Sozialethiker fordert bewusste Entscheidung zur Organspende

"Aktiv getroffene Abwägung"

Die Bereitschaft zur Organspende ist laut Sozialethiker Lob-Hüdepohl immer eine "Entscheidung über die Qualität des persönlichen Sterbens". Man müsse sich außerdem klar machen, dass es oft um das Überleben eines Dritten gehe.

Eine Frau hält einen ausgefüllten Organspendeausweis in den Händen am 26. Juli 2018 in Bonn. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eine Frau hält einen ausgefüllten Organspendeausweis in den Händen am 26. Juli 2018 in Bonn. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Jeder spendenbereite Mensch "muss wissen und wollen können, dass im Fall der Fälle an die Seite der Sorge um mich als sterbenden Menschen auch die vordringlicher werdende Sorge um einen transplantationsbedürftigen anonymen Dritten tritt", schreibt das Ethikratsmitglied in einem Gastkommentar in der "Welt am Sonntag".

Andreas Lob-Hüdepohl, Mitglieder des Deutschen Ethikrates / © Wolfgang Kumm (dpa)
Andreas Lob-Hüdepohl, Mitglieder des Deutschen Ethikrates / © Wolfgang Kumm ( dpa )

Menschen sollen sich mit Frage auseinandersetzen

Es sei erfreulich, dass viele Menschen mit ihrer Bereitschaft zur Organspende das Überleben anderer voranstellten. "Mit sehr guten Argumenten kann man für diese Priorisierung eintreten. Man kann sogar offensiv dafür werben", so Lob-Hüdepohl.

Es sei ethisch gerechtfertigt, dass jede Person durch das Anschreiben seitens der Krankenkasse oder bei Beantragung eines Ausweisdokuments "zwangsbehelligt" werde, sich mit der Frage einer Organspende auseinandersetzen zu müssen.

Die Entscheidung darüber müsse jedoch immer aus einer "bewussten und aktiv getroffenen Abwägung resultieren", betont der Ethiker. "Nur so wird man der ethischen Brisanz einer postmortalen Organspende gerecht."

Zahl der bestellten Ausweise steigt

Fast fünf Millionen Menschen in Deutschland hatten im vergangenen Jahr einen Organspendeausweis bestellt. Die Zahl ist fast viermal so hoch wie 2021, wie "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" (Samstag) unter Berufung auf die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung berichten.

Zum Inkrafttreten des neuen Transplantationsgesetzes am 1. März 2022 wurden den Angaben zufolge außerdem weitere 3,4 Millionen Ausweise von Hausarztpraxen bestellt. Im Zuge der Gesetzesänderung können sich Patienten alle zwei Jahre vom Hausarzt über Organspende beraten lassen. Eine Sprecherin der Bundeszentrale begründete den Anstieg mit dem neuen Gesetz und der damit verbundenen höheren Aufmerksamkeit für das Thema.

Im Vergleich zu 2021 zurückgegangen ist dagegen die Zahl derer, die ein Organ gespendet haben. Im Vorjahr waren es 869, ein Rückgang um 6,9 Prozent.

Organspende in Deutschland

Mehr als 10 000 schwer kranke Menschen warten hierzulande auf ein Spenderorgan, die meisten von ihnen auf eine neue Niere. Umfragen zufolge stehen die meisten Bürger der Organspende positiv gegenüber, doch nur rund 35 Prozent haben ihre Entscheidung auch in einem Spendeausweis festgehalten.

Die derzeit geltende Rechtslage (sog. Entscheidungslösung) besagt, dass eine Organ- und Gewebespende grundsätzlich nur dann möglich ist, wenn der mögliche Organ- oder Gewebespender zu Lebzeiten eingewilligt hat oder sein nächster Angehöriger zugestimmt hat.

Symbolbild Organspende / © vchal (shutterstock)
Quelle:
KNA