Aufruf des Kölner Erzbischofs, Joachim Kardinal Meisner zur Stammzelldebatte

Für den Erhalt des Stichtags

"Niemand kann ernsthaft daran zweifeln, dass aufgrund der medizinischen und technischen Fortschritte ethische Entscheidungen immer komplizierter werden. Die Politik, die zwischen verschiedenen Optionen immer wieder neue Kompromisse suchen muss, ist hier zu dermaßen existenziellen Entscheidungen herausgefordert wie wohl kaum jemals vorher. Bei allem Verständnis für diese Probleme steht aus Sicht der katholischen Kirche eines fest: Kompromisse auf Kosten der Schwächsten – und das sind in der Debatte um die Embryonen verbrauchende Stammzellforschung die embryonalen Menschen – kann und darf es nicht geben. Denn jeden Kompromiss bezahlen diese Menschen, die ihre Stimme dagegen nicht selbst erheben können, mit dem Leben."

 (DR)

Die neuesten Forschungen auf diesem Gebiet haben ethisch unproblematische Alternativen zu den embryonalen Stammzellen hervorgebracht. Ich denke vor allem an die adulten Stammzellen, die beispielsweise aus Nabelschnurblut oder aus körpereigenem Knochenmark gewonnen werden. Hinzu kommen die so genannten reprogrammierten körpereigenen Stammzellen, die kürzlich erst bekannt geworden sind und vielleicht ähnliche Möglichkeiten versprechen wie die adulten. Gerade auch unter dem Aspekt einer "Ethik des Heilens" ist es daher viel aussichtsreicher, wenn sich die Forschung in Deutschland verstärkt diesen Alternativen zuwendet. Die adulten Stammzellen haben bereits in den vergangenen Jahren nachweisbare Heilungserfolge erbracht. Von den embryonalen Stammzellen ist mir nichts dergleichen bekannt.
Hoch sind die therapeutischen Hoffnungen, die viele mit der Stammzellenforschung verbinden, und entsprechend groß ist der Erwartungsdruck, auch wirtschaftlich. Das ist sehr verständlich. Niemals aber darf in dieser Situation Leben gegen Leben aufgewogen werden, erst recht nicht aus wissenschaftlichen oder gar wirtschaftlichen Erwägungen. Wenn also die deutschen Forscher ihre Energie voll und ganz auf die ethisch unproblematischen Stammzellarten konzentrieren und hier mit ihren enormen Fähigkeiten auch im Weltvergleich einen medizinischen Vorsprung herausarbeiten, haben nicht nur ungezählte Kranke etwas davon, sondern letztlich auch die Volkswirtschaft.
Ich bitte daher die entscheidenden Politikerinnen und Politiker, bei den laufenden Debatten im Bundestag und außerhalb mutig und unkonventionell in diese Richtung zu denken und bei ihren Entscheidungen die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens - von der Zeugung an - als unhintergehbaren Maßstab anzulegen."

Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln