Stammzellen: Parteien uneins - Klöckner sieht Gefährdung für den Embryonenschutz - 174 Unentschiedene

"CDU/CSU als Steigbügelhalter"

Zwei Tage vor der Abstimmung über das Stammzellgesetz scheint der Ausgang noch offen. Eine Änderung würde nach Überzeugung der Unions-Bioethikexpertin Julia Klöckner (CDU) das Embryonenschutzgesetz schwächen. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) warnte sie am Mittwoch in Berlin vor einem Dominoeffekt. "Einmal den Stichtag verschieben heißt: immer wieder verschieben. Immer wieder verschieben heißt: Wegfall. Wegfall heißt letztlich: ans Embryonenschutzgesetz rangehen." So solle die Gewinnung von Stammzelllinien in Deutschland erreicht werden.

 (DR)

Am Freitag will der Bundestag entscheiden, ob die Forschung an embryonalen Stammzellen in Deutschland beibehalten, ausgeweitet oder eingestellt werden soll. Klöckner will mit Abgeordneten aller Fraktionen am jetzigen gesetzlichen Rahmen festhalten und warnt vor einer Einschränkung der Menschenwürde.

Klöckner räumte ein, dass es bei diesem Thema um eine Kernfrage für die Union gehe. C-Politiker müssten sich fragen, «ob wir die Steigbügel halten für etwas, was nicht mehr zurück zu holen ist».

Pauschale Kritik an der Union lehne sie aber entschieden ab. Wer nun als katholischer Bischof die Grünen als geeigneten Bündnispartner des Lebensschutzes lobe, dem wünsche sie bei der Erörterung der Themen Abtreibung und Spätabtreibung «viel Vergnügen». Die Union bleibe die Partei des Lebensschutzes.

Klöckner bekräftigte, der Verweis auf die Forschungsfreiheit könne umfassendere die Forschung an embryonalen Stammzellen nicht rechtfertigen. Forschung finde ihre Grenze durch die Menschenwürde. Wer davon mit einer sogenannten Ethik des Heilens ablenken wolle, verfechte einen «Gesundheitsfundamentalismus».

Mehrheit in SPD für Stichtagsänderung
In der SPD-Bundestagsfraktion zeichnet sich offenbar eine große Mehrheit für eine Verschiebung oder Abschaffung des Stichtags ab. Das teilte der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann am Mittwoch in Berlin mit.

Nach Oppermanns Einschätzung gibt es für die einmalige Verschiebung des Stichtags für den Import embryonaler Stammzellen dagegen keine Mehrheit in der Unionsfraktion. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesforschungsministerin Annette Schavan (beide CDU) vertreten diese Position. Schavan betonte, dass es bei der Abstimmung um eine Gewissensentscheidung gehe. «Es wäre daher abwegig, daraus eine Machtfrage zu machen», sagte sie der «Südwestpresse».

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, sagte, er sei in ernster Sorge über den Ausgang der Abstimmung am Freitag. Wenn sich die Befürworter der Stichtagsverschiebung oder -abschaffung durchsetzten, bedeute dies eine «Verzweckung menschlichen Lebens». Beck unterstützt einen Gesetzentwurf, nach dem die Forschung mit embryonalen Stammzellen verboten werden soll.

Der Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) wies darauf hin, dass eine Gesetzesänderung international schwerwiegende Folgen haben könne. Deutschland gelte in der Bioethik als Gegenpol zum liberalen Großbritannien. Viele Staaten in Osteuropa, die noch keine umfassenden Gesetze zur Gentechnik hätten, orientierten sich an Deutschland.

Drei Bundestagsabgeordnete, die 2002 das Stammzellgesetz maßgeblich erarbeitet hatten, warnten in einem Beitrag für die Wochenzeitung «Die Zeit» ebenfalls vor einer Gesetzesänderung. Eine Verschiebung des Stichtags mache die Eindeutigkeit, die das Gesetz anstrebe, zweifelhaft, heißt es in dem Text von Margot von Renesse (SPD), Maria Böhmer (CDU) und Andrea Fischer (Grüne). Bei einer Verschiebung «wäre die Tür für weitere Verlagerungen des Stichtages in der Zukunft offen».

Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder. Bei einer Stichtagsverschiebung könne «jeder Stammzellproduzent auf der Welt davon ausgehen, dass Deutschland auch in Zukunft immer die neuesten Stammzellen kaufen wird», sagte er dem «Rheinischen Merkur». Die Forschung müsse aber Grenzen haben. «Der Mensch als Ebenbild Gottes darf nicht verzweckt werden.»

Zur Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen werden in der Regel Embryos verwandt, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind. Bei der Entnahme der Stammzellen werden sie vernichtet. Das Embryonenschutzgesetz verbietet jedoch die Tötung von Embryos zu Forschungszwecken. Erlaubt ist hingegen seit 2002 der Import embryonaler Stammzellen aus dem Ausland, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Mit diesem Kompromiss sollte verhindert werden, dass für die Forschung weitere Embryonen getötet werden.

Im Bundestag haben sich fraktionsübergreifend vier Gruppen gebildet, über deren Anträge abgestimmt wird. Nach Auskunft von Oppermann plädiert eine etwa 92-köpfige Gruppe um die FDP-Abgeordnete Ulrike Flach für die Abschaffung des Stichtags, etwa 35 Abgeordnete fordern ein Verbot der embryonalen Stammzellforschung, 184 Abgeordnete sprechen sich für eine einmalige Verschiebung des Stichtags auf den 1. Mai 2007 aus und 148 wollen die bisherige Regelung beibehalten.

174 Parlamentarier gelten als noch unentschlossen. Einige Abgeordnete haben mehrere Anträge unterschrieben.

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