Stefan Spangenberg lief über 5.500 Kilometer nach Jerusalem

Nach 283 Tagen Ankunft im Heiligen Land

5.523 Kilometer, mindestens sechs durchlaufene paar Schuhe: Stefan Spangenberg hat eine Pilgerreise der Superlative geschafft. In neun Monaten durchwanderte er neun Länder und erreichte am Ende Jerusalem.

Autor/in:
Elisabeth Friedgen
Tobias Schäfer und Stefan Spangenberg / © Stefan Spangenberg (KNA)
Tobias Schäfer und Stefan Spangenberg / © Stefan Spangenberg ( KNA )

Der Tiefpunkt kommt Anfang Februar, als er es schon fast geschafft hat. Es ist Nacht. Stefan Spangenberg liegt am Flughafen Ben-Gurion nahe Tel Aviv auf einer Bank im Wartebereich. Nicht etwa, weil es der Tag seines Heimflugs wäre, sondern weil er schlicht kein anderes Nachtquartier gefunden hat. Mit seinem Monowalker, dem Wandergepäckwagen neben sich, fällt er auf. Dauernd kommt misstrauisches Wachpersonal vorbei. An Schlaf ist nicht zu denken.

'Wozu dieser ganze Stress?', fragt sich der Pilger müde. In den beiden Nächten zuvor musste er vor Tankstellen zelten. Tagsüber waren die Wege schlecht, an Autobahnen entlang, über matschige Feldwege - wo der Monowalker einmal im Schlamm stecken blieb. Vielleicht, grübelt Spangenberg, sollte er für die letzten Kilometer doch einen Bus nach Jerusalem nehmen?

Doch am frühen Morgen packt ihn der Ehrgeiz wieder. Busfahren kommt nicht infrage! Zwei Tage später ist Stefan Spangenberg wirklich da. "Willkommen in Jerusalem!", ruft ihm eine Passantin fröhlich zu. An diesem 12. Februar endet eine ungewöhnliche Reise, die im Frühling 2018 begonnen hatte. "Um 11.45 Uhr erreiche ich das Ortsschild von Jerusalem", wird der 60-Jährige später in seinen Blog schreiben. "Ich glaube, so richtig kann ich es noch gar nicht fassen, dass ich an meinem Pilgerziel angekommen bin."

Eine Mauer um seine Welt herum

Was für ein Mann ist da nach Jerusalem gepilgert? Ein Rückblick. Reisen und Pilgern war gar nicht vorgesehen in der Welt, in die er 1958 hineingeboren wurde. Erfurt, damals DDR. Als Spangenberg drei Jahre alt war, zog man um seine Welt herum eine Mauer. Er wuchs in einem christlichen Elternhaus auf, wurde Lehrer, heiratete. Lebte nicht schlecht in dem Land, aus dem er nicht hätte fortgehen können. "Der Vogel weiß erst, dass er gefangen war, wenn er aus dem Käfig kommt", sagt er heute. Dann kam der Mauerfall. Stefan Spangenberg wird sie nie vergessen, die erste Fahrt in den Westen. Freiheit.

Es verschlug ihn nach Mainz. Dort schulte er um und arbeitete im IT-Bereich. Inzwischen ist er in Altersteilzeit. Seit einigen Jahren lebt er in Ingelheim, konvertierte 2013 zum katholischen Glauben. Im selben Jahr besuchte er mit einer Gruppe seiner Pfarrei Israel - und war fasziniert. 'Ich werde eines Tages zu Fuß hierher pilgern', beschloss er. Die nötige Kondition hatte er: Jahrelang lief er Marathon, sogar Ultra-Marathons über 74 Kilometer.

Gepilgert war er auch schon, einige Jahre zuvor auf dem Jakobsweg. Sein damaliger Pfarrer Tobias Schäfer, heute Dompropst in Worms, unterstützte ihn: "Wenn du das wirklich machst, dann werde ich am Damaskustor in Jerusalem stehen, wenn du ankommst, und dich begrüßen." Noch war die Reise nicht mehr als eine fixe Idee.

Auch für kranken Sohn gepilgert

Ende 2013, ein Schock: Sohn Martin erkrankt mit 32 Jahren an Multipler Sklerose. "Viel Unterstützung", habe er durch die Deutschen Multiple-Sklerose Gesellschaft, (DMSG), erfahren, sagt Stefan Spangenberg. Martin lernte von den Mitarbeitern, trotz Krankheit den Alltag zu meistern. Aus Dankbarkeit pilgert Stefan Spangenberg darum nicht nur für sich und seinen Glauben. Die Reise ist auch mit einem Spendenaufruf für die Arbeit der DMSG verbunden. Für sein Spendenziel sind später 8.000 Euro zusammengekommen.

Anfang Mai 2018 geht es los: Mit 29 Kilogramm Gepäck im Monowalker startet Spangenberg seine Pilgertour, etwa 35 Kilometer pro Tag. Monatelang hat er die Route ausgetüftelt. Wo Meere oder politische Unwägbarkeiten wie in Syrien sein Fortkommen hindern, will er Schiffe und Flieger nutzen.

Zwei Wochen später ist Stefan Spangenberg in Frankreich. "Schöne Landschaften, nette Menschen und zum Glück keine Pannen", resümiert er gut gelaunt am Telefon. Das Gepäck hat er nochmal reduziert und Überflüssiges per Paket heimgeschickt. "Man spürt beim Pilgern, mit wie wenig man auskommt."

Es hat sich gelohnt

Trotz guter Schuhe plagten ihn einige Tage lang Blasen an den Füßen, doch die sind nun zum Glück verheilt. Wenn man ihm das damals, zu DDR-Zeiten, gesagt hätte: 'Du nimmst eines Tages einfach den Monowalker und wanderst einfach los!' - "das hätte ich nie geglaubt!", sagt er.

Der Pilgerstempel vom 21. Juli erinnert an seine Ankunft in Rom. In Italien bekommt Spangenberg Besuch von seiner Lebensgefährtin Iris, die vier Wochen der Route bis Florenz mit ihm pilgert. Per Fähre setzt er nach Albanien über, weiter geht es nach Mazedonien. Im Oktober: Griechenland; per Fähre geht es nach Zypern, dann zu Fuß in die Türkei. Dort feiert der Pilger Anfang November seinen 60. Geburtstag, später das Weihnachtsfest in der deutschsprachigen Gemeinde Antalyas, St. Nikolaus.

Ende Februar 2019: Vor einigen Tagen ist Spangenberg wieder in seinem "alten" Leben gelandet, von Freunden und Familie euphorisch am Frankfurter Flughafen begrüßt. Alles ist gutgegangen. Es hat sich gelohnt, nach dem Durchhänger kurz vor Jerusalem weiter zu laufen. Stefan Spangenberg ist ein Macher, er zieht sein Ding durch. Alles andere würde ihn unzufrieden machen.

Herzlicher Empfang

Tatsächlich am Ortsschild von Jerusalem zu stehen, das hat ihn stolz gemacht. Eins der schönsten Erlebnisse war sicher der 290. Pilgertag: Da empfängt ihn Tobias Schäfer tatsächlich am Damaskustor. "Da habe ich mich schon sehr geehrt gefühlt, dass er wirklich gekommen ist. Er ist extra hingeflogen."

Ein Gefühl, das Stefan Spangenberg mit dem Ende der Pilgerreise gern hinter sich gelassen hat: "Morgens nicht wissen, wo ich abends übernachten werde." Bis Italien gebe es eine "gute Pilger-Infrastruktur". Danach wurde nicht nur die Suche nach Unterkünften, sondern auch der Weg selbst oft zur Herausforderung - wie er es in Israel besonders drastisch erleben musste.

"Überall offene und hilfsbereite Menschen"

Sicher fühlte er sich dennoch in jedem Moment seiner Reise: "Ich bin nicht beklaut worden, habe überall offene und hilfsbereite Menschen getroffen." Etwa das israelische Pärchen, das er im Juni am Großen Sankt Bernhard in der Schweiz kennenlernte und das ihn im Februar einige Tage in seinem Kibbuz in Jerusalem beherbergte.

Nur zweimal musste er am Monowalker einen Platten flicken. Das Gefährt war ansonsten überall ein Hingucker. "Viele Passanten wollten ein Selfie damit machen", berichtet Spangenberg.

Ausruhen wird er sich nicht lange: Im Mai will er einen Halbmarathon laufen, vielleicht ein Buch über die Reise schreiben, seine 29.000 Fotos sortieren. Und irgendwann schnürt er auch wieder seine Wanderschuhe. Denn es gibt noch so manche Pilgerroute, die Stefan Spangenberg reizt. 

Jerusalem

Blick auf Jerusalem / © JekLi (shutterstock)

Jerusalem ist für die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam eine zentrale Stadt. Daran erinnern heute archäologische Zeugnisse und Heiligtümer, die sogenannten Heiligen Stätten. Kaum eine andere Metropole hatte eine so wechselvolle Geschichte; immer wieder änderten sich die politischen Machtverhältnisse.

Quelle:
KNA