Staatsrechtler verteidigt Abschaffung des Voraustrauungsverbots

"Nicht mit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit vereinbar"

Ab 2009 dürfen Paare kirchlich heiraten, ohne zuvor zum Standesamt gegangen zu sein. In jüngerer Zeit werden Vorbehalte gegen die Neuregelung laut, die zumeist auf den Kontext muslimischer Ehen verweisen. Der Münsteraner Staatsrechtler Dirk Ehlers bewertet hingegen eine Wiedereinführung des Voraustrauungsverbots als "nicht zulässig".

 (DR)

Der Bundesrat hat vor einer Woche die Bundesregierung aufgefordert, das Verbot einer kirchlichen oder religiösen Eheschließung vor einer standesamtlichen Trauung erneut gesetzlich festzuschreiben. Dirk Ehlers, Professor für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht an der Universität Münster, bewertet eine solche Vorgabe als unzulässig und «nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit». Die Kirchen sollten einen Vorschlag machen, wie dem Anliegen des Bundesrates Rechnung getragen werden könnte, sagte er am Donnerstag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Münster. Das könne beispielsweise durch eine bischöfliche Genehmigung im Einzelfall geschehen. Ehlers hat sich wiederholt in Veröffentlichungen mit dem Thema befasst.

KNA: Herr Professor Ehlers, der Bundesrat will das Voraustrauungsverbot, das Anfang 2009 nach gut 130 Jahren wegfällt, nun doch wieder gesetzlich festschreiben. Eine kirchliche Trauung dürfte dann auch künftig erst nach einer standesamtlichen Eheschließung erfolgen. Wie verhält sich dieses Anliegen zum Grundrecht der freien Religionsausübung?

Ehlers: Das Verbot kirchlicher Voraustrauungen greift in das Grundrecht der Religionsfreiheit ein und muss sich verfassungsrechtlich rechtfertigen lassen. Der Staat darf nicht etwas verbieten, was keinerlei Auswirkungen auf seine Rechtsordnung hat. Genau dies trifft aber auf kirchliche Trauungen zu. Sie haben nur religiöse, nicht weltliche Bedeutung. Daher war und ist schon die bisherige Regelung des Paragrafen 67 im Personenstandsgesetz nach meiner Auffassung nicht mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit vereinbar. Für ein erneutes Verbot kann nichts anderes gelten.

KNA: Die Kirchen in Deutschland haben ein gesetzlich verankertes Selbstbestimmungsrecht. Mit Blick auf die aktuelle Debatte halten sich Bischöfe aber zurück. Sollte die Kirche die jetzige Entschließung des Bundesrats hinnehmen?
Ehlers: Das kirchliche Voraustrauungsverbot verletzt zwar auch das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften. Da die praktischen Auswirkungen aber eher gering sein werden, weil sich jedenfalls die großen christlichen Kirchen nach Wegfall des Verbots aller Voraussicht nach im Regelfall nicht anders als bisher verhalten werden, habe ich Verständnis für die Zurückhaltung. Trotzdem würde ich den Kirchen wegen der prinzipiellen Bedeutung empfehlen, auf die Unzulässigkeit eines staatlichen Verbots hinzuweisen, zugleich aber einen Vorschlag zu machen, wie dem Anliegen des Bundesrates Rechnung getragen werden könnte. Kirchliche Voraustrauungen sind dann, aber auch nur dann, bedenklich, wenn das Eingehen einer Zivilehe aus Unkenntnis über die Irrelevanz der kirchlichen Trauung in der staatlichen Rechtsordnung unterbleibt. Sollte mit einer solchen Unkenntnis auch heute noch zu rechnen sein, könnte dem dadurch entgegengewirkt werden, dass den Geistlichen die Pflicht auferlegt wird, die Heiratswilligen über die mangelnden Rechtswirkungen kirchlicher Eheschließungen im weltlichen Rechtskreis zu unterrichten. Am einfachsten wäre es, die Geistlichen rechtlich dazu anzuhalten, die Heiratswilligen ein über die Rechtslage informierendes Formular unterschreiben zu lassen.

KNA: Die Kirchen betonten mehrfach den Respekt vor dem Anliegen des Staates, dass kirchliche Ehen nicht den Anschein auch einer gültigen zivilrechtlichen Ehe erwecken sollten. Es gibt auf katholischer Seite Überlegungen, eine kirchliche Trauung ohne Standesamt an eine Genehmigung des Ortsbischofs zu knüpfen. Käme das dem entgegen?
Ehlers: Wie bereits gesagt, gehe ich davon aus, dass auch die katholische Kirche nach Wegfall des staatlichen Verbots kirchliche Voraustrauungen nur im Ausnahmefall vornehmen wird. Die Zulassung einer Ausnahme an eine Genehmigung des Ortsbischofs zu knüpfen, halte ich für eine gute Idee.

KNA: In Österreich wurde das Voraustrauungsverbot bereits vor gut 50 Jahren als verfassungswidrig gekippt. Warum kam es in Deutschland nicht zu einer solchen Entscheidung?
Ehlers: Eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz kann nur binnen eines Jahres seit Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden. Diese Frist war in den 50er Jahren abgelaufen. Verstöße gegen das kirchliche Voraustrauungsverbot konnten in Deutschland seit dieser Zeit aber auch nicht mehr mit einer Bestrafung oder einem Bußgeld sanktioniert werden. Deshalb bestand keine Veranlassung, sich an die Gerichte zu wenden. Interessant ist im Übrigen, dass die Aufhebung des kirchlichen Voraustrauungsverbots in Österreich, soweit bekannt, in mehr als 50 Jahren zu keinen Problemen geführt hat.

KNA: In der Entschließung des Bundesrats werden lediglich die Kirchen genannt, daneben keine weiteren Religionsgemeinschaften. Aus einer Bemerkung wie «tendenziell an Bedeutung gewinnenden anderen in Deutschland verbreiteten Religionsgemeinschaften» oder dem Verweis auf Zwangsverheiratungen kann man nur schließen, dass es um islamische Eheschließungen geht.
Ehlers: Zwangsverheiratungen verletzen fundamentale Prinzipien unserer Rechtsordnung und müssen unbedingt unterbunden werden. Ich sehe aber keinen relevanten Zusammenhang zwischen kirchlichen Trauungen und Zwangsverheiratungen. Wenn Zwang ausgeübt wird, kommt es auf die Form der Eheschließung nicht an. Dass ein Zwang besser in der Kirche als vor dem Standesamt geheim gehalten werden kann, glaube ich nicht. Zudem dient es den Interessen der unter Druck gesetzten Partnerin, wenn eine nicht gewollte Heirat keine bürgerlich-rechtlichen Wirkungen hat.

KNA: Sehen Sie im Text der Entschließung des Bundesrats ein Problem in der rechtlichen Gleichstellung von Kirchen und Religionsgruppen, die in Deutschland keinen rechtlichen Status haben?
Ehlers: In Deutschland genießen alle nicht verbotenen Religionsgemeinschaften rechtlichen Schutz. Sowohl durch das Bestehen als auch durch den Wegfall eines kirchlichen Voraustrauungsverbots sind alle Religionsgemeinschaften in gleicher Weise betroffen.