Forscherin untersucht Spiritualität in der Corona-Krise

Stärkt Corona den Glauben?

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf unsere Glaubensfragen aus? Die Politikwissenschaftlerin Carolin Hillenbrand erforscht, welche Rolle das Gottesbild spielt - und ob religiöse Menschen anfälliger für Verschwörungsmythen sind.

Im Gebet / © Halfpoint (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Frau Hillenbrand, Sie forschen zum Thema Glaube und Corona. Erste Ergebnisse sollen zwar erst Ende des Jahres vorgestellt werden. Aber lässt sich schon ein Muster erkennen? Oder gibt es schon Tendenzen?

Carolin Hillenbrand (Politikwissenschaftlerin an der Universität Münster): Das ist natürlich ambivalent und spannend, weil Menschen einerseits sich jetzt in Zeiten der Corona-Krise und der damit verbundenen Unsicherheit und Ungewissheit nach Halt sehnen. Sie sehnen sich nach ihrem Glauben und generell nach Dingen, die tragen. Man sieht eine gewisse Sehnsucht, auch nach Seelsorge und nach diesen virtuellen Angeboten. Auf der anderen Seite finden sich aber auch Menschen, die genau jetzt sehen: Ja, vielleicht braucht es doch gar nicht Kirche oder den Gottesdienst am Sonntag. Diese Menschen entfernen sich weiter von ihrem Glauben oder der Kirche.

Wir sehen, dass das eigentlich von der Glaubensbeziehung abhängig ist. Wenn man Glauben im wesentlichen als Beziehung begreift, dann stellt sich natürlich die Frage, wie diese Beziehung gestaltet ist. Gerade wenn es eine enge und persönliche Beziehung zum Glauben und zu Gott gibt, dann kann diese gerade auch in diesen schwierigen oder auch sehr unsicheren Zeiten tragen.

DOMRADIO.DE: Wie ist es denn in Corona-Zeiten? Gibt es da in Ihrer Studie schon große Unterschiede zwischen diesen zwei Meinungen, die sich da erkennen lassen?

Hillenbrand: Ja, genau. Das hängt nämlich vor allem auch vom Gottesbild ab. Wir haben eine Frage mit im Fragebogen, die fragt, wie man Gott sieht oder was man in Bezug auf Gott erfährt. Ist das vor allem Lebens- und Wegbegleitung? Also das ist ein Gott, der mitgeht und vielleicht auch mitleidet. So ein bisschen das Stichwort wäre hier, was Jesus auch am Kreuz gesagt hat: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? - Trotzdem ist dieses "mein Gott" vorangestellt. Man hat also diese Beziehung, und die bricht nicht ab.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Gottesbilder, die Gott vielleicht eher als strafenden Richter oder als Allmächtigen sehen und sich dann natürlich fragen – wir nennen das Theodizee-Frage –, wie denn ein gütiger Schöpfergott uns jetzt so im Stich lassen kann.

Es hängt davon ab, wie man Glauben praktiziert. Da sehen wir auch: Es gibt immer mehr auch individuellere oder persönlichere Formen. Da pflegt man zum Beispiel ein Glaubensgebet, persönliche Gebete, man zündet vielleicht zu Hause eine Kerze an, man freut sich, wenn andere einen mit ins Gebet nehmen. Und wenn diese Beziehung nicht abbricht und nicht zum Beispiel nur vielleicht auf die soziale Netzwerke oder das Kulturelle ausgerichtet ist, dann sehen wir da eben die Tendenz in die eine, als auch die Tendenz in die andere Richtung.

DOMRADIO.DE: Da sprechen Sie schon einen wichtigen weiteren Punkt an, der auch Thema in der Studie ist: Verschwörungsmythen, die die Pandemie als göttliche Strafe oder als Rückschlag der Natur thematisieren. Inwieweit nehmen Verschwörungsmythen denn Einfluss auf Glaubensfragen?

Hillenbrand: Wir wollen untersuchen, ob religiöse Menschen anfälliger oder weniger anfällig für gewisse Verschwörungsmythen jetzt gerade in Zeiten der Pandemie sind. Religiosität hat ja so ein Spektrum, wo wir versuchen, ein bisschen Licht hineinzubringen. An den Rändern gibt es natürlich auch Tendenzen hin zu Verschwörungstheorien, weil es so gewisse strukturelle Analogien gibt. Zum Beispiel, dass es Komplexität reduziert und Halt gibt. Und da sieht man schon, dass manche in diesem extremeren Spektrum eben auch hin zu Verschwörungsmythen tendieren.

Aber auf der anderen Seite kann Religion auch einen Schutz bieten oder immunisieren gegenüber Verschwörungsmythen. Wenn zum Beispiel der eigene Glaube schon stark ist und man seinen eigenen Gott hat und sozusagen eine Verschwörung als Ersatzreligion dann überhaupt nicht mehr infrage kommt.

DOMRADIO.DE: So die ersten Tendenzen der Studie. Wie genau werden die Daten denn erhoben?

Hillenbrand: Es ist eine Online-Umfrage. Wir haben einen Fragebogen entworfen und freuen uns da auch noch über zahlreiche Teilnehmer. Ich habe heute Morgen reingeschaut. Wir haben schon 800 Teilnehmer innerhalb von Deutschland, und wir wollen mindestens tausend. Bis Anfang September ist die Umfrage noch im Netz, und dann werden die Ergebnisse Ende des Jahres vorliegen und dann auch in Veröffentlichungen, in Artikeln bereitstehen.

Das Interview führte Julia Reck.


Quelle:
DR