Warum Pfarrer Schießler in seiner Kirche den "Glauben" spielt

"Wenn, dann ein Pfarrer!"

Ein Theaterstück in der Kirche? Sankt Maximilian in München wird seit Samstag zur Bühne. Pfarrer Rainer Schießler spielt im "Jedermann" die Rolle des "Glaubens". Für ihn hat gerade dieses Stück viel mit Verkündigung zu tun.

Stadtpfarrer Rainer M. Schießler / © Armin Weigel (dpa)
Stadtpfarrer Rainer M. Schießler / © Armin Weigel ( dpa )

DOMRADIO.DE: Den Ruf des Todes will keiner hören. Im traditionsreichen Theaterstück "Jedermann" hört ihn ein reicher Mann, der nur Sinn für sein Vergnügen hat und nicht für seine Mitmenschen. Gestern hatte dieses Stück von Hugo von Hofmannsthal Premiere in der Münchner Kirche Sankt Maximilian. Pfarrer Schießler, wie war die Atmosphäre in Ihrer Kirche, die gestern zum Bühnenraum geworden ist?

Pfarrer Rainer Maria Schießler: Unglaublich stark. Für uns war es etwas ganz Neues. Wir haben letztes Jahr Open Air gespielt, in der Felsenkirche bei Kelheim. Ich habe dann gesagt: "Können wir uns nicht überlegen, ob wir das nicht einmal in der Kirche spielen?" Das machen wir hier. Dieser Raum der Kirche bietet viel mehr Möglichkeiten, diese Aussage in diesem Stück auch akustisch und mit der ganzen Architektur, mit den ganzen Raumwirkung zu verbinden.

DOMRADIO.DE: Sie selbst spielen ja die Rolle des "Glaubens", die sonst meistens von einer Frau gespielt wird. Was reizt Sie daran, in dieser Rolle mitzuspielen?

Schießler: Es war nicht meine Idee, sondern die Regisseurin Anna Funk kam letztes Jahr auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, das zu machen. Als ich gefragt hab, warum, meinte Sie: "Wenn, dann ein Pfarrer." Das war die Begründung.

Das hat mir dann sehr gut gefallen, weil es auch in die Raumwirkung dieser Kirche passt. Wir spielen in der ganzen Kirche. Wir spielen im Mittelgang und die Menschen erleben sichtbar an den Protagonisten, was die Aussage und die Verkündigung dieses Raumes ist. Letztlich sind es eben nicht unsere Leistungen – Paulinische Theologie – sondern die Gnade und der Opfertod und die Qual und die Auferstehung, die wir geschenkt bekommen haben – und die uns letztlich rettet.

Wenn dann der "Jedermann" am Schluss, begleitet von den Werken – von dem bisschen, was er vielleicht zusammengebracht hat und das der Glaube geeint hat – hinaus geführt wird aus der Kirche, dann geht schon jeder Zuschauer geistig diesen Weg mit: in seinen eigenen Tod, der aber nicht Vernichtung bedeutet, sondern Rettung.

DOMRADIO.DE: Inszeniert wird das Ganze von Anna Funk. Wie hat sie dieses ursprünglich alte Mysterienspiel in die Jetztzeit gebracht?

Schießler: Wir haben es aktualisiert, zum Beispiel bei der Festrede mit einem Lied, das die Anwesenden alle kennen, um diese Freude auszudrücken. Das Lied ist hier in München berühmt: "Drunt in da greana Au steht a Birnbam, sche blau." Wir haben es aktualisiert mit den Situationen hier in München. Die großen Aufreger sind Mietpreise, Fremdenfeindlichkeit – überhaupt die ganze Lebenssituation. Wir haben es sogar aktualisiert mit der Situation meine Kirche, die sehr viele Bauschäden hat. Es gibt so viel zu tun. Manchmal ist alles so aussichtslos. Das allein ist schon eine tote Situation, in der man Rettung braucht und sie wirklich erhofft.

Auch Corona haben wir nicht vergessen. Das war die Mega-Herausforderung. Alle Szenen, in denen wir die Nähe brauchen, konnten wir so nicht spielen. Ohne Corona zu benennen – es kommt in keinem einzigen Wort – haben wir es mit drin, indem wir zum Beispiel alle Szenen auf Distanz spielen. Das war eine doppelte Herausforderung: Dass das Wort über die Distanz hinaus eine Nähe schaffen soll. Da muss ich sagen, bin ich stolz auf unsere Truppe. Das ist uns wahnsinnig gut gelungen.

DOMRADIO.DE: Noch eine Sache ist ja recht neu: Anna Funke hat den Jedermann mit einer Frau besetzt. Was hat sie sich denn dabei gedacht?

Schießler: Das hat sie schon seit Jahren. Sie hat es 2015 zum ersten Mal inszeniert. Das war eigentlich kein besonderer Gedanke: Warum soll "Jedermann" ein Mann sein, nur, weil es "mann" heißt. Es geht um den Menschen. Man sagt eben nicht "Jedermensch". Trotzdem darf es doch auch eine Frau spielen. Und die als Hopmann. Nicht jeder Mensch darf diese Frau spielen.

Bei uns spielt das die Ulrike Dostal, die am Gärtnerplatz fest engagiert ist. Die spielt das so hervorragend. Ich schaue mir das immer wieder vom Publikum an – als Glaube stehe ich dann auf und gehe in die Szene hinein. Da habe ich gedacht: Hier kann Salzburg einpacken!

DOMRADIO.DE: Was nehmen Sie den persönlich aus dem Stück mit?

Schießler: Das, was meine ganze Verkündigungen ausmacht, wenn ich am Sonntag am Altar stehen, wenn ich mit den Menschen Eucharistie feiere. Entscheidend ist nicht, was wir meinen, leisten und schaffen zu können. Entscheidend ist, wie wir vor Gott dastehen. Die Antwort gibt der Glaube: Er ist für Dich in den Tod gegangen, damit du lebst. Dass ich das am Schluss sagen darf, das ist schon Mega-Moment.

Das Interview führte Moritz Dege. 


Quelle:
DR