Expertenanhörung zur Stichtagsverschiebung im Stammzellgesetz

Die Experten bleiben uneins

Das Thema bleibt umstritten. Die deutlichen Meinungsunterschiede über eine Verschiebung des Stichtags im Stammzellgesetz wurden bei der Expertenanhörung des Bundestags am Montag wieder deutlich. Die Sachverständigen äußerten sich zu vier vorliegenden Anträgen. Die Vorschläge reichen von einer kompletten Aufhebung des Stichtags bis hin zu einem Verbot des Imports von Stammzellen.

 (DR)

Im Kern ging es bei der Anhörung um die Fragen nach dem Rechtsstatus von Embryo und Stammzelllinien sowie wissenschaftlichen Gründen für eine Verschiebung. Der Münchner Philosoph Robert Spaemann machte geltend, dass Embryonen nach Auffassung des Grundgesetzes Menschen seien und damit Träger von Menschenrechten. Als Rechtssubjekt dürfe man sie niemals wie Objekte instrumentalisieren, weder für die Forschung noch für Therapien. Der Marburger Sozialethiker Peter Dabrock hielt den Würdeschutz des Embryos für strittig. Das Stammzellgesetz stelle insofern einen Kompromiss dar, der Rechtsfrieden gewährleiste.

Der Hamburger Jurist Reinhard Merkel unterschied zwischen dem Embryo und Stammzelllinien, die Forscher als Folgehandlung aus toten Embryonen gewännen. Nur um sie gehe es beim Stammzellgesetz. Deshalb stehe nicht der Würdeschutz des Embryos, sondern nur ein "postmortaler Schutz" zur Debatte. Tote hätten nicht dieselben Würderechte wie Lebende. Auch der Bonner Rechtswissenschaftler Christian Hillgruber machte einen Unterschied zwischen Embryo und Stammzelllinien, betonte aber, dass diese das Ergebnis einer Tötungshandlung seien. So stelle es schweres Unrecht dar, irgendeinen Nutzen aus ihnen ziehen zu wollen.

Krebsforscher machten Druck
Krebsforscher haben den Bundestag aufgefordert, bei der Neufassung des Stammzellgesetzes den bislang geltenden Stichtag "komplett zu streichen". Andernfalls verliere die deutsche Krebsforschung international den Anschluss, sagte der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg, Otmar Wiestler, der "Frankfurter Rundschau". "Offenbar ist es so, dass während der Embryonalentwicklung Stammzellen einzelner Organe liegenbleiben, nicht absterben, und sich durch einen genetischen Schaden zur Krebszelle auswachsen". Diese Entwicklung hin zum gefährlichen Tumor lasse sich mit Hilfe von embryonalen Stammzellen erforschen.

"Zu alt und verunreinigt"
Der Münchner katholische Moraltheologe Konrad Hilpert sagte, er habe keine schlüssige Antwort darauf gefunden, weshalb eine Vernichtung eingefrorener Embryonen durch Auftauen würdiger sei, als ihre Nutzung durch die Wissenschaft. Der Embryo partizipiere zwar an der Menschenwürde, so Hilpert, er habe aber Schwierigkeiten, vom "embryonalen Menschen" zu sprechen. Hilpert widersprach mit seinen Ansicht der Haltung der katholischen Bischöfe. Das Katholische Büro hatte in einer eigenen Stellungnahmen nochmals betont, dass die Bischöfe sich weiterhin gegen eine verbrauchende Embryonenforschung wenden und jede "Kompromisshaltung gegenüber dem menschlichen Leben in seinem ungeschützten Anfang" ausdrücklich ablehnen.

Mehrere Forscher beklagten, dass die in Deutschland zugelassenen Stammzelllinien zu alt und verunreinigt seien. Der Aachener Mediziner Hennig Beier sprach von einer eingeschränkten Vermehrungsfähigkeit. Demgegenüber wies die Hamburger Medizinerin Regine Kollek darauf hin, dass auch jüngste Forschungen auf diese Stammzellen zurückgriffen und sie inzwischen als internationale Vergleichstandards herangezogen würden. Das Argument, dass embryonale Stammzellforschung für Fortschritte in der ethisch unbedenklichen adulten Stammzellforschung unerlässlich seien, konnte der Düsseldorfer Kardiologe Bodo E. Strauer nicht bestätigen.