Steckt die Anglikanische Kirche im Schisma?

"Wir sind nicht die, die sich abspalten"

Die Anglikaner streiten nicht nur über die neue Erzbischöfin von Canterbury. Ein alter Konflikt um Glauben, Bibeltreue und Sexualethik wirft die Weltgemeinschaft der Anglikanischen Kirche in eine Krise. Was steckt dahinter?

Autor/in:
Arne Conrad
Die "All Saints' Anglican Church" in Rom / © Kraft74 (shutterstock)
Die "All Saints' Anglican Church" in Rom / © Kraft74 ( shutterstock )

In der anglikanischen Weltkirche spitzt sich ein seit Jahren schwelender Streit zu: Mehrere Kirchen, vor allem aus Afrika und dem globalen Süden, haben sich von der traditionellen Kirchenleitung um Canterbury losgesagt und eine eigene Struktur gegründet – die “Global Anglican Communion”. Damit steht die weltweite Gemeinschaft der Anglikanerinnen und Anglikaner vor einer historischen Zerreißprobe.

Kathedrale von Canterbury / © Alexey Fedorenko (shutterstock)
Kathedrale von Canterbury / © Alexey Fedorenko ( shutterstock )

Der Auslöser ist ein alter Konflikt: der Umgang mit Homosexualität. Seit Jahren streitet die anglikanische Kirche darüber, ob gleichgeschlechtliche Paare gesegnet oder homosexuelle Geistliche ordiniert werden dürfen. Während Kirchen in England oder Nordamerika zunehmend liberaler werden, lehnen viele im globalen Süden diese Entwicklung entschieden ab.

“Ein handfester Streit – und faktisch schon eine Spaltung”

Der evangelische Theologe Dr. Kai Funkschmidt, Religionswissenschaftler und Experte für Anglikanismus, spricht im Gespräch mit DOMRADIO.DE von einem handfesten Streit. “Das ist eine Spaltung in der anglikanischen Gemeinschaft”, sagt Funkschmidt.

Nach der Trennung der Church of England von Rom im 16. Jahrhundert entwickelten sich in Großbritannien neue kirchliche Strukturen. Im Zuge des Kolonialismus verbreiteten diese sich weltweit. Heute ist die anglikanische Gemeinschaft ein lockerer Verbund von 42 eigenständigen Kirchen, die historisch mit der Kirche von England verbunden sind. Der Erzbischof, oder künftig die Erzbischöfin von Canterbury hat darin nur eine symbolische Leitungsrolle als sogenannter “Ehrenprimat”. 


Konflikt mit Canterbury

Aber auch innerhalb dieser Gemeinschaft gab und gibt es Spannungen. 2008 gründete sich die GAFCON – “Global Fellowship of Confessing Anglicans”. Sie ist ein loser Zusammenschluss konservativer Bistümer, die sich gegen die liberale Sexualethik der westlichen Kirchen stellen. Unter der Führung südlicher Kirchen stellt GAFCON nun auch die Rolle des Ehrenprimats grundsätzlich in Frage.

Am 16. Oktober erklärte nun der ruandische Erzbischof Laurent Manda, Vorsitzender des Bündnisses, die Gründung der “Global Anglican Communion”. Diese verstehe sich, so Funkschmidt, nicht als Abspaltung, sondern als die eigentliche Bewahrerin des biblischen und bekenntnistreuen Glaubens. “Der Anspruch lautet: Wir sind nicht die, die sich abspalten, die anderen haben sich von der Bibel entfernt.”

Unterschiedliche Strukturen, gleiche Bezeichnung

Organisatorisch ist das neue Bündnis allerdings noch schwach aufgestellt. Anders als die anglikanische Gemeinschaft mit ihrem Büro in London hat GAFCON bisher keine festen Strukturen, sondern nur lose Treffen und Erklärungen. Neu ist allerdings die Forderung, dass Mitglieder künftig aus ihren Kirchenordnungen streichen sollen, dass sie in Gemeinschaft mit der Kirche von England stehen und den Ehrenprimat von Canterbury anerkennen. “Das ist ein echter Bruch”, sagt Funkschmidt.

Wie viele Kirchen diesen Schritt mitgehen, ist offen. Zwar dominieren afrikanische Provinzen wie Nigeria, Ruanda oder Uganda die Bewegung, doch längst nicht alle im globalen Süden wollen diesen Weg mitgehen.

Englands Kirche zwischen Reform und Tradition

 © House of Lords / photography by Roger Harris (privat)
© House of Lords / photography by Roger Harris ( privat )

Auch in der Kirche von England selbst schwelt der Streit weiter. Eine Mehrheit der Bischöfe befürwortet die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, die Basis ist gespalten. Ein umstrittener Beschluss aus dem Jahr 2023, diese Segnungen über einen kirchenrechtlichen Umweg einzuführen, sorgte für heftige Kritik. 

Mit der Wahl der neuen Erzbischöfin Sarah Mullally stoppte die Kirche Mitte Oktober den bisherigen Kurs. Sie will den gesamten Reformprozess neu und nach strengeren Regeln aufrollen – ein Schritt, der den Fortschritt um Jahre verzögern dürfte.

Beobachter sehen die Wahl Mullallys aber auch als Möglichkeit der Einigung: “Es wird ihr gelingen, Brücken zu bauen. Sie hat sich in den letzten Jahren als Bischöfin von London einen ausgezeichneten Ruf erworben und mit Leuten zusammengearbeitet, mit denen sie nicht einer Meinung war. Weil man mit ihr sehr ehrlich und sehr konstruktiv zusammenarbeiten kann.” So Johannes Arens im Interview, Domkapitular an der anglikanischen Kathedrale in Leicester.

Interessant ist ein vermeintlicher Zufall: Nur einen Tag später, am 16. Oktober, verkündete GAFCON die Gründung der neuen “Global Anglican Communion”. Ob geplant oder nicht, beide Ereignisse markieren eine Zäsur für die Weltgemeinschaft der Anglikaner.

Kein Weg in die katholische Kirche

Könnten sich die konservativen Anglikaner nun der katholischen Kirche zuwenden? Für Funkschmidt ist das unwahrscheinlich. Zwar habe es in den 1990er-Jahren, nach der Einführung der Frauenordination in England, mehrere Übertritte anglikanischer Geistlicher gegeben, doch das sei ein sehr spezifisch englisches Phänomen gewesen.

In Afrika sei das Verhältnis zwischen der katholischen und der anglikanischen Kirche deutlich angespannter. Ein Übertritt sei dort weder theologisch noch praktisch attraktiv. “Viele der Anführer der GAFCON-Bewegung sind selbst Bischöfe oder Erzbischöfe. In der katholischen Kirche könnten sie nur als einfache Priester wirken”, erklärt Funkschmidt. “Das macht einen solchen Schritt für sie kaum vorstellbar.”

Kein einheitlicher Süden

Trotz der lautstarken Abspaltung mahnt Funkschmidt zur Differenzierung: Nicht alle konservativen Kirchen im Süden folgen GAFCON. Die Global South Fellowship of Anglican Churches (GSFA), ebenfalls ein Zusammenschluss südlicher Provinzen, hat sich klar gegen eine Spaltung ausgesprochen. “Auch im Süden ist es umstritten, ob man an dieser Frage die Kirchengemeinschaft zerbrechen lassen will”, betont der Theologe.

Für Funkschmidt ist die Situation nicht nur eine strukturelle, sondern auch eine emotionale Krise: “Es ist dramatisch, wenn man plötzlich außerhalb der Gemeinschaft steht.” Der Konflikt berühre das Selbstverständnis vieler Christinnen und Christen – zwischen Loyalität zur eigenen Kirche und Treue zur eigenen Bibelauslegung.

Wie sich die Lage entwickeln wird, bleibt unklar. Fest steht: Der anglikanischen Weltkirche steht eine lange Phase der Unsicherheit bevor – und ein Riss, der wohl nicht mehr so schnell zu kitten ist.

England und Rom - Stationen der Entfremdung und Wiederannäherung

"Tod den Papisten!", so rief man in England, seit 1605 ein Katholik das Parlament in die Luft jagen wollte. Erst in der Spätzeit von Königin Elizabeth II. hieß es dann wieder: "Willkommen zu Hause, Herr Kardinal!"

Vor zwei Jahren (im Mai 2023) nahm mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin die Nummer Zwei des Vatikans als Stellvertreter des Papstes an der Krönung von Charles III. teil.

Das war keinesfalls eine Selbstverständlichkeit - denn über Jahrhunderte standen in England der Papst und "die Papisten" in einem ganz schlechten Ansehen.

Schild mit Gottesdienstzeiten an der katholischen Kirche Saint Patrick in London. / © Nicola Trenz (KNA)
Schild mit Gottesdienstzeiten an der katholischen Kirche Saint Patrick in London. / © Nicola Trenz ( KNA )
Quelle:
DR

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