation – bestehende Geborgenheitsgefühl auch im Hinblick auf seine Mitmenschen weiter ausgeführt: "Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du und die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, Ihr seid mir immer ganz gegenwärtig."