Immer mehr Länder debattieren über Sterbehilfe

Bundestag sucht Regelung zur Suizidbeihilfe

Der Bundestag muss die Suizidbeihilfe neu regeln. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 ist ein rechtsfreier Raum entstanden. Es geht vor allem um Beratung und Schutz für Suizidwillige.

Autor/in:
Christoph Arens
Tabletten auf einem Tisch / © Oleg Elkov (shutterstock)
Tabletten auf einem Tisch / © Oleg Elkov ( shutterstock )

Die Zahl der Hundertjährigen steigt von Jahr zu Jahr. Und allein im 20. Jahrhundert nahm die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland um etwa 30 Jahre zu - auf 78,9 für Männer und 83,6 Jahre für Frauen.

Debatte um aktive Sterbehilfe

Auf der anderen Seite: In immer mehr westlichen Ländern wird über aktive Sterbehilfe und eine erleichterte Beihilfe zum Suizid debattiert. Selbst das katholisch geprägte Spanien hat vergangenes Jahr sowohl aktive Sterbehilfe als auch Beihilfe zum Suizid erlaubt.

Hand einer Pflegerin liegt auf dem Handrücken eines Patienten auf einer Intensivstation / © Harald Oppitz (KNA)
Hand einer Pflegerin liegt auf dem Handrücken eines Patienten auf einer Intensivstation / © Harald Oppitz ( KNA )

Im katholischen Portugal war eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe und von Suizidbeihilfe bereits beschlossen; das Verfassungsgericht hat sie zunächst gestoppt. In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron bei mehreren Gelegenheiten deutlich gemacht, dass er bis Ende 2023 eine Form von aktiver Sterbehilfe möglich machen will. In Österreich können dauerhaft schwer oder unheilbar kranke Erwachsene unter strengen Bedigungen seit diesem Jahr Beihilfe zum Suizid in Anspruch nehmen.

"Fäden in der Hand behalten"

Wie weit die Alterung der Gesellschaften, die zunehmende Individualisierung und der Trend zur Liberalisierung der Sterbehilfe konkret zusammenhängen, wird vielfach diskutiert. Claudia Bausewein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, jedenfalls beobachtet, dass nicht nur immer mehr sterbenskranke Menschen ihrem Leben ein Ende setzen wollen.

Immer mehr Menschen erkundigten sich nach einem ärztlich assistierten Suizid, obwohl sie weder körperlich noch psychisch schwer erkrankt seien, sagt die Münchner Medizinprofessorin. "Viele haben das Gefühl, genug erlebt zu haben, lebenssatt zu sein. Sie wollen die Fäden in der Hand behalten und haben Sorge vor einem Kontrollverlust im Alter." Selbstbestimmung werde immer wichtiger.

Selbstbestimmung immer wichtiger

Diesen Trend spiegelt auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 wider - eine Zäsur der deutschen Rechtsgeschichte: Karlsruhe leitete aus dem Grundgesetz ein sehr weitgehendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben und Beihilfe ab. Zugleich empfahl das Gericht, ein Schutz- und Beratungskonzept zu entwickeln. Es solle Menschen schützen, deren Wunsch zu sterben gar nicht so freiwillig ist: Weil Familie, Gesundheitssystem und Gesellschaft Druck auf sie ausüben, um Kosten zu sparen. Weil, wie Suizidforscher vermuten, hinter 90 Prozent der Suizide eine psychische Erkrankung steckt.

Bundesverfassungsgericht (dpa)
Bundesverfassungsgericht / ( dpa )

Bis zum Frühjahr will der Bundestag ein Gesetz verabschieden, das Leitplanken für die Suizidbeihilfe setzt, Missbrauch verhindert und freiwillige Entscheidungen garantieren soll. Bislang liegen drei Gesetzentwürfe vor, die einen Weg vorschlagen, wie Sterbewillige Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch nehmen können. Die Entwürfe eint dabei zudem, dass sie auch den Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten regeln. Zudem sind in allen Entwürfen - wenn auch in sehr unterschiedlichemd Maß - Beratungspflichten, Schutzfristen und ein Vier-Augen-Prinzip bei den Ärzten vorgesehen. Derzeit herrscht in Deutschland bei der Suizidbeihilfe ein rechtsfreier Raum. Sterbehilfevereine bieten Beihilfe zur Selbsttötung an - in einer rechtlichen Grauzone.

Offene Fragen

Viele Fragen sind derzeit offen: Darf der Gesetzgeber nach der Entscheidung aus Karlsruhe überhaupt Beratungspflichten und Wartezeiten vorschreiben? Wer darf beim Suizid helfen - nur Ärzte oder auch andere Personen? Und müssen Altenheime und Krankenhäuser Sterbehelfern Zugang gewähren?

Einig sind sich Politiker aller Parteien, Kirchen und Mediziner, dass die Suizidvorbeugung in Deutschland gestärkt werden muss. Gerade wenn die freiverantwortliche Selbsttötung als grundlegendes Recht definiert werde, müsse garantiert werden, dass solch gravierende Schritte wirklich informiert, selbstbestimmt und ohne äußeren Druck gefasst würden, forderte auch der Deutsche Ethikrat. Die Gesellschaft dürfe den Suizid nicht als gängigen Ausweg aus Problemen propagieren. Sie müsse dafür Sorge tragen, dass "Menschen nicht in Situationen geraten und verbleiben, in denen sie sich genötigt sehen, den Tod als vermeintlich kleineres Übel dem Leben vorzuziehen".

Bundestag berät erstmals über Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe

Mehr als zwei Jahre nach einem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich der Bundestag am Freitag mit konkreten Vorschlägen zur Regelung der Sterbehilfe in Deutschland befasst.

Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 2020 ein seit 2015 bestehendes Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt hatte, da es das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzte. Dabei hat "geschäftsmäßig" nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet "auf Wiederholung angelegt".

Blick in den Plenarsaal im Deutschen Bundestag / © Michael Kappeler (dpa)
Blick in den Plenarsaal im Deutschen Bundestag / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
KNA