Erneuter Einbruch bei Organspenden auch durch Corona

Rückgang um fast sieben Prozent

Schon seit Jahren zeigt der Trend nach unten. Doch 2022 verzeichnen Ärzte einen starken Einbruch bei Organspenden. Ursache sind Corona und Fachkräftemangel, aber auch die Zurückhaltung von Angehörigen.

Autor/in:
Christoph Arens
Ausfüllen eines Organspendeausweises / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ausfüllen eines Organspendeausweises / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Mediziner schlagen Alarm. Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist im vergangenen Jahr weiter zurückgegangen. Eine schlechte Nachricht für die 8.500 schwerkranken Patienten auf der Warteliste. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) zeigte sich am Montag in Frankfurt sehr besorgt über eine dramatische Entwicklung.

Für 2022 verzeichnet die DSO ein Minus von 6,9 Prozent bei der Zahl der Spender. 869 Menschen spendeten nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe, 64 weniger als im Vorjahreszeitraum. Auch die Summe der entnommenen Organe, die für eine Transplantation an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet werden konnten, sank auf 2.662 (Vorjahreszeitraum: 2.905). Damit ging die Zahl der postmortal entnommenen Organe um 8,4 Prozent im Vergleich zu 2021 zurück. Zeitgleich konnten in den 46 deutschen Transplantationszentren auch weniger Organe eingepflanzt werden: Ihre Zahl sank von 2.979 im Jahr 2021 auf 2.795 Organe.

Bilanz für 2021 hatte Zuversicht ausgelöst

Der Einbruch kommt einigermaßen überraschend. Denn die Bilanz für 2021 hatte die Zuversicht ausgelöst, dass Deutschland vergleichsweise gut durch die Corona-Zeit kommt. Die Zahl der Organspenden war - anders als in anderen europäischen Ländern - stabil und auf dem Niveau des Vor-Corona-Jahres 2019 geblieben.

Dann allerdings gingen die Zahlen im ersten Quartal 2022 um beinahe 30 Prozent zurück. Zum einen, weil Corona-positive Spender zunächst von einer möglichen Spende ausgeschlossen wurden - bis mehrere Studien das für nicht nötig befanden. Die Zahlen stabilisierten sich auf niedrigem Niveau.

 Dr. med. Axel Rahmel Medizinischer Vorstand, DSO (DSO)
Dr. med. Axel Rahmel Medizinischer Vorstand, DSO / ( DSO )

Als weitere Ursachen nennt der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, die durch die Omikron-Variante verschärfte Personalsituation und den generellen Fachkräftemangel in den Kliniken. Gerade für kleinere Häuser sei das eine zusätzliche Herausforderung. Mit dem zunehmenden Alter der Spender spielten aber auch medizinische Ausschlussgründe eine immer größere Rolle.

Als häufigsten Grund, warum eine Organspende nicht erfolgt, nennt Rahmel aber die Haltung der Angehörigen. 2022 war bei der Hälfte der möglichen Organspenden, die nicht realisiert werden konnten, ihre Zurückhaltung der Grund. Rahmel beklagte, dass der Wille eines möglichen Organspenders oft gar nicht dokumentiert sei. "Angehörige entscheiden sich aus Unsicherheit aber häufig dagegen, da der Wille des Verstobenen nicht bekannt ist."

Weniger als ein Viertel der Ablehnungen basiert auf bekannten Willen

Insgesamt wandten sich die deutschen Krankenhäuser im vergangenen Jahr 3.256 Mal an die DSO, um einen möglichen Organspender zu melden. In 2.387 Fällen wurde daraus nichts; 1.185 Mal lag es an einer fehlenden Einwilligung.

Es sei auffällig, dass die Ablehnung der Organspende in weniger als einem Viertel der Fälle auf einem bekannten schriftlichen (7,3 Prozent) oder mündlichen (16,3 Prozent) Willen der Verstorbenen basierte, sagte Rahmel. In 42 Prozent sei die Ablehnung aufgrund des vermuteten Willens der Verstorbenen erfolgt, 35 Prozent der Ablehnungen beruhten auf der Einschätzung der Angehörigen nach ihren eigenen Wertvorstellungen.

Rahmel für Widerspruchsregelung in Deutschland

Erneut sprach sich Rahmel für eine rechtliche Kehrtwende und die Einführung einer Widerspruchsregelung in Deutschland aus. Dabei ist jeder Mensch potenzieller Organspender, außer er hat ausdrücklich widersprochen. Derzeit kommt in Deutschland nur als Organspender in Frage, wer ausdrücklich zugestimmt hat. 2020 war die Einführung einer Widerspruchslösung im Bundestag gescheitert.

Die DSO liegt damit auf einer Linie mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der im vergangenen Juni einen neuen Anlauf für eine Widerspruchslösung gefordert hatte. Das sieht die Deutsche Stiftung Patientenschutz anders. Der Bundestag habe 2020 erneut alle ethischen Argumente intensiv diskutiert und mit Nein gestimmt, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Brysch wirft Lauterbach vor, die damals vom Bundestag beschlossenen Initiativen zur Förderung der Organspende nicht umgesetzt zu haben. So sollte zum März 2022 ein Online-Organspenderegister die Arbeit aufnehmen. Doch der Start verzögert sich weiter - mindestens bis Ende 2023 oder zum ersten Quartal 2024.

Organspende - die wichtigsten Fakten

Etwa 8.500 Patienten in Deutschland stehen derzeit auf der Wartewarten für ein Spenderorgan. 

Seit 1963 wurden in Deutschland mehr als 125.000 Organe transplantiert. Nach dem Transplantationsskandal im Jahr 2012 sank die Zahl der jährlichen Organspenden beständig und erreichte 2016 einen absoluten Tiefpunkt.

Symbolbild Organspende: Frau hält eine Niere hinter dem Rücken  / © Ben Schonewille (shutterstock)
Symbolbild Organspende: Frau hält eine Niere hinter dem Rücken / © Ben Schonewille ( shutterstock )
Quelle:
KNA