SPD-Politiker ist gegen liberale Sterbehilfe-Regelung

"Selbstbestimmung von Menschen ist auch Gefährdungen ausgesetzt"

2020 hat das Bundesverfassungsgericht den Weg für assistierten Suizid frei gemacht. Wie liberal sollen aber die Gesetze dafür aussehen? Der SPD-Politiker Lars Castellucci will den Lebensschutz dabei nicht aus den Augen verlieren.

Patient im Krankenhaus / © CGN089 (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Vereinfacht erklärt, das Verfassungsgericht sagt, wer sterben will, dem darf das nicht untersagt werden. Da klingt es erstmal logisch, dass der nächste Schritt die Liberalisierung ist. Was spricht für Sie dagegen?

Lars Castellucci (privat)
Lars Castellucci / ( privat )

Lars Castellucci (SPD-Politiker und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion): Ja, da muss man ein bisschen hinter die Kulissen gucken. Mit Begriffen wie liberal oder nicht liberal beziehungsweise restriktiv oder nicht restriktiv, bekommen wir das nicht ausreichend eingefangen. Jeder der jetzt vorliegenden Gesetzentwürfe regelt, dass ein todbringendes Mittel nach dem Betäubungsmittelgesetz auch abgegeben werden kann, wenn es eben nicht zur Heilung, sondern für einen assistierten Suizid verwendet werden soll. Das wird so auch auf jeden Fall kommen. Die Frage ist, wie niedrigschwellig das passiert.

DOMRADIO.DE: Sie legen es zum Beispiel darauf an, die sogenannte geschäftsmäßige Suizidassistenz weiter zu verbieten und sprechen eher von Einzelfällen und Ausnahmeregelungen. Ihr Entwurf sieht so aus, dass es eine strenge Prüfung geben wird. Zum Beispiel die Frage, die sich auch für mich als Laie da stellt, ist das überhaupt mit dem Entscheid des Verfassungsgerichts vereinbar? Wenn das Verfassungsgericht sagt, jeder soll die Möglichkeit bekommen, kann man doch nicht gleichzeitig sagen, geschäftsmäßige Suizidbeihilfe bleibt weiterhin strafbar?

Castellucci: Ja, ich spreche für eine Gruppe, die sich aus fünf verschiedenen Fraktionen des Deutschen Bundestages zusammensetzt, also sehr breit zusammengesetzt ist. Es ist unser Anliegen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes genau umzusetzen. Das Verfassungsgericht hat von der Selbstbestimmung des Menschen gesprochen, das ist das Thema. Zu dieser Selbstbestimmung gehört, dass man entscheiden kann, dass man seinem eigenen Leben ein Ende setzen will. Wenn man sich dazu entschieden hat, darf man auch die Hilfe weiterer Menschen dazu erbitten.

Natürlich gibt es keine Pflicht zur Hilfe bei einem Suizid. Auch das unterliegt wiederum der Selbstbestimmung jedes Menschen, ob er oder sie dazu bereit ist, jemandem dabei zu helfen. Wir setzen das also um. Es wird ermöglicht.

Lars Castellucci (SPD-Politiker und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion)

"Die Selbstbestimmung von Menschen ist auch Gefährdungen ausgesetzt. Es gibt inneren Druck, vielleicht durch akute Erkrankungen (...). Es gibt auch äußeren Druck im Zusammenleben mit anderen."

Aber wir haben auf der anderen Seite nicht eine Absolutheit von Selbstbestimmung, sondern die Selbstbestimmung von Menschen ist auch Gefährdungen ausgesetzt. Es gibt inneren Druck, vielleicht durch akute Erkrankungen, eine akute psychische Krise. Es gibt auch äußeren Druck im Zusammenleben mit anderen.

Wir haben das Schutzgut Leben und wir haben das Schutzgut Selbstbestimmung. Das müssen wir übereinanderlegen und miteinander verbinden. Deswegen sagen wir die geschäftsmäßige Suizidhilfe, die soll nur unter der Voraussetzung möglich sein, dass ein Schutzkonzept eingehalten wird als Schutzkonzept, das die Selbstbestimmung aller Menschen sichern helfen soll.

DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es drei Gesetzentwürfe. Ihren haben Sie gerade schon angesprochen. Ein anderer will zum Beispiel, dass das Thema außerhalb des Strafrechts geregelt und ein eigenes Suizidbeihilfegesetz dafür geschaffen wird. Der dritte Entwurf sagt, man muss einen Unterschied machen, ob der Grund für den Suizidwunsch eine Krankheit ist oder ob er andere Gründe hat. Auch das klingt beides für mich relativ logisch. Wo liegt da der Konflikt? Warum sehen Sie in diesen zwei Entwürfen ein Problem?

Lars Castellucci (SPD-Politiker und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion)

"Es gibt eine Regel für alle und das wollen wir auch so umsetzen."

Castellucci: Also, wir haben erst mal vom Bundesverfassungsgericht den Auftrag bekommen eine Lösung für alle zu finden und nicht nur für bestimmte Gruppen. Wir können jetzt nicht sagen, wir regeln das nur für Kranke oder nur für Menschen, die ein bestimmtes Alter haben, sondern es gibt eine Regel für alle und das wollen wir auch so umsetzen. Natürlich, wenn jemand an einer todbringenden oder einer sehr schnell tödlichen Krankheit leidet, dann sind auch bei uns besondere Fristen, also verkürzte Fristen und ein erleichterter Zugang zu einem assistierten Suizid vorgesehen.

Ich kontrastiere die drei Entwürfe, die vorliegen, immer so. Es gibt einen mit einem starken Schutzkonzept. Das ist unserer und deswegen sagen wir Strafrecht. Dann legen wir dort klar, was das Schutzkonzept ist. Wer sich an die Regeln hält, hat überhaupt nichts zu befürchten. Wir machen transparent im Strafgesetzbuch, was diese Regeln sind, nämlich dieses Schutzkonzept einzuhalten.

Dann haben wir einen Entwurf um die Kollegin Katrin Helling-Plahr, dem ich unterstelle, dass es nur ein schwaches Schutzkonzept ist. Sie verbinden das auch mit einer Idee flächendeckender Suizidberatungsstellen. Das halte ich für gefährlich.

Lars Castellucci (SPD-Politiker und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion)

"Es soll eine staatliche Behörde geben, die praktisch zulässt, wer sich an Suizidhilfe beteiligen darf. (...) in irgendeiner Beamtenstube müsste dann eine Checkliste geführt werden, bei der am Ende die Erlaubnis oder eben das Verbot steht."

Dann gibt es noch den Vorschlag um die Abgeordnete Renate Künast, die anstelle einer Regelung im Strafrecht sagt, es soll eine staatliche Behörde geben, die praktisch zulässt, wer sich an Suizidhilfe beteiligen darf. Auch wenn jemand dann diesen Weg gehen will, wären dann Anträge zu stellen. In irgendeiner Beamtenstube müsste dann eine Checkliste geführt werden, bei der am Ende die Erlaubnis oder eben das Verbot steht.

Das halten wir für noch deutlich bevormundender als eine Regelung im Strafrecht und sagen, wir wollen niemanden kriminalisieren, der sich für einen Suizid entscheidet. Wir wollen aber jemanden, der einem anderen Menschen zu einem Suizid verleitet, anstatt ihm vielleicht eine Hilfe anzubieten, die auch angezeigt wäre, demjenigen wollen wir mit dem Strafrecht sagen, dass das in unserem Land nicht möglich sein soll.

DOMRADIO.DE: Nun wird es so sein, wie es bei vielen moralisch schwierigen Entscheidungen ist, dass es bei der Abstimmung keinen Fraktionszwang geben wird. Das heißt, man kann eigentlich jetzt noch nicht wirklich die Mehrheitsverhältnisse abschätzen, ob Sie Erfolg haben werden. Oder ob man auf der anderen Seite sagt, die zwei liberaleren Vorschläge, da denkt man im Moment über eine Zusammenschließung nach, ob die sich vereinigen. Also man kann über die Mehrheitsverhältnisse wahrscheinlich jetzt noch relativ wenig sagen, oder?

Lars Castellucci (SPD-Politiker und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion)

"Jetzt sind wir bei einer ganz klar ethischen Frage, die mit Parteien überhaupt nichts zu tun hat. (...) Tatsächlich ist es offen, ob und wenn ja, wer am Ende das Rennen macht."

Castellucci: Jetzt sind wir bei einer ganz klar ethischen Frage, die mit Parteien überhaupt nichts zu tun hat. Noch mal, der Gesetzentwurf, den wir zusammen mit einem Antrag zur Suizidprävention vorgelegt haben, der kommt von Kolleginnen und Kollegen aus der Union, der FDP, der Linken, der Grünen und auch der FDP. Da werden sich die Abgeordneten frei gruppieren. Tatsächlich ist es offen, ob und wenn ja, wer am Ende das Rennen macht. Wenn wir die Abgeordneten zusammenzählen, die auf den Ausschussdrucksachen veröffentlicht sind, die die Gesetzentwürfe bis heute unterstützen, sind wir noch weit von einer Mehrheit entfernt.

DOMRADIO.DE: Sie sind selber evangelischer Christ. Die Kirchen, die sprechen sich seither gegen Sterbehilfe aus, um den Wert des menschlichen Lebens als Geschenk Gottes zu betonen. Was spielt das für Sie für eine Rolle, dass Sie die Kirchen da argumentativ hinter sich sehen?

Castellucci: Wir haben in unserer Gruppe Menschen, die genau ein solches Wertesystem für sich in Anspruch nehmen. Wir haben auch Kolleginnen und Kollegen, die damit gar nichts anfangen können. Wir suchen wirklich gemeinsam nach einer tragfähigen Lösung und schöpfen da aus unterschiedlichen Quellen, die uns zu dem gemeinsamen Ziel bringen, die Schwächeren zu schützen und davor zu bewahren, dass es in diesem Land eine Normalität werden soll Suizid zu begehen und dabei auch geholfen zu bekommen. Denn wir befürchten einfach, dass dann Menschen sich aufgefordert fühlen könnten, auch diesen Weg zu gehen, weil sie vielleicht empfinden, nur noch zur Last zu fallen oder zu kosten.

Da sagen wir klar gegen, niemand soll sich überflüssig fühlen. Aber diesen Satz sagt man hoffentlich nicht nur als Christ, sondern dem können, und das ist auch bei unserem Gesetzentwurf so, viele Menschen zustimmen. Deswegen kommen wir zu der Lösung, die wir gefunden haben. Ich freue mich über die Unterstützung, aber zu meinem christlichen Menschenbild gehört auch, dass ich nicht mein Menschenbild und meine Werte anderen überstülpe. Wir sind wirklich ganz stark bemüht, eine Lösung zu finden, die am Ende verträglich ist für die breite Mehrheit im Land.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Alternativen zur Sterbehilfe

Wie steht die Kirche zur Sterbehilfe?

Die Kirche lehnt die organisierte oder kommerzielle Beihilfe zum Suizid sowie den ärztlich assistierten Suizid ab, weil sie es seit jeher als ihr Selbstverständnis betrachtet, das Leben von seinem Beginn an bis zu seinem Ende hin zu schützen.

Welche Alternativen sieht die Kirche zur Sterbehilfe?

Symbolbild Pflege / © Robert Kneschke (shutterstock)
Quelle:
DR